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BGH - Entscheidung vom 14.09.2005

IV ZB 63/04

Normen:
ZPO § 514 Abs. 2

BGH, Beschluß vom 14.09.2005 - Aktenzeichen IV ZB 63/04

DRsp Nr. 2005/20242

Anforderungen an die Darlegung unverschuldeter Säumnis zur Begründung einer Berufung gegen ein Zweites Versäumnisurteil

Macht eine Prozesspartei mit der Berufungsbegründung geltend, sie sei an der Wahrnehmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung verhindert gewesen, da sie akut schlaganfall- und infarktgefährdet gewesen sei, so genügt sie ihrer Darlegungslast gem. § 514 Abs. 2 S. 1 ZPO .

Normenkette:

ZPO § 514 Abs. 2 ;

Gründe:

I. 1. Der Beklagte wird von der Klägerin auf Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch genommen. Mit Versäumnisurteil des Amtsgerichts vom 20. Januar 2004 wurde der Beklagte antragsgemäß zur Zahlung an die Klägerin verurteilt. Dagegen legte er rechtzeitig Einspruch ein und begründete sein Nichterscheinen unter Vorlage zweier ärztlicher Bescheinigungen mit bettlägeriger Erkrankung am Terminstag. Am Tage vor der mündlichen Verhandlung über den Einspruch am 8. Juni 2004 ging beim Amtsgericht ein Schreiben des Beklagten vom 6. Juni 2004 ein, dessen Verlesung in der mündlichen Verhandlung er beantragte und in dem er u.a. folgendes ausführte:

"Wegen der Anträge I. (1.) bis I. (4.) mit Gründen, ist mein persönliches Erscheinen und eine Vertretung in der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich, als auch aus gesundheitlichen Gründen zu meiner Person zur Zeit nicht möglich."

Eine ärztliche Bescheinigung über seinen Gesundheitszustand war dem Schreiben nicht beigefügt. Da der Beklagte zum Termin am 8. Juni 2004 nicht erschien, verwarf das Amtsgericht seinen Einspruch durch Zweites Versäumnisurteil.

2. Die gegen das Zweite Versäumnisurteil rechtzeitig eingelegte Berufung des Beklagten, mit der er unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung vom 28. Juni 2004 geltend machte, ein Fall schuldhafter Säumnis habe nicht vorgelegen, da er wegen Bluthochdrucks am Terminstag schlaganfall- und infarktgefährdet gewesen sei und deshalb nicht habe erscheinen können, hat das Landgericht durch die angefochtene Entscheidung als unzulässig verworfen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Berufungsbegründung genüge auch unter Berücksichtigung der vom Beklagten vorgenommenen Ergänzungen nicht den Erfordernissen des § 514 Abs. 2 ZPO . Werde die Berufung gegen ein Zweites Versäumnisurteil darauf gestützt, dass die Partei den Termin krankheitsbedingt nicht habe wahrnehmen können, müsse schlüssig dargetan werden, dass es unmöglich gewesen sei, das Gericht von diesem Umstand rechtzeitig zu benachrichtigen. Dies gelte auch, wenn die am Sitzungstag behauptete Krankheit bereits zuvor bestanden habe, der säumigen Partei aber ein Verlegungsantrag gleichwohl möglich gewesen wäre. Unschlüssig sei das Rechtsmittel auch dann, wenn aus den Umständen erkennbar werde, dass die säumige Partei an der Verhandlung aus anderen Gründen ohnehin nicht habe teilnehmen wollen. Da der Beklagte schon in seinem Schreiben an das Landgericht vom 6. Juni 2004 gesundheitliche Probleme als Hinderungsgrund für sein Erscheinen in der mündlichen Verhandlung genannt habe, hätte er in der Berufungsbegründung näher darlegen müssen, warum ihm ein rechtzeitiger Antrag auf Terminsverlegung nicht möglich gewesen sei. Zudem lasse der Inhalt des Schreibens vom 6. Juni 2004 erkennen, dass er auch ohne Rücksicht auf die von ihm geltend gemachte Erkrankung nicht gewillt gewesen sei, in der mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2004 vor dem Amtsgericht zu erscheinen.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BGHZ 151, 221 , 226 f. und BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - NJW 2004, 367 unter II 1 bb).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Entscheidung verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die schlüssige Darlegung der Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO überspannt.

a) Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die Partei, die sich auf fehlende Säumnis oder einen gleich zu behandelnden Fall beruft, die Darlegungslast für die dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände trägt und dass der insoweit erforderliche schlüssige Vortrag eine Zulässigkeitsvoraussetzung ist (BGH, Urteil vom 27. September 1990 - VII ZR 135/90 - NJW 1991, 42 unter I 2; Urteil vom 22. April 1999 - IX ZR 364/98 - NJW 1999, 2120 unter 1). Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung (vgl. schon BGH, Urteil vom 16. Januar 1967 - VII ZB 13/66 - NJW 1967, 728 unter II 2) so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie, ihre Richtigkeit unterstellt, den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (vgl. BVerfGE 31, 388 , 390; 37, 93, 97 f.; 40, 182, 184; 40, 42, 44).

b) Die Entscheidung des Landgerichts wird dem nicht gerecht. Zweifelhaft ist schon ihr Ausgangspunkt, wonach der Beklagte schlüssig hätte darlegen müssen, dass ihm die rechtzeitige Anbringung eines Antrags auf Terminsverlegung krankheitsbedingt unmöglich gewesen sei. Dabei kann offen bleiben, ob die Stellung eines solchen Antrags hier überhaupt geboten war (differenzierend BAG AP § 513 ZPO Nr. 5). Im vorliegenden Fall lag es jedenfalls nahe, in dem vom Beklagten ersichtlich ohne anwaltliche Hilfe abgefassten Schreiben vom 6. Juni 2004 zumindest einen stillschweigenden Verlegungsantrag zu sehen. Denn er hat darin auch auf seine Erkrankung und das darin begründete Unvermögen hingewiesen, persönlich an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

Darüber hinaus hat der Beklagte den Anforderungen an die schlüssige Darlegung der Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO dadurch genügt, dass er in der Berufungsbegründung unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung ausgeführt hat, er sei wegen Bluthochdrucks am Terminstag schlaganfall- und infarktgefährdet gewesen und habe deshalb nicht erscheinen können. Die Richtigkeit dieses Vortrags unterstellt, war ihm damit am Terminstag infolge eines unvorhersehbaren und von ihm nicht verschuldeten Umstandes die Teilnahme am Termin unmöglich. Für eine schlüssige Darlegung im Sinne von § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist mehr nicht zu verlangen. Eine andere rechtliche Beurteilung ist auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, deshalb geboten, weil der Beklagte in dem Schreiben vom 6. Juni 2004 auch zum Ausdruck gebracht hat, sein persönliches Erscheinen in der mündlichen Verhandlung halte er nicht für erforderlich. Es war ihm unbenommen, nicht nur auf gesundheitliche Gründe hinzuweisen, sondern das Gericht auch über seine - möglicherweise fehlerhafte - Rechtsansicht in Kenntnis zu setzen, seine Anwesenheit im Termin sei aus Sachgründen nicht erforderlich. Dies ändert nichts am Vorliegen eines gesundheitlichen Hinderungsgrundes am Terminstag und rechtfertigt - jedenfalls im Rahmen der Prüfung der Schlüssigkeit nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO - auch nicht den vom Landgericht gezogenen Schluss, der Beklagte sei ohne Rücksicht auf das Vorliegen von Gesundheitsgründen von vornherein nicht gewillt gewesen, vor Gericht zu erscheinen.

2. Ob tatsächlich ein Fall unverschuldeter Säumnis im Sinne des § 514 Abs. 2 ZPO vorlag, wird nunmehr unter Berücksichtigung der vom Beklagten vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sowie seines weiteren Prozessverhaltens zu prüfen sein.

Vorinstanz: LG Neuruppin, vom 28.10.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 4 S 192/04
Vorinstanz: AG Oranienburg, vom 08.06.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 28 C 107/03