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Ist die gemeinsame Sorge auf Antrag aufzulösen?

(So/132)
Autor: Brückel

(>Weiteres zu § 1671 I Nr.2 BGB /  >Teil-Auflösung? /  >Wiederherstellung)

Gesetzliche Voraussetzung:

".. soweit .. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge .. dem Wohl des Kindes am besten entspricht" (§ 1671 I 2 (II) Nr.2 BGB).

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu berücksichtigen, BVerfG DRsp 2019/5371 = FamRZ 2019,802.

Fallgruppen (soll die gemeinsame Sorge (z.T.) wegen Nichtfunktionierens aufgelöst werden?):

-Reicht die Ablehnung durch 1 Elternteil?

-Bei mangelnder Kooperation zwischen den Eltern oder bei Streit

-Bei Gleichgültigkeit eines Elternteils

-Bei ungünstigen äußeren Lebensverhältnissen

-Wenn die Erziehungseignung des anderen Elternteils fehlt

-Bei Auslandsbezug  

-Reicht die totale Ablehnung durch das Kind? Ggf. ja (dazu), KG DRsp 2005/10937 =

FamRZ 2005,1768.

-Reicht verlängerter Bezug von Elterngeld? >Dazu.

-Auf wen wäre ggf. die Sorge zu übertragen?  

Vorsicht:

Wenn die Elternteile heillos in ihrem Streit gefangen sind, kann nicht nur ihre gemeinsame Sorge aufzulösen, sondern die Sorge nach § 1666 BGB (dazu) auf einen Vormund zu übertragen sein, OLG Köln DRsp 2009/3985 = FamRZ 2009,129. Bei heillosem Streit über den Aufenthalt des Kindes kann das ABR auf einen Pfleger zu übertragen sein (der ggf. ein Wechselmodell organisiert), OLG Brandenburg DRsp 2010/9323. Die Übertragung auf einen Elternteil kann mit Auflagen verbunden werden (§ 1671 IV >Text i.V.m. § 1666 III >Text BGB), OLG Brandenburg DRsp 2016/3252.

Alternative: Sorgerechtsvollmacht (dazu)? str.:

a) Ab BGH vom 29.4.2020: Eine Übertragung des Sorgerechts kann ggf. durch die Bevollmächtigung (dazu) eines mitsorgeberechtigten Elternteils ganz oder teilweise entbehrlich werden, wenn und soweit der bevollmächtigte Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange erhält, BGH DRsp 2020/8044  = NJW 2020,2182 = FamRZ 2020,1171 [21], OLG Bamberg DRsp 2022/1333, OLG Brandenburg DRsp 2022/5762 = NZFam 2022,493 = FamRZ 2022,1202. Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern, soweit eine solche unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungsspielraums des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist, BGH DRsp 2020/8044  = NJW 2020,2182 = FamRZ 2020,1171 [28], OLG Dresden NZFam 2022,893 K. Eine Vollmacht ist nicht ausreichend, wenn Mitwirkung erforderlich ist und diese trotz Aufforderung nicht geleistet wird, OLG Frankfurt NZFam 2021,229 K = FamRZ 2021,756. Eine Bevollmächtigung kann nicht gerichtlich angeordnet werden, sondern muss im Entscheidungszeitpunkt bereits vorliegen, BGH DRsp 2020/8044  = NJW 2020,2182 = FamRZ 2020,1171 [30]. Die aus der fortbestehenden Mitsorge folgenden Befugnisse des vollmachtgebenden Elternteils werden nicht eingeschränkt, BGH DRsp 2020/8044  = NJW 2020,2182 = FamRZ 2020,1171 [32]. Ob die Vollmacht ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können, oder ob die Sorge (teilweise) übertragen werden muss, ist nach den Kriterien von § 1671 BGB (dazu) im Einzelfall zu prüfen, BGH DRsp 2020/8044  = NJW 2020,2182 = FamRZ 2020,1171 [34]. Dass eine Vollmacht nicht ausreichend sei, wäre konkret darzulegen, OLG Hamburg DRsp 2020/16774 = FamRZ 2021,204, OLG Bremen DRsp 2023/11794 = FamRZ 2023,1973. Einer Prognose hinsichtlich eines möglichen Widerrufs bedarf es nicht, BGH DRsp 2020/8044 = NJW 2020,2182 = FamRZ 2020,1171 [39]. Eine umfassende Sorgevollmacht ist als milderes Mittel vorrangig, wenn von einer hinreichenden Restkooperation auszugehen ist OLG Bremen DRsp 2023/11794 = FamRZ 2023,1973. Die erklärte Bereitschaft von E1, den Aufenthalt des Kindes bei E2 zu akzeptieren und diesem umfassende Vollmachten zu erteilen (ihre Ernsthaftigkeit unterstellt) genügt nicht, wenn das Verhältnis des Kindes zu E1 zerrüttet und daher eine Sorgeübertragung erforderlich ist, OLG Schleswig DRsp 2021/3914. Gleiches gilt, wenn die Rhetorik von E1 als konkludenter Widerruf der Vollmacht auszulegen ist, OLG Dresden DRsp 2022/9416 = FamRZ 2022,1201. Zu Einzelheiten bei Sorgerechtsvollmachten vgl. Amend-Traut FamRZ 2020,805. Eine Vollmachtserklärung der Mutter bedarf keiner Annahme durch den Vater, OLG Frankfurt DRsp 2023/10616 = NZFam 2023,889 = FamRZ 2023,1970. Bei einer minderjährigen Mutter gelten §§ 106 (Text), 107 (Text), 111 (Text), 182 III (Text) BGB, OLG Frankfurt DRsp 2023/10616 = NZFam 2023,889 = FamRZ 2023,1970.

Bei Streit über eine Vollmachtsurkunde vgl. AG Cuxhaven FamRZ 2023,1569 = NZFam 2024,80 K.

b) Frühere Meinungen: Sorgekonflikte können vielfach ohne Auflösung der gemeinsamen Sorge durch Erteilung einer widerruflichen Vollmacht (dazu) gelöst werden, Geiger/ Kirsch FamRZ 2009,1879. Durch Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht kann allenfalls in Ausnahmefällen eine Übertragung der Sorge abgewendet werden, OLG Düsseldorf NZFam 2018,86 K = FamRZ 2018,693, OLG Koblenz FamRZ 2019,298 /2 LS. Ein inhaftierter Elternteil (dazu) kann eine Übertragung seiner Sorge nicht ohne Weiteres durch Erteilung einer Sorgevollmacht abwenden, OLG Karlsruhe FamRZ 2015,2178. Eine (widerrufliche) Sorgerechtsvollmacht steht der Auflösung der gemeinsamen Sorge nicht entgegen, aber eine EA ist mangels Dringlichkeit nicht zulässig (dazu), OLG Frankfurt DRsp 2018/15347 = FamRZ 2018,1679. Eine Auflösung der gemeinsamen Sorge hat zu unterbleiben, wenn eine Ermächtigung des betreuenden Elternteils möglich ist und nicht mit baldigem Widerruf zu rechnen ist, OLG Frankfurt DRsp 2019/5725 = FamRZ 2019,1144; krit. Weber FamRZ 2019,1125. Eine Sorgerechtsvollmacht steht der Auflösung der gemeinsamen Sorge nicht entgegen, wenn ernsthafte Zweifel an deren Wirksamkeit bestehen, OLG Frankfurt NZFam 2020,174 K = FamRZ 2020,1187. Eine Vollmacht ist generell kein geignetes milderes Mittel im Sorgerechtsstreit, OLG Brandenburg DRsp 2020/5167. Die Erteilung einer Sorgevollmacht rechtfertigt für sich gesehen i.d.R. nicht die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge, OLG Celle FamRZ 2020,428.