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BSG - Entscheidung vom 01.06.2017

B 10 ÜG 30/16 B

Normen:
EMRK Art. 13
EMRK Art. 41
EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20
GG Art. 3 Abs. 1
GVG § 198
SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3
SGG § 160a Abs. 2 S. 3
SGG § 183 S. 6
SGG § 197a Abs. 1 Hs. 1 2. Alt.
SGG § 202
SGG § 60 Abs. 1
SGG § 62
ZPO § 127 Abs. 2
ZPO § 42 Abs. 2
ZPO § 557 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 01.06.2017 - Aktenzeichen B 10 ÜG 30/16 B

DRsp Nr. 2017/10969

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren Bezeichnung des Verfahrensmangels einer rechtswidrigen Ablehnung von Prozesskostenhilfe Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache Zulässigkeit der Erhebung von Gerichtsgebühren bei Klagen auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

1. Grundsätzlich ist die Rüge gegen die unanfechtbare Ablehnung einer PKH-Gewährung ausgeschlossen. Daher kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel nicht die rechtswidrige Ablehnung von PKH als solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die verfassungsrechtlich fundierte prozessuale Gewährleistungen verletzt, weil sie auf Willkür beruht und damit gegen Art. 3 Abs. 1 SGG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verstößt. 2. Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen. Wer eine Verfassungsverletzung geltend macht, darf sich dabei nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und ggf. des BSG zu den gerügten Verfassungsnormen in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (hier verneint für die Frage, ob die Erhebung von Gerichtsgebühren gemäß § 183 S. 6, § 197 Abs. 1 Halbs. 1, Alt. 2 SGG mit Art. 13 EMRK bzw Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist und ob ein nationales Gericht in Verfahren nach dem ÜGG bzw. § 202 S. 2 SGG in Verbindung mit §§ 198ff GVG von der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 , 13 , 41 EMRK zum Nachteil des Klägers in einem wegen überlanger Verfahrensdauer geführten Verfahren abweichen darf).

Die Gegenvorstellung des Klägers gegen den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 7. September 2016 (B 10 ÜG 3/16 BH) wird als unzulässig verworfen.

Die mit Beschluss vom 7. September 2016 festgesetzte Rate in Höhe von 1138 Euro, die der Kläger aus seinem Vermögen zu zahlen hat, wird am 1. September 2017 fällig.

Normenkette:

EMRK Art. 13 ; EMRK Art. 41 ; EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; GG Art. 103 Abs. 1 ; GG Art. 19 Abs. 4 ; GG Art. 20 ; GG Art. 3 Abs. 1 ; GVG § 198 ; SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 ; SGG § 160a Abs. 2 S. 3; SGG § 183 S. 6; SGG § 197a Abs. 1 Hs. 1 2. Alt.; SGG § 202 ; SGG § 60 Abs. 1 ; SGG § 62 ; ZPO § 127 Abs. 2 ; ZPO § 42 Abs. 2 ; ZPO § 557 Abs. 2 ;

Gründe:

I

Mit Beschluss vom 7.9.2016 (B 10 ÜG 3/16 BH) hat der Senat dem Kläger für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG vom 16.12.2015 PKH bewilligt und ihm Rechtsanwältin K G, B E beigeordnet. Zugleich hat ihm der Senat auferlegt, eine einmalige Rate aus seinem Vermögen in Höhe von 1138 Euro zu zahlen. Hiergegen hat sich der Kläger mit der "Gegenvorstellung" im Schreiben seiner Rechtsanwältin vom 21.11.2016 gewandt und begehrt die Aufhebung der Einmalzahlung aus seinem Vermögen in Höhe von 1138 Euro.

II

Die Gegenvorstellung ist unzulässig und daher zu verwerfen (1.). Der sinngemäße Antrag auf Änderung der Bewilligung ist abzulehnen (2.).

1. Die Änderung einer an sich unanfechtbaren Entscheidung auf eine Gegenvorstellung hin setzt voraus, dass die getroffene Entscheidung in offensichtlichem Widerspruch zum Gesetz steht und insbesondere unter Verletzung von Grundrechten ergangen ist, sodass sie im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte, oder dass die Entscheidung zu einem groben prozessualen oder sozialen Unrecht führt ( BSG vom 8.11.2006 - B 2 U 5/06 C - SozR 4-1500 § 178a Nr 6 RdNr 6 mwN). Einen derart schwerwiegenden Rechtsverstoß hat der Kläger nicht dargetan.

2. Nach § 120a Abs 1 ZPO soll das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die PKH maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verändert haben. Zwar gibt der Kläger an, sein Vermögen auf dem Tagesgeldkonto sowie auf dem Girokonto verringere sich seit der Bewilligung der PKH mit Beschluss vom 7.9.2016 kontinuierlich, da er dieses Geld zusätzlich zu den Leistungen, die er nach dem SGB II vom Jobcenter München erhält, für die Bestreitung seinen Lebensunterhalts benötigte. Indes führt ein Antragsteller, der mit Kosten für einen bevorstehenden oder bereits in Gang gesetzten Rechtstreit rechnen musste, und trotzdem sein Vermögen durch nicht dringend notwendige Ausgaben verbraucht, seine Bedürftigkeit rechtsmissbräuchlich selber herbei (vgl BGH, NJW-RR, 2008, 953 ; Kießling in Saenger, ZPO , 7. Aufl 2017, § 115 RdNr 74 f). Hat ein Beteiligter sich deshalb seines Vermögens ohne dringende Notwendigkeit ersatzlos entäußert, so kann er sich nicht auf Bedürftigkeit berufen, wenn das Vermögen zur (Teil-)Finanzierung des Prozesses ausgereicht hätte (vgl Reichling in Beck'scher Online-Komm, ZPO , Vorwerk/Wolf, Stand 1.12.2016, § 115 RdNr 87 mwN). Ihm ist dann zuzumuten, verbleibendes Vermögen auch insoweit für die Prozessführung einzusetzen, als ihm dann nicht mehr der Schonbetrag nach § 115 Abs 3 S 2 ZPO iVm § 90 SGB XII verbleibt (vgl OLG Bamberg Beschluss vom 8.4.1992 - 2 WF 26/92 - Juris; Fischer in Musilak/Voit, ZPO , 13. Aufl 2016, § 115 RdNr 55 mwN). Die im Rahmen des SGB II geltenden höheren Schonbeträge, auf die sich der Kläger beruft, sind insoweit ohnehin unerheblich (vgl Zeihe, SGG , Stand August 2016, Anhang 8, § 115 ZPO RdNr 28c).

Der Kläger hat nicht nachvollziehbar vorgetragen, weshalb der stetige Verbrauch seines Vermögens dringend notwendig war und nunmehr die Überwälzung der Prozesskosten auf den Fiskus rechtfertigt, wenn doch sein laufendes Einkommen, wie er selbst einräumt (Seite 2 seines Schriftsatzes vom 21.11.2016) sein Existenzminimum sichert. Insoweit ist ihm vielmehr zuzumuten, seine laufenden Lebenshaltungskosten aus den Zahlungen des Jobcenters München zu bestreiten. Sofern sein persönlicher Lebensstandard die ihm nach dem SGB II zustehenden Leistungen übersteigt, ist es nicht Sache der Staatskasse, für seine entstehenden Prozesskosten aufzukommen, wenn zu Beginn des Prozesses nach § 115 Abs 3 ZPO einzusetzendes Vermögen vorhanden war. Dass dieser Einsatz nach § 115 Abs 3 S 1 ZPO nicht zumutbar ist bzw war, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die gesetzlichen Voraussetzungen der PKH nehmen wegen deren sozialhilferechtlichen Charakter keine Rücksicht darauf, ob dem Betroffenen sein eigener angemessener Unterhalt verbleibt; sie belassen ihm nur das zum Leben Notwendige (vgl BSG SozR 3-1750 § 115 Nr 1). Tatsächlicher Vermögenslosigkeit des Klägers kann bei der Festsetzung der Zahlungsmodalitäten bzw der Vollstreckung Rechnung getragen werden.

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 16.12.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 8 SF 128/12