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BGH - Entscheidung vom 07.04.2020

XIII ZB 84/19

Normen:
FamFG § 427

Fundstellen:
NVwZ 2020, 1296

BGH, Beschluss vom 07.04.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 84/19

DRsp Nr. 2020/6278

Rechtmäßigkeit einer Abschiebungshaft; Prüfung des Vorliegens eines zulässigen Haftantrags; Vorliegen eines Verfahrensfehlers bei Durchführung einer Anhörung ohne eine anwaltlichen Vertretung

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 18. April 2019 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 24. Januar 2019 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Salzgitter auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 427 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2001 unter einem Aliasnamen ohne Erlaubnis in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet zurück. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Die Ausreisepflicht des Betroffenen ist seit dem 10. Juli 2002 vollziehbar.

Nachdem der Betroffene, der seit seiner Einreise mehrfach wegen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurde, die Vaterschaft eines 2003 geborenen Kindes anerkannt hatte, erteilte ihm die zuständige Behörde eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der elterlichen Sorge. Den Kontakt zu seinem Kind brach er in der Folge ab, woraufhin die Behörde seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnte und seine mittlerweile in Bestandskraft erwachsene Ausweisung verfügte. Nach Androhung der Abschiebung tauchte der Betroffene unter.

Im Jahr 2013 ordnete das Amtsgericht Braunschweig gegen den Betroffenen Abschiebungshaft an, welche auch vollzogen wurde. Nachdem die Abschiebung jedoch an fehlenden Ausweisdokumenten scheiterte, wurde er aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Braunschweig im Jahr 2018 zur Sicherung der Abschiebung erneut in Haft genommen und von dort aus der nigerianischen Botschaft vorgeführt. Die nachfolgend geplante Abschiebung scheiterte wegen massiver Widerstandshandlungen des Betroffenen.

Um einen erneuten, für den 30. Januar 2019 geplanten Abschiebungsversuch zu sichern, hat die beteiligte Behörde mit Schriftsatz vom 16. Januar 2019 beim Amtsgericht Braunschweig Abschiebungshaft bis zum 6. Februar 2019 sowie eine einstweilige Anordnung zum Zwecke der Inhaftnahme beantragt. Sie hat dabei darauf hingewiesen, dass der Betroffene anwaltlich vertreten werde. Das Amtsgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 23. Januar 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Entziehung der Freiheit des Betroffenen vom 24. bis zum 27. Januar 2019 angeordnet. Nach Festnahme des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht am 24. Januar 2019 unter Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört. Der Betroffene hat dabei um die Anwesenheit seines Rechtsanwalts gebeten. Das Amtsgericht hat dem Betroffenen daraufhin Gelegenheit gegeben, telefonisch zu seinem Bevollmächtigten Kontakt aufzunehmen. Nachdem der Betroffene dem Gericht mitgeteilt hatte, dass sein Bevollmächtigter erst nach 18.00 Uhr zu sprechen sei, hat das Amtsgericht die Anhörung fortgesetzt und durch Beschluss vom selben Tag die Abschiebungshaft antragsgemäß bis zum 6. Februar 2019 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 18. April 2019 zurückgewiesen, ohne den Betroffenen erneut anzuhören.

Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen, nachdem er zwischenzeitlich abgeschoben worden ist.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfahrensweise des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

1. Das Beschwerdegericht hat die Anordnung der Abschiebungshaft durch das Amtsgericht für rechtmäßig gehalten, obwohl das Amtsgericht dem Betroffenen verfahrensfehlerhaft nicht die Gelegenheit gegeben habe, seinem Verfahrensbevollmächtigten die Anwesenheit bei dessen Anhörung zu ermöglichen. Eine Rechtswidrigkeit der Haftanordnung sei nur dann anzunehmen, wenn der Verfahrensfehler von derartigem Gewicht sei, dass sich deswegen das ganze Verfahren als rechtswidrig darstelle. Dies sei hier nicht der Fall. Das Amtsgericht habe erst im Anhörungstermin davon Kenntnis erlangt, dass der Betroffene anwaltlich vertreten werde. Ein Gericht, das von der Vertretung im Termin überrascht werde, habe nicht die Pflicht, den Termin zu verlegen.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 und 20; vom 27. September 2018 - V ZB 96/18, juris Rn. 7 ff.; vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 4, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7). Erfährt das Gericht während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 4). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

b) Das Amtsgericht hat die Haft auf der Grundlage einer Anhörung angeordnet, an der der anwaltliche Beistand des Betroffenen nicht teilnehmen konnte, obwohl der Betroffene seinen Wunsch nach dessen Hinzuziehung im Verlauf der Anhörung eindeutig geäußert hatte. Dem hat das Amtsgericht, welchem die anwaltliche Vertretung schon ausweislich des Hinweises der beteiligten Behörde in der Antragsschrift nicht verborgen geblieben sein konnte, nicht wie geboten Rechnung getragen. Vielmehr hätte es den Bevollmächtigten nach Inhaftnahme des Betroffenen selbst über die anberaumte Anhörung informieren und ihm Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung im Hauptsacheverfahren - gegebenenfalls durch Anberaumung eines neuen Termins unter Anordnung einer weiteren kurzzeitigen Haft im Wege einer erneuten einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG (BGH, Beschluss vom 27. September 2018 - V ZB 96/18, juris Rn. 9) - teilzunehmen.

Die Annahme des Beschwerdegerichts, das Amtsgericht sei im Anhörungstermin von der anwaltlichen Vertretung des Betroffenen überrascht worden, trifft angesichts der Angaben der beteiligten Behörde in der Antragsschrift schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Aber auch die auf der unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhende Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts, die Rechte des Betroffenen seien in einer derartigen Verfahrenssituation eingeschränkt, steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 5). Selbst wenn das Amtsgericht bis zur dessen diesbezüglicher Erklärung im Anhörungstermin von einer anwaltlichen Vertretung des Betroffenen keine Kenntnis gehabt hätte, wäre es nicht von der Pflicht entbunden gewesen, einen neuen Termin anzuberaumen, um die Anwesenheit eines Verfahrensbevollmächtigten zu ermöglichen.

Der Betroffene hat entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch nicht nur allgemein im Sinne eines Antrags auf Verfahrenskostenhilfe nach einem Rechtsanwalt gefragt. Seine Bitte um Teilnahme eines konkret benannten Rechtsanwalts ließ erkennen, dass es ihm darum ging, einen Beistand - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe - zu dem Termin hinzuzuziehen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 5, und vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 5).

c) Eine Heilung des Verfahrensfehlers - die mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 25) - ist auch in der Beschwerdeinstanz nicht eingetreten. Sie setzt eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen voraus (BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2017 - V ZB 167/16, juris Rn. 9, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 9). Eine solche Anhörung ist indes nicht erfolgt.

Vorinstanz: AG Braunschweig, vom 24.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 7/19
Vorinstanz: LG Braunschweig, vom 18.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 8 T 152/19
Fundstellen
NVwZ 2020, 1296