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BSG - Entscheidung vom 22.08.2017

B 9 V 6/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 411 Abs. 3
SGG § 116 S. 2
SGG § 118 Abs. 1 S. 1
ZPO § 397
ZPO § 402
ZPO § 411 Abs. 4

BSG, Beschluss vom 22.08.2017 - Aktenzeichen B 9 V 6/17 B

DRsp Nr. 2017/14679

Ausgleich für Impfschaden Gehörsrüge Vorlage von Fragen an einen Sachverständigen Formfreiheit einer Befragung

1. Unabhängig von der nach § 411 Abs. 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht den Beteiligten gemäß § 116 S. 2 SGG , § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 397 , 402 , 411 Abs. 4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. 2. Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen, z.B. auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. 3. Einwendungen in diesem Sinn sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen. 4. Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. 5. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein; insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Dezember 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das genannte Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H., D. zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; ZPO § 411 Abs. 3 ; SGG § 116 S. 2; SGG § 118 Abs. 1 S. 1; ZPO § 397 ; ZPO § 402 ; ZPO § 411 Abs. 4 ;

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt Versorgungsleistungen wegen eines Impfschadens infolge einer im Jahr 2011 durchgeführten Impfung.

Ein im Jahr 2004 gestellter Antrag auf Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz ( IfSG ) wurde nach medizinischen Ermittlungen abgelehnt (Bescheid vom 12.8.2005). Ihre dagegen erhobene Klage nahm die Klägerin später zurück.

Im Jahr 2007 erneuerte die Klägerin ihren Antrag, den der Beklagte ebenfalls ablehnte (Bescheid vom 1.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 31.10.2008).

Das von der Klägerin angerufene SG hat den Beklagten nach medizinischen Ermittlungen antragsgemäß verurteilt, eine chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) als Impfschaden anzuerkennen und der Klägerin deshalb Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 zu gewähren (Urteil vom 14.6.2013).

Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das SG -Urteil nach weiteren medizinischen Ermittlungen aufgehoben und die Klage abgewiesen. Weder eine unübliche Impfreaktion noch eine grundsätzlich als Schädigungsfolge in Betracht kommende CIDP seien erwiesen (Urteil vom 2.12.2016).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe einen Verfahrensfehler begangen. Es habe den im Berufungsverfahren nach § 109 SGG schriftlich gehörten Sachverständigen Dr. Ha. in der mündlichen Verhandlung nicht nochmals angehört, obwohl sie dies beantragt habe.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Daran fehlt es hinsichtlich beider gerügter Verfahrensmängel. Weder der behauptete Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (1.) noch eine Verletzung rechtlichen Gehörs (2.) sind ordnungsgemäß dargetan worden (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

a) Die Beschwerde hat einen Verstoß des LSG gegen § 103 SGG nicht hinreichend substantiiert dargetan. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG ), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit seines Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 160a RdNr 96 mwN). Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema zudem bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (Fichte, SGb 2000, 653 , 656).

Angesichts dessen bezeichnet der nach ihrem Vortrag in der Berufungsverhandlung hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin, den Sachverständigen Dr. Ha. nochmals anzuhören, keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag. Er enthält weder eine bestimmte Tatsachenbehauptung noch das hypothetische Beweisergebnis. Noch weniger geht er auf die bereits vorliegenden Beweisergebnisse ein.

b) Ebenfalls nicht dargetan ist eine Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 62 SGG , Art 103 GG durch die unterbliebene Anhörung des Sachverständigen Dr. Ha..

Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht den Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG , § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397 , 402 , 411 Abs 4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten (BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 = Juris RdNr 11; vgl auch BSG vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; BGH vom 7.10.1997 - VI ZR 252/96 - NJW 1998, 162 , 163 = Juris RdNr 10 - alle mwN). Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen ( BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 4; BVerwG NJW 1996, 2318 ), zB auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. Einwendungen in diesem Sinn sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (vgl § 411 Abs 4 ZPO ). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl allgemein zu dieser Voraussetzung: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205 , 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftlich Fragen im oben dargelegten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind; liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5). Das gilt auch dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts ausreichend und überzeugend ist und keiner Erläuterung bedarf (BVerfG NJW 1998, 2273 = Juris RdNr 11; BGH NJW 1997, 802 ; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 118 RdNr 12d).

Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, diese Anforderungen im Berufungsverfahren erfüllt zu haben. Ihre Beschwerde zeigt nicht auf und kann auch nicht aufzeigen, dass und welche objektiv sachdienlichen Fragen die Klägerin schriftlich und rechtzeitig angekündigt hätte. Allein ihr Verweis auf eine Fundstelle in der umfangreichen Gerichtsakte kann diese Darlegung nicht ersetzen. Denn zu den Mindestanforderungen der Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes gehört eine verständliche Sachverhaltsschilderung in der Beschwerdebegründung. Sie muss das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr zB BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 13 R 153/06 - Beck RS 2007, 42635 RdNr 9).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

2. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts war ohne hinreichende Erfolgsaussicht (§ 73a Abs 1 , § 1 SGG iVm §§ 116 , 121 ZPO ).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 02.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 13 VG 47/13
Vorinstanz: SG Dortmund, vom 14.06.2013 - Vorinstanzaktenzeichen S 54 (43, 51) VG 255/08