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BGH - Entscheidung vom 12.11.2019

XIII ZB 34/19

Normen:
GG Art. 104 Abs. 2 S. 2

BGH, Beschluss vom 12.11.2019 - Aktenzeichen XIII ZB 34/19

DRsp Nr. 2020/609

Vertretung eines Betroffenen durch einen Bevollmächtigten seiner Wahl zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren i.R.d. Grundsatzes des fairen Verfahrens; Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung eines Betroffenen

In einem Freiheitsentziehungsverfahren ist der Betroffene berechtigt, sich von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt das Gericht während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 25. Mai 2018 und der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 12. Juli 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Memmingen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

GG Art. 104 Abs. 2 S. 2;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, wurde am 5. November 2017 in einem Bus auf der Fahrt von München nach Rom von Polizeibeamten mit einer gefälschten italienischen Aufenthaltserlaubnis sowie mit einem gefälschten italienischen Fremdenpass aufgegriffen und festgenommen. Einen am 5. April 2018 gestellten Asylantrag wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch Bescheid vom 9. April 2018 als offensichtlich unbegründet zurück.

Mit Beschluss vom 21. Februar 2018 ordnete das Amtsgericht Memmingen Abschiebungshaft für die Dauer von drei Monaten ab dem 28. Februar 2018 an. Zwei versuchte Luftabschiebungen scheiterten am Widerstand des Betroffenen. Daraufhin beantragte die beteiligte Behörde am 24. Mai 2018 beim Amtsgericht Ingolstadt eine Verlängerung der Abschiebungshaft für die Dauer von weiteren zwei Monaten bis zur Beendigung des Abschiebungsverfahrens.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen in der Sitzung vom 25. Mai 2018 persönlich angehört. Im Verlauf dieser Anhörung legte dieser ein Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17. Mai 2018 vor, aus dem sich ergab, dass dieser mit Schreiben ebenfalls vom 17. Mai 2018 beim Amtsgericht Memmingen Haftaufhebung sowie Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt hatte. Das Amtsgericht hat dieses Schreiben zur Akte genommen und mit Beschluss vom selben Tag Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 20. Juli 2018 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 12. Juli 2017 zurückgewiesen, ohne den Betroffenen erneut anzuhören.

Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen, nachdem er zwischenzeitlich nach Nigeria abgeschoben worden ist.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts verletzte die unterlassene Benachrichtigung des Verfahrensbevollmächtigten durch das Amtsgericht in der Sitzung vom 25. Mai 2018 zwar den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör. Es sei aber nicht ersichtlich, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts auf diesem Fehler beruhe. Die Anhörung sei auch nicht nachzuholen, weil der Anspruch auf rechtliches Gehör durch die Beteiligung des Verfahrensbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren gewahrt werde. Zusätzliche Ausführungen des Betroffenen, der sich bereits mehrfach habe äußern können, seien nicht zu erwarten. Eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren liege nicht vor.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfahrensweise des Amtsgerichts hat den Betroffenen - anders als das Beschwerdegericht meint - in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 u. 20; Beschluss vom 27. September 2018 - V ZB 96/18, juris Rn. 7 ff.; Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 4). Erfährt das Gericht während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 4). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 5). Es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7).

2. Das Amtsgericht hat die Haft auf der Grundlage einer Anhörung angeordnet, an der der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nicht teilnehmen konnte. Es hat den Betroffenen, der sich seit dem 21. Februar 2018 in Abschiebungshaft befand, auf Antrag der beteiligten Behörde vom 24. Mai 2018 noch am darauffolgenden Tag, dem 25. Mai 2018, angehört. Dies entsprach zwar der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zu einer unverzüglichen Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung durch den Richter (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ; vgl. BVerfGE 105, 239 , 249). Das Amtsgericht hat aber dem durch Übergabe des Schreibens seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17. Mai 2018 erkennbaren (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 5) und vom Amtsgericht ausweislich des Sitzungsprotokolls auch erkannten Willen des Betroffenen, in diesem Verfahren von seinem Bevollmächtigten vertreten zu werden, nicht wie geboten Rechnung getragen. Statt den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen unverzüglich zu kontaktieren, ihn über die anberaumte Anhörung zu informieren und ihm Gelegenheit zu geben, an der Anhörung im Hauptsacheverfahren - gegebenenfalls durch Anberaumung eines neuen Termins unter Anordnung einer nur kurzen Haft im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG (BGH, Beschluss vom 27. September 2018 - V ZB 96/18, juris Rn. 9) - teilzunehmen, hat das Amtsgericht noch in der Sitzung vom 25. Mai 2018 Haft bis zum 20. Juli 2018 angeordnet. Der Umstand, dass dem Amtsgericht eine Vertretungsanzeige des Verfahrensbevollmächtigten bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, entband das Gericht auch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots nicht davon, die Verfahrensgrundrechte des Betroffenen im Übrigen zu gewährleisten.

3. Eine Heilung des Verfahrensfehlers - die mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 25) - ist auch in der Beschwerdeinstanz nicht eingetreten. Sie setzt eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen voraus (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 167/16, juris Rn. 9). Eine solche Anhörung ist indes nicht erfolgt. Darauf, ob von einer erneuten, die Verfahrensgrundrechte wahrenden Anhörung weitergehende Ausführungen des Betroffenen zu erwarten sind, kommt es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht an. Folglich fehlt es insgesamt an einer rechtmäßigen Haftanordnung.

Vorinstanz: AG Ingolstadt, vom 25.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 7 XIV 200/18
Vorinstanz: LG Ingolstadt, vom 12.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 34 T 969/18