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BGH - Entscheidung vom 11.10.2017

V ZB 167/16

Normen:
FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
FamFG § 71
FamFG § 425 Abs. 3

BGH, Beschluss vom 11.10.2017 - Aktenzeichen V ZB 167/16

DRsp Nr. 2018/279

Verlängerung der Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft; Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten zu der Anhörung des Betroffenen in einem Freiheitsentziehungsverfahren

Einem Verfahrensbevollmächtigten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Termin zur Anhörung des Betroffenen teilzunehmen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft bzw. zur Rechtswidrigkeit der Aufrechterhaltung der Haft. Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 22. November 2016 und der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 29 - vom 1. Dezember 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 ; FamFG § 71 ; FamFG § 425 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, der sich zuvor in Norwegen aufgehalten hatte, reiste am 4. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom 18. August 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den von ihm gestellten Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Norwegen an. Der hiergegen erstrebte verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz blieb ohne Erfolg.

Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 4. November 2016 Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen bis zum 23. November 2016 an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück.

Nachdem die geplante Rücküberstellung des Betroffenen am 21. November 2016 nicht erfolgen konnte, hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 22. November 2016 die Haft bis zum 23. Dezember 2016 verlängert. Die hiergegen seitens des Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 1. Dezember 2016 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Der Senat hat die Vollziehung der Sicherungshaft mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene beantragt nunmehr, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Beschwerdegericht meint, der Haftverlängerungsantrag sei zulässig. Auch lägen die materiellen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Sicherungshaft vor. Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen sei abzusehen gewesen, weil seit der Anhörung durch das Amtsgericht nur ein geringer Zeitraum vergangen und nicht ersichtlich sei, dass seitdem neue, eine abermalige Anhörung erforderlich machende Umstände eingetreten seien. Ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens, weil der Bevollmächtigte des Betroffenen an dessen Anhörung durch das Amtsgericht nicht habe teilnehmen können, liege nicht vor. Es sei nicht erkennbar, welcher Gesichtspunkt bei Anwesenheit des Bevollmächtigten oder bei vorheriger Zusendung des Haftantrags zusätzlich hätte vorgebracht werden können. Es sei lediglich um die Verlängerung der Haft gegangen; die Tatsachen und Umstände seien aus dem vorherigen Verfahren bekannt gewesen.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG ) Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Die Anordnung der Haftfortdauer durch das Amtsgericht hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil ihm bei dessen Anhörung ein schwerer Verfahrensfehler unterlaufen ist.

a) Einem Verfahrensbevollmächtigten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Termin zur Anhörung des Betroffenen teilzunehmen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 und 20 mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft bzw. - soweit es um das Verfahren vor dem Beschwerdegericht geht - zur Rechtswidrigkeit der Aufrechterhaltung der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 7 f.; Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 13; Beschluss vom 13. Juli 2017 - V ZB 89/16, [...] Rn. 5). Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (Senat, Beschluss vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7).

b) Das Amtsgericht hat gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. Es hat, nachdem ihm der Haftverlängerungsantrag am 22. November 2016 um 10.33 Uhr per Fax übermittelt wurde, für den gleichen Tag um 13.30 Uhr einen Anhörungstermin bestimmt. Der Verfahrensbevollmächtigte hat daraufhin noch vor dem Anhörungstermin dessen Verlegung beantragt, wobei er darauf hingewiesen hat, dass ihm weder der Haftverlängerungsantrag übermittelt worden noch ein Erscheinen um 13.30 Uhr möglich sei. Letzteres war im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe und die räumliche Entfernung - der Verfahrensbevollmächtigte hat seinen Sitz in Hannover, während die Anhörung in Hamburg stattfinden sollte - offenkundig. Vor diesem Hintergrund durfte das Amtsgericht den Verlegungsantrag nicht zurückweisen und die Anhörung des Betroffenen ohne dessen Verfahrensbevollmächtigten durchführen.

2. Eine Heilung des Verfahrensfehlers - die mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 25) - ist auch in der Beschwerdeinstanz nicht eingetreten. Sie setzt eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen voraus, die nicht erfolgt ist.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Hamburg, vom 22.11.2016