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BGH - Entscheidung vom 30.01.2024

VIII ZB 47/23

Normen:
ZPO § 514 Abs. 2 S. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 514 Abs. 2 S. 1
ZPO § 337 S. 1
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
MDR 2024, 594
ZAP 2024, 472
AnwBl 2024, 146
NJW-RR 2024, 606
FamRB 2024, 242

BGH, Beschluss vom 30.01.2024 - Aktenzeichen VIII ZB 47/23

DRsp Nr. 2024/4169

Verfahrensgrundrechte auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf Gewährung rechtlichen Gehörs; Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil

1. Soweit eine Säumnis nicht schuldhaft ist, wenn die Partei beziehungsweise ihr Prozessvertreter, dessen Verschulden sich die Partei zurechnen lassen muss, an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins gehindert war und der Termin deshalb hätte verlegt oder vertagt werden müssen, setzt eine Terminsverlegung oder -vertagung voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und glaubhaft gemacht wird. Ein solcher kann etwa dann vorliegen, wenn der Prozessbevollmächtigte kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist und das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen. Dabei muss ein Prozessbevollmächtigter im Hinblick auf eine mögliche Terminkollision bzw. -überschneidung allerdings bei seiner Zeitplanung einkalkulieren, dass ein Sitzungstermin eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird. Ihm ist insofern zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bei den Gerichten grundsätzlich zuzumuten, sich während einer - nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmenden - angemessenen Zeit über den in der Ladung vorgesehenen Verhandlungsbeginn hinaus bei Gericht bereitzuhalten. 2. Allein der von einer Partei gestellte Antrag auf Verlegung eines Verhandlungstermins - ohne Darlegung eines erheblichen Grunds im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO - entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der Parteidisposition entzogen sind.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 23. Mai 2023 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 16.804,14 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 514 Abs. 2 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Rückabwicklung eines Fahrzeugkaufvertrags sowie auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Auf den Einspruch des Klägers hat das Landgericht Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache auf den 9. Dezember 2022, 13.00 Uhr, bestimmt und den Klägervertreter hierzu ordnungsgemäß geladen.

In diesem Termin ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers bis um 13.20 Uhr nicht erschienen, sondern hat über seine Kanzlei mitteilen lassen, er befinde sich derzeit noch "im Gerichtsgebäude in Essen" und werde nicht vor 14.30 Uhr zu dem Einspruchstermin vor dem Landgericht in Aachen erscheinen. Daraufhin hat das Landgericht den Einspruch des Klägers durch zweites Versäumnisurteil als unzulässig verworfen.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen wie folgt begründet:

Zu Unrecht sei das Landgericht davon ausgegangen, eine unverschuldete Säumnis des Klägers habe nicht vorgelegen. Einer der Rechtsanwälte der aus drei Mitgliedern bestehenden Sozietät habe an dem Sitzungstag einen unaufschiebbaren Termin gegen 12.00 Uhr vor dem Amtsgericht Marl wahrgenommen. Aufgrund der unerwarteten Erkrankung eines weiteren Mitglieds der Sozietät habe der dritte Sozietätskollege vertretungsweise zwei auf 11.00 Uhr und 11.15 Uhr anberaumte Termine in Essen vor dem dortigen Landgericht und dem Amtsgericht wahrnehmen müssen.

Nachdem der erste vorgenannte Termin, in dem lediglich Anträge hätten gestellt werden sollen, aus unvorhergesehenen Gründen bis 11.30 Uhr gedauert habe, habe der vorgenannte, in Essen befindliche Rechtsanwalt sein Büro gebeten, das Landgericht in Aachen über seine voraussichtliche Verspätung zu informieren und gegebenenfalls um eine Verlegung des dortigen Termins zu ersuchen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Prozessbevollmächtigte davon ausgegangen, dass der zweite Termin in Essen aufgrund des einfachen Sachverhalts und der Kürze der dort in Augenschein zu nehmenden Videoaufzeichnung nicht länger als 20 Minuten dauern und er bei einer Fahrtzeit von Essen nach Aachen von circa eineinviertel Stunden allenfalls mit einer Verspätung von 15 Minuten nach Terminsaufruf vor dem Landgericht Aachen erscheinen werde. Vollkommen überraschend und unvorhersehbar sei die zweite Sitzung in Essen jedoch erst um circa 13.00 Uhr beendet worden. Auf Nachfrage, ob der Termin vor dem Landgericht antragsgemäß verschoben worden sei, habe er von seinem Büro die Mitteilung erhalten, dass eine diesbezügliche Rückmeldung noch nicht vorliege. Er habe sein Personal daher gebeten, dort noch einmal nachzufragen. Vorsorglich sei er dennoch zum Landgericht gefahren. Dort sei er um 14.30 Uhr angekommen, habe im Sitzungssaal aber niemanden mehr angetroffen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung - nach einem entsprechenden Hinweis - durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe zu einer unverschuldeten Säumnis im Einspruchstermin nicht schlüssig vorgetragen, so dass die nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO an sich statthafte Berufung unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nicht ausreichend dargelegt, aus seiner Sicht alles Erforderliche und Zumutbare unternommen zu haben, um den Termin vor dem Landgericht wahrnehmen zu können. Schon bei Beginn der zweiten Verhandlung um 11.30 Uhr in Essen habe der Sitzungsvertreter nicht mehr von seiner rechtzeitigen Ankunft in Aachen ausgehen können. Wie seine eigenen Anweisungen am Sitzungstag belegten, habe er nach einem Sitzungsende um 13.00 Uhr erst mit einer Ankunft nach 14.30 Uhr gerechnet.

Selbst wenn jedoch bei dem Prozessbevollmächtigten zunächst die Vorstellung bestanden haben sollte, von Essen aus so rechtzeitig aufbrechen zu können, dass eine Wahrnehmung des Termins in Aachen noch zu gewährleisten gewesen wäre, hätte er doch im Laufe der Sitzung in Essen erkennen müssen, dass dies nicht mehr möglich sein werde. Es hätte daher an ihm als bloßem Vertreter des erkrankten Kollegen gelegen, auf eine Vertagung der Verhandlung in Essen zu drängen. Dies gelte umso mehr, als ihm bewusst gewesen sein müsse, dass in Aachen über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil verhandelt werden würde und die konkrete Gefahr bestanden habe, dass seine Säumnis zum Erlass eines zweiten Versäumnisurteils - wie geschehen - führe.

Soweit der Prozessbevollmächtigte erklärt habe, bereits vor dem Beginn des zweiten Termins in Essen um eine Terminsverlegung in Aachen gebeten zu haben, lasse sich dies der Akte nicht entnehmen. Der Prozessbevollmächtigte habe zudem nicht darauf vertrauen dürfen, dass einem Verlegungsantrag entsprochen werde. Da er überdies nicht dargelegt habe, warum er gegenüber dem Gericht in Essen nicht auf die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Abreise zumindest hingewiesen habe, könne seine Säumnis in Aachen nicht als unverschuldet angesehen werden.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO , die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe nur Senatsbeschlüsse vom 10. Oktober 2023 - VIII ZB 29/22, juris Rn. 8; vom 21. März 2023 - VIII ZB 80/22, juris Rn. 13; jeweils mwN), sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt die angefochtene Entscheidung, wonach die Berufung des Klägers mangels schlüssiger Darlegung einer unverschuldeten Säumnis im Einspruchstermin unzulässig ist, nicht die - einander ergänzenden - Verfahrensgrundrechte des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ).

a) Hiernach ist den Parteien (bereits) durch die Ausgestaltung des Verfahrensrechts ein Ausmaß an rechtlichem Gehör zu eröffnen, welches dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht wird und das den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Zudem dürfen die zivilprozessualen Vorschriften, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind, nicht derart ausgelegt und angewandt werden, dass den Parteien der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 10. Oktober 2023 - VIII ZB 29/22, juris Rn. 10; vom 23. Mai 2023 - VIII ZB 16/22, NJW-RR 2023, 1101 Rn. 8).

b) Das Berufungsgericht hat jedoch im vorliegenden Fall - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - keine überhöhten Anforderungen an das auf § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO gestützte Vorbringen des Klägers gestellt und deshalb durch die Verwerfung der von dem Kläger eingelegten Berufung die vorgenannten Verfahrensgrundrechte nicht verletzt.

aa) Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. März 2013 - VIII ZB 42/12, juris Rn. 5; vom 18. Februar 2020 - XI ZB 11/19, NJW-RR 2020, 575 Rn. 8; vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 13; jeweils mwN). Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Berufungsbegründungsfrist vorzutragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2020 - XI ZB 11/19, aaO; vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, aaO).

Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie - ihre Richtigkeit unterstellt - den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2005 - IV ZB 63/04, juris Rn. 7; vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, aaO Rn. 14).

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat - nicht schlüssig dargetan, dass sein Prozessbevollmächtigter den Einspruchstermin am 9. Dezember 2022 ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden versäumt hat.

(1) Eine Partei ist im Sinne der §§ 330 ff. ZPO säumig, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Bestimmung eines notwendigen Termins zur mündlichen Verhandlung nach Aufruf der Sache am hierzu bestimmten Ort nicht erscheint, bei notwendiger Vertretung durch einen Rechtsanwalt - wie hier gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO - nicht durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten ist oder nicht zur Sache verhandelt (vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 2021 - IX ZR 53/21, WM 2023, 196 Rn. 7; vom 24. Januar 2019 - VII ZR 123/18, NJW-RR 2019, 695 Rn. 18; jeweils mwN). Nicht schuldhaft ist die Säumnis, wenn die Partei beziehungsweise ihr Prozessvertreter, dessen Verschulden sich die Partei zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO ), an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins gehindert war und der Termin deshalb hätte verlegt (§ 227 ZPO ) oder vertagt (§ 337 Satz 1 ZPO ) werden müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 16; vom 7. Juni 2010 - II ZR 233/09, NJW 2010, 2440 Rn. 8).

(2) Gemessen hieran hat das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis frei von Rechtsfehlern angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht ohne Verschulden gehindert war, an der Sitzung vor dem Landgericht in Aachen am 9. Dezember 2022 teilzunehmen. Die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Frage, dass der Prozessbevollmächtigte ordnungsgemäß zu diesem Termin geladen worden war und dort bis zum Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht erschienen ist. Die Säumnis des Prozessbevollmächtigten in diesem Termin war auch nicht aufgrund der Wahrnehmung von Gerichtsterminen in Essen für dessen erkrankten Sozietätskollegen unverschuldet. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - weder schlüssig dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter "überraschend und unvorhersehbar" aufgrund der Dauer des erst um 11.30 Uhr beginnenden Termins vor dem Amtsgericht Essen bis um 13.00 Uhr an der Wahrnehmung des Einspruchstermins in Aachen gehindert gewesen sei (siehe hierzu nachfolgend unter (b)), noch, dass wegen einer (absehbaren) Kollision des zweiten in Essen anberaumten Verhandlungstermins mit dem Einspruchstermin der zuletzt genannte Termin hätte verlegt werden müssen (hierzu unter (c)).

(a) Eine Terminsverlegung oder -vertagung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe eine Verhandlung verlegt oder vertagt wird (§ 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO ), nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 24. Januar 2019 - VII ZR 123/18, NJW-RR 2019, 695 Rn. 22; vom 25. November 2008 - VI ZR 317/07, NJW 2009, 687 Rn. 8 mwN). Erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen oder zu vertagen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminsverlegung oder -vertagung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grunds stattzugeben (vgl. BGH, Urteile vom 24. Januar 2019 - VII ZR 123/18, aaO; vom 13. Januar 2004 - X ZR 212/02, GRUR 2004, 354 unter 1 b).

(b) Ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung oder -vertagung und damit eine unverschuldete Säumnis können vorliegen, wenn der Prozessbevollmächtigte kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist und das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen (vgl. BGH, Urteile vom 24. September 2015 - IX ZR 207/14, NJW-RR 2016, 60 Rn. 6; vom 25. November 2008 - VI ZR 317/07, NJW 2009, 687 Rn. 11; vom 19. November 1998 - IX ZR 152/98, NJW 1999, 724 unter I 1 b aa).

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers schon zu Beginn der zweiten Verhandlung in Essen um 11.30 Uhr bei Wahrnehmung dieses Termins nicht mehr von einer rechtzeitigen Ankunft beim Landgericht Aachen ausgehen durfte. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die reine Fahrzeit von Essen nach Aachen mit anderthalb Stunden, wie der Klägervertreter selbst ausweislich der von ihm dem Landgericht nach Schluss der Verhandlung in Essen um 13.00 Uhr übermittelten Nachricht angenommen hat, oder - wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht - mit eineinviertel Stunden zu bemessen ist.

Denn unabhängig davon konnte der Prozessbevollmächtigte weder von einem pünktlichen Beginn der Sitzung vor dem Amtsgericht Essen um 11.15 Uhr noch von einer maximal 20minütigen Dauer der dortigen Verhandlung sicher ausgehen. Allein das Vorbringen in der Berufungsbegründung, wonach in der vorhergehenden Verhandlung vor dem Landgericht Essen lediglich Anträge hätten gestellt und in der nachfolgenden Verhandlung vor dem Amtsgericht in Essen bei einem dem Verfahren zugrundeliegenden "einfachen" Sachverhalt nur eine Videoaufzeichnung mit einer Dauer von weniger als zwei Minuten in Augenschein habe genommen werden sollen, rechtfertigte nicht die Annahme, dass die Sitzung vor dem Amtsgericht Essen zu dem in der Ladung angegebenen Zeitpunkt um 11.15 Uhr beginnen und dann binnen 20 Minuten beendet werden würde. Denn der zeitliche Verlauf einer Sitzung lässt sich - wie der tatsächliche Beginn der Sitzung um 11.30 Uhr und deren Dauer von anderthalb Stunden zeigen - erfahrungsgemäß grundsätzlich nicht zuverlässig voraussagen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1975 - VII ZR 242/73, NJW 1976, 196 unter II 1 a). Ein Prozessbevollmächtigter muss daher bei seiner Zeitplanung einkalkulieren, dass ein Sitzungstermin eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird (vgl. OLG Hamburg, NJW-RR 2022, 1073 Rn. 16; siehe auch BeckOK-ZPO/Jaspersen, Stand: 1. Dezember 2023, § 227 Rn. 12.4). Ihm ist zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bei den Gerichten grundsätzlich zuzumuten, sich während einer - nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmenden - angemessenen Zeit über den in der Ladung vorgesehenen Verhandlungsbeginn hinaus bei Gericht bereitzuhalten (vgl. BFHE 121, 132 , 134; BSG , Beschluss vom 20. April 1993 - 12 BK 26/92, juris Rn. 6). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers musste deshalb nicht nur einen späteren Beginn der zweiten Sitzung in Essen - von hier lediglich einer Viertelstunde -, sondern auch eine längere Verhandlungsdauer vorsorglich einplanen. Für ihn war deshalb spätestens um 11.30 Uhr absehbar, dass er schon bei einer (einzukalkulierenden) geringfügigen Überschreitung der von ihm angesetzten Verhandlungsdauer selbst unter Berücksichtigung einer möglichen Wartezeit von etwa 15 Minuten nach Aufruf der Sache vor dem Landgericht Aachen, innerhalb derer der gegnerische Prozessbevollmächtigte kein Versäumnisurteil erwirken würde (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 19. November 1998 - IX ZR 152/98, NJW 1999, 724 unter I 1 b aa; siehe auch BeckOK-ZPO/Toussaint, Stand: 1. Dezember 2023, § 337 Rn. 7), nicht mehr rechtzeitig in dem Einspruchstermin würde erscheinen können. Allein mit dem späteren Beginn und der tatsächlichen Dauer der Verhandlung vor dem Amtsgericht Essen konnte der Prozessbevollmächtigte deshalb sein Fernbleiben in dem Einspruchstermin nicht entschuldigen, zumal er auch während der Verhandlung in Essen gegebenenfalls Maßnahmen zur Verhinderung seiner Säumnis hätte ergreifen können und müssen.

(c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, war das Landgericht auch nicht gehalten, den Einspruchstermin wegen der (absehbaren) Kollision mit dem Verhandlungstermin in Essen auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu verlegen.

(aa) Die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten einer Partei aufgrund eines bereits zuvor anberaumten kollidierenden Verhandlungstermins kann einen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO darstellen (vgl. BVerfG, NJW 2021, 3384 Rn. 12 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 22 f.). Eine Kollision setzt voraus, dass die Wahrnehmung beider Termine zeitlich nicht möglich ist (vgl. OVG Lüneburg, NJW 2013, 1691 ). In die Entscheidung über die Terminsverlegung sind alle Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls einzubeziehen, beispielsweise die Art des kollidierenden Gerichtstermins und des Zeitpunkts seiner Bestimmung, die Besonderheiten der Mandatsbeziehung, die Möglichkeit, den kollidierenden Termin zu verlegen oder einen der Termine durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen (vgl. BVerfG, aaO Rn. 17; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, aaO Rn. 27). Ausnahmsweise kann auch ein später anberaumter Termin Vorrang vor einem früher bestimmten Termin genießen (vgl. BeckOK-ZPO/Jaspersen, Stand: 1. Dezember 2023, § 227 Rn. 12.10; Musielak/Voit/Stadler, ZPO , 20. Aufl., § 227 Rn. 5), etwa wenn ein Verhandlungstermin bereits verlegt worden ist (vgl. BVerfG, aaO Rn. 12), prozessuale Gründe die Durchführung dieses Termins gebieten (vgl. BSG , NJW 1996, 677 , 678 [zu § 229 StPO]), es sich um einen Termin zur Durchführung einer aufwendigen Beweisaufnahme (vgl. Musielak/Voit/Stadler, aaO) oder ein besonders eilbedürftiges Verfahren handelt (§ 227 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 ZPO ; vgl. Musielak/Voit/Stadler, aaO).

(bb) Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger bereits einen erheblichen Grund im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Verlegung des Einspruchstermins in Aachen nicht schlüssig dargelegt. Der Berufungsbegründung ist nicht zu entnehmen, dass der zunächst auf 11.15 Uhr bestimmte Gerichtstermin in Essen vor dem Einspruchstermin anberaumt worden ist oder besondere Gründe eine Verlegung des Termins in Aachen erforderlich gemacht hätten. Vielmehr hat der Kläger selbst vorgetragen, dem in Essen verhandelten Rechtsstreit habe ein einfach gelagerter Sachverhalt zugrunde gelegen und es habe lediglich eine kurze Videoaufnahme in Augenschein genommen werden sollen. Zudem war der Prozessbevollmächtigte nicht Sachbearbeiter dieses Verfahren, sondern hat die Sitzung lediglich als Vertreter für seinen erkrankten Sozietätskollegen wahrgenommen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 22). Das Berufungsgericht hat deshalb jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine Verlegung des Einspruchstermins aufgrund des von dem Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Sachverhalts nicht in Betracht kam.

(cc) Es kommt vor diesem Hintergrund - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - auch nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers - wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht - schon um 11.30 Uhr seine Mitarbeiter gebeten hat, das Landgericht in Aachen über seine voraussichtliche Verspätung aufgrund des Gerichtstermins in Essen zu informieren und um eine Terminsverlegung zu ersuchen. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag nicht gehörswidrig übergangen, sondern im Ergebnis zu Recht als unerheblich angesehen. Es hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte nicht darauf vertrauen durfte, seinem (behaupteten) Verlegungsantrag werde entsprochen. Denn (allein) der von einer Partei gestellte Antrag auf Verlegung eines Verhandlungstermins - ohne Darlegung eines erheblichen Grunds im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO - entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der Parteidisposition entzogen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2017 - III ZB 137/15, NJW-RR 2017, 638 Rn. 9 mwN).

Darüber hinaus steht der Geltendmachung eines etwaigen Gehörsverstoßes der Subsidiaritätsgrundsatz entgegen (vgl. zum Subsidiaritätsgrundsatz im Allgemeinen Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 30 mwN). Das Berufungsgericht hat den Kläger bereits mit Beschluss vom 30. März 2023 darauf hingewiesen, dass ein solcher Terminsverlegungsantrag der Gerichtsakte nicht zu entnehmen sei. Dennoch hat der Kläger einer etwaigen Gehörsverletzung in seinem Schriftsatz vom 22. Mai 2023 nicht entgegengewirkt, sondern es bei den bereits von ihm gemachten Ausführungen belassen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: LG Aachen, vom 09.12.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 11 O 349/21
Vorinstanz: OLG Köln, vom 23.05.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 21 U 4/23
Fundstellen
MDR 2024, 594
ZAP 2024, 472
AnwBl 2024, 146
NJW-RR 2024, 606