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BSG - Entscheidung vom 27.04.2021

B 9 V 35/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 47

BSG, Beschluss vom 27.04.2021 - Aktenzeichen B 9 V 35/20 B

DRsp Nr. 2021/10019

Anspruch auf Opferentschädigung wegen eines sexuellen Übergriffs Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 12. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; ZPO § 47 ;

Gründe

I

Die Klägerin begehrt Leistungen der Opferentschädigung wegen eines sexuellen Übergriffs durch ihren leiblichen Vater im Jahr 2004.

Die 1981 geborene Klägerin beantragte im Juli 2009 Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ( OEG ) mit der Begründung, ihr leiblicher Vater habe sie im Jahr 2004 während eines gemeinsamen Hotelaufenthalts vergewaltigt. Der Beklagte lehnte den Antrag nach Ermittlungen ab (Bescheid vom 21.7.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.12.2011). Nach den Schilderungen der Klägerin habe es sich um einen gewaltlosen sexuellen Missbrauch einer Erwachsenen gehandelt, der keine Gewalttat iS des § 1 OEG darstelle. Die dagegen erhobene Klage wies das SG ab. Das geschilderte Verhalten verwirkliche keinen Straftatbestand. Das Strafrecht schütze die sexuelle Selbstbestimmung nicht lückenlos. Sexuelle Handlungen unter Verwandten stelle es - mit Ausnahme des vollzogenen Beischlafs - nicht unter Strafe (Gerichtsbescheid vom 20.6.2016).

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin den Berichterstatter (RiLSG W) ebenso wie im Parallelverfahren L 2 VG 66/18 als befangen abgelehnt. Nachdem der Berichterstatter auf dem Weg über das Parallelverfahren von einer schweren gesundheitlichen Krise der Klägerin erfahren habe, habe er im Dezember 2019 unvermittelt im hiesigen Verfahren zu einer mündlichen Verhandlung bereits im Februar 2020 geladen und daran festgehalten. Damit habe er sich rücksichtslos über die mitgeteilten gesundheitlichen Belange der Klägerin hinweggesetzt. Im Parallelverfahren habe er trotz der ihm bekannten Verhandlungsunfähigkeit und der gesundheitsbedingten Unfähigkeit der Klägerin zur Wahrnehmung ihrer Rechte und zur Abgabe von Prozesserklärungen eine Frist zur Abgabe prozessentscheidender Erklärungen gesetzt. Aussagen zur ihrer Gesundheit und fachärztlich mitgeteilte Bedenken und Erforderlichkeiten habe der Berichterstatter aufgrund reiner Sturheit und Voreingenommenheit abgetan. Das LSG hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 4.6.2020 ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zurückgewiesen ( L 2 SF 9/20 AB). Der jedenfalls der Klägerin am 8.6.2020 zugegangene Beschluss führt zur Begründung aus, die Prozessführung des abgelehnten Richters sei vom Verfahrensrecht gedeckt und insbesondere weder willkürlich noch unsachlich. Ebenso wenig unsachlich sei seine dienstliche Stellungnahme und die darin enthaltene entschiedene Zurückweisung des Vorwurfs, er nehme körperliche Schäden und sogar den Tod der Klägerin in Kauf. Die Anhörungsrüge der Klägerin hat das LSG - ebenfalls ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters - mit Beschluss vom 11.6.2020 zurückgewiesen ( L 2 SF 85/20 RG). Den Beschluss hat es den Beteiligten zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 12.6.2020 ausgehändigt.

In der Sache hat das LSG den geltend gemachten Entschädigungsanspruch der Klägerin verneint. Nach der maßgeblichen Rechtslage im Jahr 2004 sei die angeschuldigte Tat nicht strafbar gewesen. Nach ihren eigenen Schilderungen habe die Klägerin keine Ablehnung der sexuellen Handlungen ihres Vaters geäußert. Selbst wenn sie widerstandsunfähig gewesen sein sollte, fehle es jedenfalls an einem korrespondierenden Vorsatz des Täters, diesen Zustand auszunutzen (Urteil vom 12.6.2020).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und verfahrensfehlerhaft gehandelt. Es habe insbesondere ihr rechtliches Gehör verletzt sowie Bedeutung und Tragweite des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter verkannt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensmängel noch eine grundsätzliche Bedeutung ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen deshalb zur Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Diese Anforderungen verfehlt der Vortrag der Klägerin in der Beschwerdebegründung.

a) Die Klägerin hat keinen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters wegen Mitwirkung eines abgelehnten Richters dargelegt. Nach § 557 Abs 2 ZPO (iVm § 202 Satz 1 SGG ) ist das Revisionsgericht an Entscheidungen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, gebunden, sofern sie unanfechtbar sind. Dies gilt grundsätzlich auch für Entscheidungen der Vorinstanz, die ein Ablehnungsgesuch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen haben 60 Abs 1 , § 177 SGG ). Diese Bindung entfällt nur in engen Ausnahmen, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind, oder wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN). Entsprechende substantiierte Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht.

b) In dieser Hinsicht rügt die Klägerin zunächst eine Reihe von vermeintlichen formellen Fehlern bei der Behandlung ihres Ablehnungsgesuchs.

aa) So meint sie, der Beschluss vom 4.6.2020, mit dem das LSG ihr Ablehnungsgesuch gegen den RiLSG W abgelehnt hat, sei zu Unrecht nur ihr und nicht ihrem (damaligen) Prozessbevollmächtigten zugestellt worden; deshalb sei über das Ablehnungsgesuch nicht wirksam entschieden worden. Einen Verfahrensmangel hat sie damit aber nicht aufgezeigt. Selbst wenn die Zustellung des Beschlusses nach § 73 Abs 6 Satz 6 SGG iVm § 172 Abs 1 Satz 1 ZPO allein an den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu richten war, obwohl er ihre Vertretung erst nach Einreichung des Ablehnungsgesuchs durch ihren Ehemann und jetzigen Prozessbevollmächtigten übernommen hatte, hätte § 189 ZPO iVm § 63 Abs 2 SGG eine Heilung der fehlerhaften Zustellung ermöglicht. Ist demnach ein Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, indem es der Person, an die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Anhörungsrüge gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 4.6.2020 erhoben hat, hätte es der Darlegung bedurft, warum der Beschluss ihm trotzdem zuvor nicht zugegangen und dadurch nach § 189 ZPO eventuelle Zustellungsmängel geheilt waren. Im Übrigen kann eine im schriftlichen Verfahren getroffene Entscheidung auch durch anderweitige Verlautbarung rechtliche Existenz annehmen (vgl Senatsbeschluss vom 27.5.2019 - B 9 SB 6/19 B - juris RdNr 4 mwN).

bb) Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, das LSG habe nicht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters verhandeln dürfen, weil ihre Anhörungsrüge gegen die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 4.6.2020 noch nicht erledigt gewesen sei. Zwar sei der Beschluss des LSG vom 11.6.2020 über die Anhörungsrüge ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 12.6.2020 übergeben worden. Die Vorsitzende habe dem Bevollmächtigten aber keine Gelegenheit zur Lektüre eingeräumt, weshalb der Beschluss nicht wirksam zugegangen sei. Indes geht die Klägerin mit diesem Vortrag nicht auf § 63 Abs 2 SGG iVm § 173 ZPO ein. Danach kann die Zustellung durch Aushändigung in der mündlichen Verhandlung erfolgen, wenn der Empfänger zur Annahme bereit ist (vgl BSG Beschluss vom 3.9.2020 - B 14 AS 393/19 B - juris RdNr 5 mwN). Eine Lektüre des übergebenen Schriftstücks setzt § 173 ZPO dagegen ebenso wenig voraus wie die Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses (Schultzky in Zöller, ZPO , 33. Aufl 2020, § 173 RdNr 6). Ohnehin erscheint es fraglich und hätte näherer Ausführungen bedurft, warum allein die Erhebung einer Anhörungsrüge die Wirksamkeit des unanfechtbaren Beschlusses über ein Ablehnungsgesuch berühren könnte (vgl dazu Flint in jurisPK- SGG , 1. Aufl 2017, § 60 SGG RdNr 158 ff mwN, Stand der Einzelkommentierung 15.3.2021).

cc) Schließlich meint die Klägerin, RiLSG W habe jedenfalls bis zur Übergabe des Beschlusses über die Anhörungsrüge unter Verstoß gegen das Tätigkeitsverbot des § 60 Abs 1 SGG iVm § 47 ZPO an der mündlichen Verhandlung teilgenommen. Indes erfolgte hier die Aushändigung des Beschlusses über die Anhörungsrüge zu Beginn der mündlichen Verhandlung. Unabhängig davon hätte die Klägerin sich damit auseinandersetzen müssen, dass ein Verstoß gegen § 47 ZPO unschädlich ist, wenn das Ablehnungsgesuch erfolglos bleibt (Senatsbeschluss vom 1.8.2000 - B 9 SB 24/00 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 29 S 54 f = juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 3.2.2020 - B 14 AS 302/19 B - juris RdNr 3 ff).

c) In der Sache wirft die Klägerin dem als befangen abgelehnten RiLSG W vor allem vor, seine Verfahrensführung sei rechtlich und medizinisch unvertretbar, weil er sich im vorliegenden und im Parallelverfahren insbesondere durch seine unvermittelte Terminsladung, den Verzicht auf weitere Beweiserhebung und die an sie gerichtete Aufforderung zur Stellungnahme innerhalb kurzer Frist rücksichtslos über ihre gesundheitlichen Belange hinweggesetzt habe. Insoweit meint sie auch, der Richter hätte wegen ihrer schweren Traumatisierung einer Begutachtung in ihrem häuslichen Umfeld zustimmen müssen. Darüber hinaus hält sie ihm diverse verfahrensrechtliche Unzulänglichkeiten und inhaltliche Fehler im Verfahren über das Ablehnungsgesuch vor. So seien Telefonate des abgelehnten Richters mit ihrem Ehemann (und jetzigem Bevollmächtigten) nicht dokumentiert worden. Zudem habe der Richter den Sachverhalt in seiner dienstlichen Stellungnahme "zumindest verzerrt" wiedergegeben.

Weiterhin rügt sie: Das LSG habe trotz ihres Antrags keine weitere dienstliche Äußerung des als befangen abgelehnten Richters eingeholt, Verfahrensakten nicht vollständig übersandt, verschiedene Schriftsätze und den Vortrag des Prozessbevollmächtigten sowie ihres Ehemanns übergegangen. Die Entscheidungen über das Ablehnungsgesuch und die Anhörungsrüge seien im Übrigen unverständlich und offensichtlich unhaltbar; sie beruhten auf rechtsfernen Erwägungen.

Mit diesem Vortrag hat die Klägerin jedoch nicht substantiiert dargelegt, warum der ausführlich begründete Beschluss des LSG vom 4.6.2020 auf manipulativen Erwägungen beruhen oder das Recht auf den gesetzlichen Richter grundsätzlich verkannt haben sollte. Nur dann könnte sie - wie oben bereits aufgezeigt - den nach § 177 SGG grundsätzlich unanfechtbaren Beschluss ausnahmsweise im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg angreifen. Das LSG hat darin im Einzelnen dargelegt, warum die Prozessleitung des als befangen abgelehnten Richters der Prozessordnung entsprach, nicht von Willkür oder Unsachlichkeit geprägt war und warum auch dessen dienstliche Äußerung keine Besorgnis der Befangenheit begründete. Das LSG hat ua ausgeführt, wann RiLSG W von der behaupteten Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin erfahren und mit welcher Berechtigung er daraus welche Schlüsse - auch im Parallelverfahren - für die Verfahrensführung, insbesondere für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gezogen und warum er - schon mangels Zustimmung des Beklagten - kein Ruhen des Verfahrens angeordnet hat. Schließlich hat das Berufungsgericht in seinem Beschluss vom 11.6.2020 über die Anhörungsrüge der Klägerin begründet, warum es den (damaligen) Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht in das von ihrem Ehemann (und jetzigem Prozessbevollmächtigten) begonnene und fortgeführte Ablehnungsverfahren einbezogen hat.

Angesichts dessen konnte sich die Klägerin zur Erfüllung ihrer Darlegungsobliegenheiten im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht darauf beschränken, ihre Argumente aus dem Ablehnungsverfahren lediglich zu wiederholen, deren Abhandlung durch das LSG als "rechtsfern und abwegig" sowie vermeintliche oder wirkliche Verfahrensfehler, insbesondere bei der Zustellung von Beschlüssen und das Fehlen einer Gesamtwürdigung aller Umstände durch das LSG zu kritisieren. Damit rügt sie im Ergebnis lediglich eine aus ihrer Sicht falsche Anwendung der Vorschriften über die Ablehnung von Gerichtspersonen 60 Abs 1 SGG iVm §§ 41 ff ZPO ), legt aber weder eine grundsätzliche Verkennung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter und erst recht keine manipulativen Erwägungen des LSG bei der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs dar.

d) Ohnehin ist der Senat außerstande, die zur Begründung des Befangenheitsvorwurfs geäußerten, gravierenden Vorwürfe der Klägerin gegen die Prozessleitung des RiLSG W im vorliegenden und im Parallelverfahren, wie es erforderlich wäre, allein auf der Grundlage der Beschwerdebegründung und den beigefügten Unterlagen nachzuvollziehen. Insbesondere legt die Klägerin den Verfahrensablauf nicht in strukturierter, objektiver und vollständiger Art und Weise, sondern erkennbar nur bruchstückhaft dar. Substantiierte Darlegungen fehlen insbesondere zu den nachgewiesenen gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin und deren Auswirkungen auf ihre Verhandlungsfähigkeit, die sie im Parallelverfahren geltend gemacht hat. Denn die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung weder Verlauf und Stand jenes Verfahrens noch die darin getroffenen medizinischen Feststellungen vollständig und nachvollziehbar mitgeteilt. Dafür genügt weder die Wiedergabe eines einzelnen Attests noch die ansonsten pauschale Angabe, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien in den beiden Verfahren aktenkundig. Es ist nicht Aufgabe des BSG als Beschwerdegericht, sich die erforderlichen Tatsachen aus der angefochtenen Entscheidung des LSG und erst recht nicht aus den Verfahrensakten herauszusuchen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 28.6.2018 - B 9 SB 53/17 B - juris RdNr 5 mwN).

An substantiierten Darlegungen fehlt es auch hinsichtlich der von der Klägerin ausführlich zitierten Vermerke über Telefongespräche ihres Ehemanns mit dem für befangen angesehenen Richter aus dem Parallelverfahren. Wie das LSG in seinem Beschluss über die Anhörungsrüge vom 11.6.2020 ausgeführt hat, waren die darin thematisierten Untersuchungsbedingungen für eine mögliche Begutachtung - Hausbesuch - Gegenstand des Ablehnungsverfahrens ( L 2 SF 10/20 AB) im Parallelverfahren. Auch den dort ergangenen Beschluss hat die Klägerin indes nicht vorgelegt oder inhaltlich wiedergegeben. Deshalb lassen sich der Beschwerdebegründung auch keine schlüssigen Ausführungen darüber entnehmen, ob und wie das LSG bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch im Parallelverfahren die von der Klägerin kritisierte Verfügung des als befangen angesehenen Richters sowie seine angeblichen telefonischen Äußerungen gewürdigt und ob es damit dem Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Richter insgesamt ausreichend Rechnung getragen hat.

e) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters rügt, weil ein ehrenamtlicher Richter mehrfach eingeschlafen sei , hat sie diesen Verstoß ebenfalls nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Um die nicht ordnungsgemäße Besetzung wegen eines "schlafenden Richters" im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu rügen, müssen konkrete Tatsachen - Dauer, Zeitpunkt und Einzelheiten zum Verhalten des Richters - vorgetragen werden, welche seine Konzentration auf wesentliche Vorgänge in der mündlichen Verhandlung ausschließen (vgl BSG Beschluss vom 12.4.2017 - B 13 R 289/16 B - SozR 4-1750 § 547 Nr 3 RdNr 7; BSG Beschluss vom 29.8.2012 - B 13 R 41/12 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 8.4.2005 - B 2 U 414/04 B - juris RdNr 4). Zeichen einer großen Ermüdung, Neigung zum Schlaf, das Kämpfen mit der Müdigkeit, das Schließen der Augen und das - nicht nur auf wenige Minuten beschränkte - Senken des Kopfes auf die Brust sind noch kein sicherer Beweis dafür, dass der Richter die Vorgänge in der Verhandlung nicht mehr wahrnehmen konnte; erst wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung, kann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise "abwesend" ist ( BSG Beschluss vom 12.4.2017 - B 13 R 289/16 B - SozR 4-1750 § 547 Nr 3 RdNr 10). Weiterhin hat die Besetzungsrüge darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist und welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter nicht hat erfassen können ( BSG aaO RdNr 7).

Entsprechende substantiierte Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin macht geltend, der ehrenamtliche Richter H sei während der mündlichen Verhandlung "mehrfach eingeschlafen". Sie räumt allerdings selbst ein, weder sie, ihr Ehemann noch ihr (damaliger) Prozessbevollmächtigter hätten davon etwas bemerkt. Zum Beleg für ihre Behauptung beruft sie sich lediglich auf eine schriftliche "eidesstattliche Versicherung" des "Zeugen" A K. Die Klägerin gibt an, diese sei im Rahmen eines Richterablehnungsverfahrens im Parallelverfahren eingereicht worden. Damit wird aber bereits schon nicht eindeutig klar, ob sich die Erklärung des vermeintlichen Zeugen - unbeschadet der für eine eidesstattliche Versicherung mit Blick auf § 156 StGB nötigen formellen Voraussetzungen (vgl zB § 23 Abs 4 SGB X ) - auf die mündliche Verhandlung im vorliegenden Verfahren bezieht. Die Klägerin teilt mit, das Verfahren sei als sechste Verhandlung an einem Freitagnachmittag terminiert gewesen. Damit bleibt offen, ob sich die Äußerung nicht auch auf die mündliche Verhandlung in einem anderen Verfahren beziehen könnte.

Unabhängig davon behauptet die schriftliche Äußerung lediglich pauschal, der ehrenamtliche Richter sei "mehrfach eingeschlafen", ohne eindeutig die von der Rechtsprechung geforderten sicheren Anzeichen für eine "geistige Abwesenheit" des Richters mitzuteilen, die eine Konzentration auf die mündliche Verhandlung ausschließen. Dabei weckt die schriftliche Erklärung durch ihre Bewertung der Verfahrensführung des Gerichts als "einschüchternd, missachtend und böse" Zweifel an der erforderlichen Tatsachenbezogenheit und dem Fehlen von Belastungstendenzen. Die Behauptung des Prozessbevollmächtigten, seine rechtlichen Ausführungen und die Erörterungen der Klageanträge kurz vor Schluss der mündlichen Verhandlung "dürften vom ehrenamtlichen Beisitzer verschlafen worden sein", bewegt sich mangels eigener Wahrnehmung auf der Ebene einer bloßen Spekulation. Der Senat sieht sich daher nicht gehalten, die von der Klägerin erbetenen dienstlichen Stellungnahmen des entscheidenden LSG-Senats und des nichtrichterlichen Dienstes einzuholen.

f) Ebenso wenig dargelegt hat die Klägerin eine anderweitige Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG ), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird. Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist. Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - juris RdNr 9 mwN). Entsprechende substantiierte Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung der Klägerin trotz der Behauptung systematischer Gehörsverletzungen nicht. Insbesondere zeigt sie nicht auf, welchen wesentlichen Kern des auch nach der allein maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts erheblichen Tatsachenvorbringens das LSG übergangen haben sollte.

aa) Soweit die Klägerin kritisiert, der Berichterstatter habe das Verfahren ohne Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand betrieben und sich dienstlich unsachlich geäußert, ist das LSG - wie sich auch aus der Beschwerdebegründung ergibt - auf diesen Vorwurf eingegangen und hat sich mit den diesbezüglichen Äußerungen der Klägerin auseinandergesetzt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtete das LSG dabei nicht, der Sichtweise der Klägerin zu folgen.

bb) Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung ihres Ablehnungsgesuchs durch das LSG mit Beschluss vom 4.6.2020 rügt, hätte es der substantiierten Darlegung bedurft, warum nicht spätestens die Entscheidung des LSG vom 11.6.2020 über ihre Anhörungsrüge die behaupteten Gehörsverstöße ausgeräumt hat. Hinsichtlich der von der Klägerin für maßgeblich gehaltenen Frage der Bedingungen einer möglichen gutachterlichen Untersuchung - Hausbesuch - und ihrer Handhabung durch den Berichterstatter hat das LSG auf seine Ausführungen im Ablehnungsverfahren L 2 SF 10/20 AB verwiesen. Diese teilt die Klägerin jedoch weder mit noch geht sie näher darauf ein. Der Senat kann daher nicht, wie erforderlich, allein anhand der Beschwerdebegründung beurteilen, ob und wie das LSG einen zentralen Kritikpunkt der Klägerin, der Berichterstatter verweigere ihr in rechtswidriger Weise eine Begutachtung im häuslichen Umfeld, abgehandelt hat. Das gilt auch für den in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf, das LSG gehe nicht auf die zwischen dem Berichterstatter und dem Ehemann der Klägerin diesbezüglich geführten Telefongespräche ein, zumal das LSG diese Gespräche in seinem Beschluss vom 11.6.2020 über die Anhörungsrüge ausdrücklich erwähnt.

cc) Der Schriftsatz des Ehemanns der Klägerin vom 11.6.2020, dessen Übergehen sie rügt, hat das LSG erst nach 21.00 Uhr und damit ersichtlich nach Dienstschluss an diesem Tag erreicht. Das LSG hat den Schriftsatz an die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am folgenden Tag überreicht. Schon angesichts dieses Zeitablaufs konnte die Klägerin nicht ohne Weiteres erwarten, dass das LSG schriftlich auf die von ihr im Kern auch lediglich nochmals wiederholten und vertieften angeblichen Befangenheitsgründe eingehen würde. Jedenfalls zeigt die Klägerin nicht auf, warum das Berufungsgericht auf diesen Schriftsatz trotz Vertretung durch den von ihr bevollmächtigten Rechtsanwalt M und dessen umfänglichen Vortrag überhaupt näher hätte eingehen müssen.

dd) Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend macht, das angefochtene Urteil verletze durch seine Tatsachendarstellung ihr rechtliches Gehör, erschließt sich bereits nicht, welche entscheidungserheblichen Punkte davon betroffen sein könnten. Die Sachverhaltsdarstellung des LSG steht im Zusammenhang mit seiner Prüfung, ob es die Schilderung der Klägerin vom sexuellen Übergriff ihres Vaters seinem Urteil zugrunde legen konnte. Diese Prüfung ist letztlich zugunsten der Klägerin ausgegangen, weil das LSG ihre diesbezüglichen Schilderungen jedenfalls als glaubhaft angesehen hat. Die Klägerin legt nicht dar, welche Relevanz vermeintliche Unrichtigkeiten in der Tatsachendarstellung des Urteils für ihre Rechtsposition haben könnten und warum deshalb ein damit im Zusammenhang stehender (vermeintlicher) Verstoß gegen das rechtliche Gehör überhaupt entscheidungserheblich sein könnte.

2. Ebenso wenig dargelegt hat die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).

Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung.

Die Klägerin hält es für klärungsbedürftig, ob ein rechtswidriger vorsätzlicher tätlicher Angriff im Sinne von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bei einem sexuellen Missbrauch einer Erwachsenen vorliegt, wenn das Einverständnis des Opfers für die sexuelle Handlung fehlt und ein solches Einverständnis auch aus Sicht eines anzunehmenden objektiven Beobachters fehlen würde.

Sie legt aber nicht substantiiert dar, warum sich diese Frage nicht auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung beantworten lässt. Das LSG hat die von der Klägerin geschilderten sexuellen Handlungen ihres Vaters als "moralisch eindeutig verwerflich" bezeichnet, deren Strafbarkeit im Tatzeitpunkt 2004 aber verneint. Die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen und die strafrechtlichen Schlussfolgerungen greift die Klägerin nicht mit zulässigen Verfahrensrügen an. Sie meint vielmehr, das Merkmal der Rechtswidrigkeit des Angriffs iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG müsse im Licht verfassungs- und europarechtlicher Vorgaben weiter verstanden werden als im Sinne einer bloßen Strafrechtswidrigkeit. Eine derartige Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung erfülle auch ohne Strafbarkeit den Tatbestand des § 1 OEG . Insoweit hätte sich die Klägerin aber näher mit der ständigen, von ihr lediglich zitierten Rechtsprechung des Senats auseinandersetzen müssen. Der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG setzt danach - über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus - eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Für diese ist nicht die innere Einstellung des Täters maßgebend, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns, die vor allem als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz verstanden wird (vgl zuletzt Senatsurteil vom 24.9.2020 - B 9 V 3/18 R - juris RdNr 23, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 23). Dieses Tatbestandsmerkmal schließt Handlungen vom Kreis entschädigungspflichtiger Ursachen aus, die - wie der vom LSG festgestellte sexuelle Übergriff ihres Vaters - zwar gesellschaftlich missbilligtes Verhalten darstellen, aber die Schwelle zum kriminellen Unrecht nicht überschreiten (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 62; Senatsurteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 , 278 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72 f = juris RdNr 15, 19). Der Täter muss demnach gegenüber dem Opfer nicht feindselig eingestellt sein; es genügt, wenn sein Verhalten auf Rechtsbruch gerichtet ist und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen lässt (vgl Senatsurteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - juris RdNr 10). Maßgeblich ist die objektive Sicht eines vernünftigen Dritten (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32, 38). Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit zeigt sich durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (Senatsurteil vom 7.4.2011, aaO, RdNr 52 mwN). Ohne das so verstandene Merkmal der Rechtsfeindlichkeit würden im Opferentschädigungsrecht Billigkeitserwägungen drohen und die für die Bewertung des Täterverhaltens maßgebende normative Grenze ihre klaren Konturen verlieren (Senatsurteil vom 7.4.2011, aaO, RdNr 64). Mit diesen höchstrichterlichen Vorgaben setzt sich die Klägerin nicht ausreichend auseinander.

Soweit sie den Klärungsbedarf auf die Senatsrechtsprechung zum "gewaltlosen" Missbrauch von Kindern stützen möchte, geht sie nicht näher darauf ein, dass in den zugrunde liegenden Konstellationen - anders als in ihrem Fall - das Handeln des Täters an sich strafbar war. Fraglich war allein, ob dieses strafbare Handeln sich noch unter den Begriff des tätlichen Angriffs fassen ließ. Der Senat hat den Begriff des tätlichen Angriffs in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen deren besonderer Schutzwürdigkeit erweiternd ausgelegt, die Erstreckung dieses weiteren Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen aber ausdrücklich abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, RdNr 28 mwN).

Das LSG hat seinem Urteil die dargelegte ständige Senatsrechtsprechung zum Begriff des Angriffs iS von § 1 OEG zugrunde gelegt. Auf die abweichende Rechtsansicht der Klägerin brauchte das Berufungsgericht auf dem Boden seiner maßgeblichen (und zutreffenden) Rechtsansicht dabei auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zwingend einzugehen. Wie ausgeführt, verpflichtet Art 103 GG die Gerichte nicht dazu, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Ebenso wenig schützt die Vorschrift davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - juris RdNr 9 mwN).

Soweit die Klägerin meint, das einschlägige Strafrecht müsse sich an der Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben messen lassen, reißt sie die von ihr behauptete verfassungsrechtliche Problematik lediglich an, ohne sich damit in gebotenem Maße auseinanderzusetzen. Wer mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend macht oder sich auf die Verfassungswidrigkeit der höchstrichterlichen Auslegung einer Vorschrift beruft, darf sich dabei aber nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken. Vielmehr muss der Beschwerdeführer unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den gerügten Verfassungsnormen und -prinzipien in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfach gesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG im Einzelnen dargelegt werden. Dabei ist aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und in willkürlicher Weise verletzt hat (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 20.12.2018 - B 9 V 13/18 B - juris RdNr 10 mwN).

Eine solche substantiierte Erörterung insbesondere der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt die Beschwerdebegründung vermissen. Die Klägerin legt bereits nicht dar, ob und welche verfassungsrechtlichen Bedenken im maßgeblichen Zeitpunkt gegen die von den Tatsacheninstanzen zugrunde gelegten Strafrechtsnormen vorgebracht wurden und welche Schlussfolgerungen die Rechtsprechung daraus gezogen hätte.

Soweit die Klägerin darüber hinaus meint, Art 3 Abs 1 GG gebiete eine Gleichbehandlung von Fällen wie ihrem mit solchen einer leichten Körperverletzung, in denen eine Entschädigung nach dem OEG infrage komme, versäumt sie eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Gründen für das Erfordernis einer Strafrechtswidrigkeit eines Angriffs iS von § 1 OEG . Selbst wenn schließlich der strafrechtliche Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, wie die Klägerin meint, im Jahr 2004 verfassungsrechtlich bedenklich gewesen sei, wären solche Zweifel in einem Vorlageverfahren nach Art 100 Abs 1 GG zu § 1 OEG durch das BVerfG zu klären gewesen (Verwerfungsmonopol des BVerfG). Eine die von der Klägerin im Kern erstrebte erweiternde Auslegung des insoweit strafrechtsakzessorischen Opferentschädigungsrechts darf diese Zuständigkeitsverteilung nicht unterlaufen.

Ebenso wenig zeigt die Klägerin auf, warum das am 1.2.2018 in Deutschland in Kraft getretene Übereinkommen des Europarats vom 11.5.2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt - sogenannte Istanbul-Konvention - (vgl Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11.5.2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 17.7.2017, BGBl II 2017, 1026 ) sich rückwirkend auf die Anwendung des Strafrechts im Jahr 2004 und die damit zusammenhängende Auslegung von § 1 OEG auswirken sollte. Die Klägerin behauptet zwar, das Sexualstrafrecht in Deutschland habe im Jahr 2004 eine konventionswidrige Strafbarkeitslücke in Fällen von sexuellen Übergriffen gegen den Willen des Opfers aufgewiesen (zum Streitstand vgl Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB , 3. Aufl 2017, § 177 StGB RdNr 30 mwN). Sie versäumt es jedoch, dies näher zu belegen und sich dafür insbesondere mit der maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung des zuständigen BGH in Strafsachen auseinanderzusetzen.

Soweit die Klägerin weitere Fragen für die Konstellation formuliert, dass das Opfer "objektiv widerstandsunfähig" und deshalb der im Tatzeitpunkt 2004 geltende Straftatbestand des § 179 StGB (sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen) verwirklicht war, legt sie nicht dar, warum der Senat diese Fragen - selbst wenn man sie als Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ansehen wollte - in einem Revisionsverfahren auf der Grundlage der für ihn nach § 163 SGG bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG klären könnte. Dieses hat eine Strafbarkeit des Vaters der Klägerin nach der 2004 geltenden Rechtslage wegen des sexuellen Übergriffs zumindest mangels Vorsatzes ausdrücklich verneint. Daran ist der Senat nach § 163 SGG gebunden.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 12.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 2 VG 44/16
Vorinstanz: SG Kiel, vom 20.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 15 VG 270/11