Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 23.02.2017

III ZB 137/15

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 227 Abs. 1
ZPO § 337
ZPO § 345
ZPO § 514 Abs. 2 S. 1

Fundstellen:
NJW-RR 2017, 638

BGH, Beschluss vom 23.02.2017 - Aktenzeichen III ZB 137/15

DRsp Nr. 2017/4592

Darlegung eines erheblichen Grundes für eine Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung; Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid

Ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, unterliegt der Berufung nur insoweit, als sie darauf gestützt werden kann, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist dabei vollständig und schlüssig in der Rechtsmittelbegründung vorzutragen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 55 des Landgerichts Berlin vom 16. Oktober 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 892,50 €.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 20 Abs. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 227 Abs. 1 ; ZPO § 337 ; ZPO § 345 ; ZPO § 514 Abs. 2 S. 1;

Gründe

I.

Der Kläger hat wegen eines ausstehenden Betrages von 892,50 € für von ihm angeblich erbrachte Dienstleistungen zunächst einen Mahn- und im Anschluss daran einen Vollstreckungsbescheid gegen die Beklagte erwirkt, die hiergegen rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Den zunächst auf den 18. Juli 2014 bestimmten Haupttermin, für den das persönliche Erscheinen "eines umfassend bevollmächtigten und sachkundigen Vertreters der Beklagten" angeordnet worden war, hat das Amtsgericht auf Antrag des Beklagtenvertreters auf den 26. September 2014 verlegt; die bisherigen prozessualen Ladungsanordnungen sind unverändert geblieben. Unter dem 3. Juli 2014 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten eine erneute Verlegung des Termins mit der Begründung beantragt, die Geschäftsführerin der Beklagten H. wolle den Termin persönlich wahrnehmen, halte sich zu diesem Zeitpunkt aber beruflich im Ausland auf. Mit Schreiben vom 7. Juli 2014 hat das Amtsgericht den Parteien mitgeteilt, dass eine Verlegung auf den 24. Oktober 2014 in Betracht komme, und um Stellungnahme binnen einer Woche gebeten; zudem hat die Richterin eine Wiedervorlage der Gerichtsakte in zwei Wochen mit dem Hinweis "Termin verlegen" verfügt. Der Klägervertreter hat mit Schriftsatz vom 13. Juli 2014 sein Einverständnis mit der Verlegung erklärt. Unter dem 15. Juli 2014 ist in der Akte eine Wiedervorlage "zur Frist gestr. Bl. 102 (Termin verlegen)" verfügt. Zu einer Verlegung des Termins ist es nicht gekommen. In einem - von der zuständigen Richterin nicht unterzeichneten - Vermerk vom 26. September 2014 heißt es sinngemäß, dass eine Umterminierung in Aussicht gestellt worden, die aus diesem Grund verfügte Wiedervorlage der Akte aber nicht erfolgt und dies bei der Terminvorbereitung nicht aufgefallen sei.

Der für den 26. September 2014 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung hat sodann stattgefunden; für die Beklagte ist niemand erschienen. Auf Antrag des Klägers hat das Amtsgericht daraufhin ihren Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid durch zweites Versäumnisurteil verworfen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung hat die Beklagte die Aufhebung dieses Urteils beantragt, weil ein Fall unverschuldeter Säumnis vorliege. Die allein mit der Sache vertraute Geschäftsführerin H. sei verhindert gewesen und die zuständige Amtsrichterin habe ihrem Prozessbevollmächtigten in einem Telefonat am 9. Juli 2014 die Verlegung auf den 25. Oktober 2014 mündlich bestätigt sowie eine entsprechende Ladung angekündigt. Deshalb habe er den neuen Termin entsprechend notiert und auf die Zusage des Gerichts vertrauen dürfen.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ). Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen verletzt die Verwerfung der Berufung als unzulässig die Beklagte in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ).

1. Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig, weil die Beklagte eine unverschuldete Versäumung des Verhandlungstermins am 26. September 2014, zu dem sie ordnungsgemäß geladen worden sei, nicht schlüssig dargelegt habe. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine die beantragte Verlegung des Termins gebietende Verhinderung der Beklagten vorgelegen habe, weil nicht das persönliche Erscheinen der Geschäftsführerin H. angeordnet gewesen sei. Dies könne aber dahinstehen, weil das Nichterscheinen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen müsse, einen Verstoß gegen die prozessuale Sorgfaltspflicht darstelle. Der für den 26. September 2014 anberaumte Termin sei weder aufgehoben noch verlegt worden, so dass der Prozessbevollmächtigte habe erscheinen müssen. Dabei sei unerheblich, ob er ohne die Anwesenheit der Geschäftsführerin H. zur Sache inhaltlich habe Stellung nehmen können; es könne auch offen bleiben, ob das behauptete Telefongespräch am 9. Juli 2014 zwischen ihm und der zuständigen Richterin stattgefunden habe. Er habe jedenfalls nicht allein aufgrund einer mündlichen Zusicherung und ohne entsprechende Ladung davon ausgehen dürfen, dass der Termin verlegt worden sei. Vielmehr habe er sich persönlich erkundigen und gegebenenfalls einen erneuten Terminverlegungsantrag stellen müssen.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO seien vorliegend nicht gegeben gewesen, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Nach dieser Vorschrift unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das, wie hier gemäß § 345 ZPO , der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung nur insoweit, als sie darauf gestützt werden kann, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist dabei vollständig und schlüssig in der Rechtsmittelbegründung vorzutragen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 2010 - II ZR 233/09, NJW 2010, 2440 Rn. 5 mwN). Dies ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im Streitfall ausreichend geschehen.

a) Zwar war die Säumnis der Beklagten nicht bereits wegen des Antrags ihres Prozessbevollmächtigten, den auf den 26. September 2014 anberaumten Termin nochmals zu verlegen, unverschuldet. Denn der von einer Partei gestellte Antrag auf Verlegung eines Verhandlungstermins entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der Parteidisposition entzogen sind (vgl. Senatsurteil vom 19. November 1981 - III ZR 85/80, NJW 1982, 888 , sowie BGH, Beschluss vom 7. Juni 2010 aaO Rn. 7). Es kann auch auf sich beruhen, ob die Beklagte einen erheblichen Grund (§ 227 Abs. 1 ZPO ) für eine - zur Wahrung des rechtlichen Gehörs zwingende (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2007 - RiZ (R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 31; BVerwG NJW 1991, 2097 ) - Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung dargelegt hat.

Allerdings begegnet die Ansicht des Berufungsgerichts, es liege eine prozessuale Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vor, die ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, weil nicht zumindest er im Termin am 26. September 2014 erschienen sei und er auch nicht nochmals bei Gericht nachgefragt habe, durchgreifenden Bedenken. Denn nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann aufgrund der von der Beklagten behaupteten Zusagen des Gerichts gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der nochmaligen Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung eine solche Pflichtverletzung nicht angenommen und deshalb nicht von einer schuldhaften Versäumung des Termins am 26. September 2014 ausgegangen werden.

b) Auf der Grundlage des Gebots eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK , Art. 19 Abs. 4 , Art. 20 Abs. 3 GG - vgl. hierzu etwa Senatsbeschluss vom 25. Juni 2009 - III ZB 99/08, BeckRS 2009, 21139 Rn. 9) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Versäumnis eines Termins dann als entschuldigt anzusehen ist, wenn die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter auf die erfolgte Stattgabe eines Verlegungsantrags vertrauen dürfen.

Nach den derzeit zugrunde zu legenden Feststellungen sind diese Voraussetzungen im Streitfall gegeben.

Die Beklagte war zwar zu dem bereits einmal verlegten Termin im September 2014 ordnungsgemäß geladen und war in diesem Termin säumig, weil auch ihr Prozessbevollmächtigter nicht erschienen ist. Er hatte allerdings bereits am 3. Juli 2014 einen Antrag auf nochmalige Verlegung der mündlichen Verhandlung gestellt. Daraufhin hat die Richterin den Parteien schriftlich mitgeteilt, eine Terminierung komme auf den 24. Oktober 2014 in Betracht, um Stellungnahme binnen einer Woche gebeten, und eine Wiedervorlagefrist der Akte zur Verlegung des Termins verfügt. Nach Darstellung der Beklagten hat die Richterin ihrem Prozessbevollmächtigten die beabsichtigte Verlegung in einem Telefongespräch am 9. Juli 2014 ausdrücklich bestätigt und ihm mitgeteilt, dass eine Ladung auf den 24. Oktober 2014 entsprechend folgen werde. Da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob dieses vom Kläger bestrittene Telefongespräch zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der zuständigen Richterin geführt worden ist, ist dieses mit dem behaupteten Inhalt für die Beurteilung im Rechtsbeschwerdeverfahren als zutreffend zugrunde zu legen.

Danach musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach dem Telefongespräch mit der Richterin den Termin am 26. September 2014 nicht auch ohne die Geschäftsführerin der Beklagten wahrnehmen oder jedenfalls zuvor nochmals bei Gericht nachfragen. Er konnte und durfte vielmehr aufgrund der mündlichen Äußerungen der zuständigen Richterin von einer Verlegung des Verhandlungstermins ausgehen, zu der es ausweislich eines, von der Richterin allerdings nicht unterzeichneten, Vermerks nur aufgrund eines gerichtlichen Versehens nicht gekommen ist. Auf der Grundlage der Zusage der Richterin, eine neue Ladung werde noch erfolgen, konnte und durfte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf vertrauen, dass der Termin entsprechend nochmals verlegt wird, zumal auch der Kläger sein Einverständnis dazu schriftlich erklärt hatte. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten konnte deshalb erwarten, die angekündigte neue Ladung zu erhalten, und auch ohne ausdrückliche Aufhebung des Termins und bereits vorliegende neue Ladung berechtigterweise annehmen, dass der Termin am 26. September 2014 nicht stattfinden werde, wie er sich dies nach seiner Darstellung auch notiert hatte. Nach dem Inhalt des Gesprächs mit der Richterin und der Zustimmung auch des Klägers bestand für ihn deshalb weder im Hinblick auf den Zeitablauf nach diesem Telefonat noch aufgrund der prozessualen Situation (drohender Erlass eines bereits zweiten Versäumnisurteils) eine erhöhte Sorgfaltspflicht und eine Notwendigkeit, von sich aus nochmals tätig zu werden und etwa einen erneuten Terminverlegungsantrag zu stellen. Er durfte die angekündigte Ladung, nunmehr auf den 24. Oktober 2014, abwarten.

III.

Da nach den bislang getroffenen Feststellungen somit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorlagen, durfte die Berufung der Beklagten auf dieser Grundlage nicht als unzulässig verworfen werden. Das Berufungsgericht wird deshalb weitere Feststellungen, insbesondere zu dem streitigen Telefongespräch zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der zuständigen Richterin, zu treffen und danach eine erneute Beurteilung vorzunehmen haben.

Der angefochtene Beschluss war danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ).

Vorinstanz: AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg, vom 26.09.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 25 C 122/14
Vorinstanz: LG Berlin, vom 16.10.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 55 S 275/14
Fundstellen
NJW-RR 2017, 638