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BSG - Entscheidung vom 18.04.2006

B 3 P 23/05 B

Normen:
HeimG § 7 Abs. 3
HeimGÄndG 3 Art. 1 Nr. 4
SGB I § 15 Abs. 1
SGB XI § 85 Abs. 6 S. 1 Halbs. 2
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluß vom 18.04.2006 - Aktenzeichen B 3 P 23/05 B

DRsp Nr. 2006/20411

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde

Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage ist es erforderlich, eine grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (hier zum Darlegungserfordernis der Frage, ob ein Pflegeversicherungsträger verpflichtet ist, Auskünfte an Dritte über solche Verhandlungen zu erteilen, die zum Abschluss einer Pflegevergütungsvereinbarung geführt haben und der möglichen Auswirkungen der zum 1.1.2002 per Gesetzesänderung in § 7 Abs. 3 HeimG eingeräumten Auskunfts- und Einsichtnahmemöglichkeiten von Heimbewohnern auf einen Auskunftsanspruch des Pflegebedürftigen gegenüber den Pflegekassen). [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

HeimG § 7 Abs. 3 ; HeimGÄndG 3 Art. 1 Nr. 4 ; SGB I § 15 Abs. 1 ; SGB XI § 85 Abs. 6 S. 1 Halbs. 2 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 § 160a Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

I. Die nicht bei der Beklagten, wohl aber bei einer anderen Pflegekasse versicherte M. P. (P) war von Juli 1995 bis zu ihrem Tode am 21. März 2001 im Pflegeheim des Beigeladenen vollstationär untergebracht. Dem lag ein Pflegeheimvertrag zu Grunde, nach dessen § 6 Abs 4 der Beigeladene bei einer Veränderung der Berechnungsgrundlagen eine Erhöhung des Pflegesatzes (Heimentgelts) durch einseitige Erklärung vornehmen konnte. Im Januar 1999 erhöhte der Beigeladene den monatlichen Pflegesatz auf 4.125,45 DM, wodurch der von P zu erbringende Eigenanteil von 926,81 DM auf 1.625,56 DM pro Monat anstieg. Dieser Erhöhung waren Verhandlungen über eine Pflegevergütungsvereinbarung für das Jahr 1999 vorangegangen, die die Beklagte im Auftrag der übrigen Pflegekassen des Landes Schleswig-Holstein mit dem Beigeladenen geführt hatte. Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der verstorbenen P und beabsichtigt, gegenüber dem Beigeladenen Rückzahlungsansprüche geltend zu machen, weil sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zum Jahresbeginn 1999 vorgenommenen Pflegesatzerhöhung hat. Deshalb begehrt sie Einsicht in sämtliche Verhandlungsunterlagen, die für den Abschluss der Pflegevergütungsvereinbarung 1999 maßgeblich gewesen sind; dies lehnte die Beklagte ab. Die Klage auf Auskunft und Einsicht in die Verhandlungsunterlagen der Beklagten ist erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts vom 12. Oktober 2004 und des Landessozialgerichts [LSG] vom 26. August 2005). Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich weder aus dem Heimvertrag noch aus § 15 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB I ). Diese Vorschrift normiere zwar einen Auskunftsanspruch, allerdings nur in "sozialen Angelegenheiten" - um eine solche handele es sich vorliegend aber nicht. Die Klägerin besitze auch keinen Auskunftsanspruch aus § 35 Abs 2 SGB I , weil die den Verhandlungen über die Pflegevergütungsvereinbarung zu Grunde liegenden Daten geschützten Sozialdaten iS von § 35 Abs 4 SGB I gleichgestellt seien und keine Pflicht bestehe, diese Dritten gegenüber - auch nicht Heimbewohnern bzw deren Rechtsnachfolgern - zu offenbaren. Ein Auskunftsanspruch könne schließlich auch nicht aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches ( BGB ) abgeleitet werden, weil das SGB insoweit abschließende Regelungen enthalte.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 2, 169 Satz 1 bis 3 SGG ).

Die Klägerin macht geltend, das angegriffene Urteil betreffe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist es erforderlich, eine grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 und SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist (Bundessozialgericht [BSG] SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65), sie also im Falle der Revisionszulassung entscheidungserheblich wäre (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Deren Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Die Klägerin rügt im Wesentlichen die Rechtsauffassung des LSG zum Begriff "soziale Angelegenheit" iS von § 15 SGB I und hält für bedeutsam, diesen Begriff höchstrichterlich weiter zu entwickeln und grundsätzlich zu klären, ob ein Pflegeversicherungsträger verpflichtet ist, Auskünfte an Dritte (Pflegebedürftige bzw deren Rechtsnachfolger) über solche Verhandlungen zu erteilen, die zum Abschluss einer Pflegevergütungsvereinbarung geführt haben. Die Beantwortung dieser Frage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden; sie hatte auch zumindest für die Zeit bis zum Jahresende 2001 grundsätzliche Bedeutung, wobei ein etwaiger Auskunftsanspruch allerdings nicht aus § 15 SGB I hätte abgeleitet werden können (vgl BSGE 59, 76 = SozR 1300 § 67 Nr 2), sondern allenfalls aus einer analogen Anwendung des § 666 BGB (vgl BSG SozR 3-2400 § 28l Nr 1). Denn die Interessen der Pflegebedürftigen bei der Festlegung des Pflegesatzes werden von den Pflegekassen treuhänderisch mit wahrgenommen; dies folgt aus dem auf § 85 Abs 6 Satz 1, 2. Halbsatz Elftes Buch Sozialgesetzbuch basierenden und einem dem zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag ähnlichen Treuhandverhältnis zwischen den Pflegekassen als Parteien der Pflegesatzvereinbarung und den Pflegeheimbewohnern (vgl BSGE 87, 199 , 201 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1). Allerdings hat die Klägerin nicht dargetan, dass diese Rechtsproblematik noch allgemeine und über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, also von einer Entscheidung des BSG erwartet werden kann, sie werde in einer bisher noch nicht geschehenen und die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln oder vereinheitlichen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 11 und 39). Hierzu hätte Veranlassung bestanden, denn der Gesetzgeber hat zum Jahresbeginn 2002 in § 7 Abs 3 Heimgesetz ( HeimG ) ein Recht der Heimbewohner auf Information und Auskunft durch den Heimträger für das Verfahren zur Erhöhung des Heimentgelts eingeführt und in Satz 4 dieser Vorschrift ausdrücklich bestimmt, dass die Heimbewohner und der Heimbeirat Gelegenheit erhalten müssen, die Angaben des Heimträgers durch Einsichtnahme in die Kalkulationsunterlagen zu überprüfen. Deshalb hätte die Klägerin darlegen müssen, dass die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage auch nach dieser Gesetzesänderung weiterhin klärungsbedürftig ist und welche Auswirkungen die nach dem HeimG nunmehr eingeräumten Auskunfts- und Einsichtnahmemöglichkeiten auf den geltend gemachten Auskunftsanspruch gegenüber den Pflegekassen haben. Dies gilt umso mehr, als sich das LSG auch schon mit dieser Problematik befasst und aus der gesetzlichen Neuregelung geschlossen hat, damit sei ein Auskunftsanspruch gegenüber den Pflegekassen seitdem jedenfalls ausgeschlossen (LSG-Urteil, Umdruck S 12). Eine Auseinandersetzung hiermit wäre erforderlich gewesen, um die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können, denn die Zulassung erfolgt zur jetzigen und künftigen Wahrung und Herstellung von Rechtseinheitlichkeit, nicht jedoch zur Klärung einer nur für die Vergangenheit bedeutsamen Rechtsfrage, die allein zur Entscheidung eines Rechtsstreits im Einzelfall erheblich ist (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, IX. Kap RdNr 182 mwN).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und nicht - wie das LSG meint - aus § 197a SGG . Die Klägerin gehört als Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten P (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB I ) zum kostenmäßig privilegierten Personenkreis des § 183 SGG . Streitig sind auf die Rechtsnachfolgerin übergegangene Ansprüche der P "in ihrer Eigenschaft als Versicherte", denn es handelt sich um einen versicherungsrechtlich begründeten Auskunftsanspruch über die Grundlagen der Pflegesatzberechnung, der unter anderem aus der Treuhänderstellung der Pflegekassen abgeleitet wurde. Eine Korrektur der LSG-Entscheidung über den Kostenausspruch kam indes nicht in Betracht, weil dies im Rahmen eines unzulässigen Rechtsmittels nicht möglich ist (so schon BFH, Beschluss vom 23. November 1999 - VII B 310/98 -, BFH/NV 2000, 588 ; vgl auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG , 8. Aufl 2005, § 193 RdNr 16).

Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 26.08.2005 - Vorinstanzaktenzeichen L 3 P 4/05
Vorinstanz: SG Lübeck, vom 12.10.2004 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 P 20/02