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BGH - Entscheidung vom 27.09.2018

V ZB 96/18

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5
AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2

BGH, Beschluss vom 27.09.2018 - Aktenzeichen V ZB 96/18

DRsp Nr. 2018/17169

Darlegung und Begründung des Haftantrags i.R.d. Anordnung der Sicherungshaft bei Ausreisepflicht eines Betroffenen

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 12. Mai 2018 und der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 18. Zivilkammer - vom 23. Mai 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Regierungsbezirk Mittelfranken auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5; AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein äthiopischer Staatsangehöriger, reiste eigenen Angaben zufolge am 5. Dezember 2011 in das Bundesgebiet ein und stellte unter einem Aliasnamen einen Asylantrag, der im Jahr 2013 abgelehnt wurde. Ihm wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht. Eine für 11. Mai 2018 geplante Abschiebung scheiterte an der Weigerung des Betroffenen, in das Flugzeug zu steigen.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. Mai 2018 Abschiebungshaft bis längstens 11. August 2018 angeordnet. Nachdem der Senat die Vollziehung der Sicherungshaft durch Beschluss vom 3. Juli 2018 einstweilen ausgesetzt hat, will der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung feststellen lassen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht und deren Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

1. Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13, juris Rn. 6 mwN; Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 5; Beschluss vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, NVwZ 2017, 1231 Rn. 6).

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 12. Mai 2018 nicht, weil er keine ausreichenden Angaben zu der notwendigen Haftdauer enthält. Die beteiligte Behörde führt zwar aus, dass ein bis zum 13. Mai 2018 gültiges Laissez-Passer verlängert werden müsse, was innerhalb von drei Werktagen erfolgen könne, und dass eine Sicherheitsbegleitung durch die Bundespolizei erforderlich sei. Nach Rücksprache mit der für die Organisation von Luftabschiebungen zuständigen Polizeiinspektion Schubwesen könne eine solche begleitete Abschiebung nach Äthiopien innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden. Es müsse zunächst ein entsprechendes Ersuchen an das Bundespolizeipräsidium gerichtet und an die Bundespolizeidienststelle am Abflughafen zur weiteren Bearbeitung übermittelt werden. Anschließend müssten das erforderliche Begleitpersonal angefordert, die Flugbuchung veranlasst, Visa für die eingesetzten Beamten beantragt und mit Vorlaufzeit die Rückführung den äthiopischen Behörden angekündigt werden. Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist und die Frist von drei Monaten nur die obere Grenze der möglichen Haft und nicht deren Normaldauer bestimmt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ; Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, InfAuslR 2014, 99 Rn. 9; Beschluss vom 11. Februar 2016 - V ZB 24/14, juris Rn. 7; Beschluss vom 13. Oktober 2016 - V ZB 22/16, juris Rn. 6) aber unzureichend. Die Begründung stellt eine in einer Vielzahl von Verfahren einsetzbare Leerformel dar, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt. Sie lässt nicht erkennen, welchen zeitlichen Rahmen die einzelnen Verfahrensschritte für die Vorbereitung der begleiteten Abschiebung nach Einschätzung der Behörde beanspruchen werden. Damit ist nicht nachvollziehbar, warum dies voraussichtlich einen Zeitraum von drei Monaten beanspruchen wird und dass dieser Zeitraum im konkreten Fall der kürzest möglichen Haftdauer entspricht.

c) Der Mangel des Haftantrages ist auch nicht nachträglich geheilt worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 22 mwN). Die Behörde hat ihre Darlegungen nicht ergänzt. Das Amtsgericht hat zwar in dem Beschluss auf die hohe Auslastung der Sicherheitskräfte im Hinblick auf die Zunahme der begleiteten Abschiebungen hingewiesen. Welchen Zeitraum die einzelnen Verfahrensschritte für die Vorbereitung der begleiteten Abschiebung beanspruchen werden, hat es aber nicht festgestellt. Das wäre für eine Heilung erforderlich gewesen.

2. Ferner hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 u. 20 mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7).

b) Hier hat das Amtsgericht die Haft auf der Grundlage einer Anhörung angeordnet, an der der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nicht teilnehmen konnte. Es hat den Betroffenen, der sich seit dem 11. Mai 2018 in Polizeigewahrsam befand, am Abend des 12. Mai 2018, einem Samstag, angehört. Das entsprach zwar der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der unverzüglichen Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung durch den Richter (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ; vgl. BVerfGE 105, 239 , 249). Die Amtsrichterin hat auch versucht, den Verfahrensbevollmächtigten telefonisch zu laden. Das war jedoch erfolglos, so dass er an der Anhörung nicht teilnehmen konnte. War der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen aber - was einem Anwalt an einem Samstag nicht vorzuwerfen ist - nicht erreichbar, hätte das Amtsgericht Haft zunächst nur für kurze Zeit im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG anordnen dürfen; im Rahmen des Hauptsacheverfahrens hätte es dem Anwalt sodann Gelegenheit einräumen müssen, an der Anhörung des Betroffenen teilzunehmen.

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorinstanz: AG Nürnberg, vom 12.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 58 XIV 33/18
Vorinstanz: LG Nürnberg-Fürth, vom 23.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 18 T 3141/18