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BGH - Entscheidung vom 09.02.2017

StB 2/17

Normen:
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129b Abs. 1
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2

Fundstellen:
NStZ 2017, 601
NStZ-RR 2017, 122

BGH, Beschluss vom 09.02.2017 - Aktenzeichen StB 2/17

DRsp Nr. 2017/2931

Rechtmäßige Fortdauer der Untersuchungshaft im Rahmen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland

Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist im Rahmen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland rechtmäßig, wenn der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht. Grundsätzlich wird der von der Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz mit zunehmender knapp zweijähriger Dauer des Untersuchungshaftvollzugs geringer. Eine Fluchtgefahr ist indes zu bejahen, wenn es bei Würdigung sämtlicher Umstände wahrscheinlicher ist, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.

Tenor

1.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Kammergerichts vom 13. Oktober 2016 wird verworfen.

2.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Normenkette:

StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1 ; StGB § 129b Abs. 1 ; StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde in dieser Sache auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Januar 2015 am 16. Januar 2015 festgenommen und befand sich zunächst bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch das Amtsgericht Tiergarten am 5. Februar 2015 in Untersuchungshaft.

Am 6. März 2015 ist er auf Grund des von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin im Wege der Beschwerde erwirkten Haftbefehls des Landgerichts Berlin vom selben Tag, später abgeändert durch den Beschluss des Kammergerichts vom 8. April 2015, erneut in Untersuchungshaft genommen worden, die seither ununterbrochen andauert. Der Haftbefehl ist, nachdem der Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen hatte, ersetzt worden durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2015 in der Fassung des Invollzugsetzungsbeschlusses vom 13. Juli 2015. Nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt zum Kammergericht hat dieses den Haftbefehl anlässlich der Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 aufrechterhalten.

In dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wird dem Angeklagten vorgeworfen, er habe zwischen Mitte Juni 2013 und Ende November 2014 durch neun selbständige Handlungen von Deutschland aus die in Syrien bestehende Vereinigung Junud ash-Sham, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB ) oder Totschlag (§ 212 StGB ) zu begehen, unterstützt und bei acht dieser Handlungen jeweils tateinheitlich hierzu eine Straftat nach § 211 oder § 212 StGB vorbereitet, die bestimmt und geeignet gewesen sei, den Bestand oder die Sicherheit eines Staats zu beeinträchtigen, indem er für deren Begehung nicht unerhebliche Vermögenswerte gesammelt, entgegengenommen oder zur Verfügung gestellt habe, strafbar als neun Fälle der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in acht dieser Fälle in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 aF, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 , §§ 52 , 53 StGB .

Der Senat hat mit Beschlüssen vom 27. August 2015 ( AK 23/15) und 10. Dezember 2015 ( AK 47/15) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs bzw. neun Monate hinaus angeordnet. Er hat den Angeklagten jedenfalls der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in acht Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 , § 53 StGB (Fälle 1 bis 3 sowie 5 bis 9) für dringend verdächtig erachtet.

Am 6. Oktober 2016 haben der Angeklagte und seine Verteidigerin die Aufhebung des gegen ihn bestehenden Haftbefehls beantragt. Mit am 13. Oktober 2016 verkündetem Beschluss hat das Kammergericht die Anträge zurückgewiesen und Haftfortdauer angeordnet. Es hat dort einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Fälle 2, 6, 7 und 9 des Haftbefehls bejaht, die infolge von vorgenommenen Verfahrensbeschränkungen allein noch Gegenstand der Hauptverhandlung sind.

Am 28. Dezember 2016 hat der Angeklagte ein in türkischer Sprache abgefasstes Schreiben vom selben Tag per Telefax an das Kammergericht übersenden lassen. Aus der von diesem veranlassten Übersetzung in die deutsche Sprache ergibt sich, dass sich der Angeklagte mit der "Beschwerde gegen den Haftbeschluss" wendet. Mit Verfügung vom 9. Januar 2017 hat das Kammergericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.

Auf den Antrag des Generalbundesanwalts, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, hat sich der Angeklagte mit weiterem per Telefax übersandtem, in türkischer Sprache abgefasstem Schreiben vom 26. Januar 2017 geäußert; seine Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 27. Januar 2017 Stellung genommen.

II.

1. Die statthafte (§ 304 Abs. 1 , 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO ) Beschwerde des Angeklagten ist auch im Übrigen zulässig. Der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels (§ 306 Abs. 1 StPO ) steht hier nicht entgegen, dass der Angeklagte das Beschwerdeschreiben vom 28. Dezember 2016 in türkischer Sprache abgefasst hat.

a) Nach § 184 Satz 1 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Nach bislang ständiger Rechtsprechung sind fremdsprachige Schreiben grundsätzlich unbeachtlich, auch wenn der Verfasser die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1981 - 1 StR 815/80, BGHSt 30, 182 ; vom 13. September 2005 - 3 StR 310/05, [...] Rn. 2 [für die Revision]; BeckOK StPO/Walther, § 184 GVG Rn. 4; KK-Diemer, StPO , 7. Aufl., § 184 GVG Rn. 1, 2 mwN).

Zwar hat der Europäische Gerichtshof diesen Grundsatz erheblich eingeschränkt, indem er entschieden hat, dass es für die Frage, ob ein fremdsprachig abgefasstes Schreiben von Amts wegen zu übersetzen und zu beachten ist, nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. Nr. L 280, S. 1) darauf ankommt, ob es sich um ein für das Verfahren wesentliches Dokument handelt (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, NJW 2016, 303 ; vgl. SKStPO/Frister, 5. Aufl., § 187 GVG Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 59. Aufl., § 184 GVG Rn. 2a). Ungeachtet dessen, dass sich die Wesentlichkeit ohne Übersetzung zumeist nicht beurteilen lassen dürfte, betrifft diese Entscheidung nur den nichtverteidigten Beschuldigten (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, aaO, S. 305 Rn. 42 f.). Der Angeklagte hat aber zwei Verteidiger. Ein verteidigter Beschuldigter hat nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK Anspruch auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher beim Verkehr mit seinem Verteidiger (vgl. BeckOK StPO/Valerius, Art. 6 MRK Rn. 54, 57 mwN). Er ist zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte nicht in gleicher Weise auf amtswegige Übersetzungen seiner Schreiben angewiesen. Ähnlich sieht § 187 Abs. 1 Satz 1 StPO die Heranziehung eines Übersetzers nur vor, wenn dies zur Rechtswahrung erforderlich ist; dabei kann hier dahinstehen, inwieweit diese Vorschrift überhaupt auf vom Beschuldigten verfasste Schreiben Anwendung findet (so BeckOK StPO/Walther, § 187 GVG Rn. 3; SKStPO/Frister aaO, Rn. 5).

b) Ob das Schreiben des Angeklagten vom 28. Dezember 2016 der gesetzlichen Form genügt, braucht der Senat indes nicht zu entscheiden. Denn es liegt jedenfalls deshalb eine formgerechte Beschwerde vor, weil das Kammergericht das Schreiben des Angeklagten tatsächlich übersetzt und die Verteidigerin sie sich in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2017 zu eigen gemacht hat.

c) Allerdings hat der Senat davon abgesehen, das Schreiben des Angeklagten vom 26. Januar 2017 übersetzen zu lassen, weil dieser die Möglichkeit hat, über seine Verteidiger seine Verteidigungsrechte geltend zu machen.

2. In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

a) Gegen den Angeklagten besteht jedenfalls der dringende Tatverdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in vier Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 , § 53 StGB .

aa) Hinsichtlich der Darstellung der - nach den Verfahrensbeschränkungen verbleibenden - vier einzelnen Tatvorwürfe nimmt der Senat Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015 zu den Fällen 2, 6, 7 und 9, die denjenigen im Anklagesatz der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 27. Oktober 2015 (dort S. 4 ff.) entsprechen.

bb) Die Bewertung des Verdachtsgrades hat das Kammergericht - nach 49-tägiger Hauptverhandlung - im angefochtenen Haftfortdauerbeschluss vom 13. Oktober 2016 sowie ergänzend - nach 56-tägiger Hauptverhandlung - in der Nichtabhilfeentscheidung vom 9. Januar 2017 ausführlich dargelegt. Diese Ausführungen ermöglichen dem Senat die eigenverantwortliche Entscheidung, dass der Verdacht weiterhin als dringend zu beurteilen ist (s. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 29. September 2016 - StB 30/16, NJW 2017, 341 , 342; ferner BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143 ; vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16 , 17 f.; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247 , 248; vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 ).

Im Haftfortdauerbeschluss ist im Einzelnen nachvollziehbar ausgeführt, welche Beweiserhebungen aus Sicht des Kammergerichts den dringenden Tatverdacht begründen. Die Nichtabhilfeentscheidung enthält die Mitteilung, dass das gerichtliche Beweisprogramm schon geraume Zeit abgeschlossen ist und auch die weitere Beweisaufnahme keine durchgreifenden abweichenden Erkenntnisse erbracht hat. Soweit das Kammergericht seine Bewertung auf die Angaben des Zeugen K. stützt, hat es dargelegt, durch welche anderen Beweismittel diese bestätigt werden. Eine nähere Glaubhaftigkeitsanalyse der Aussage des Zeugen ist in den die Haft betreffenden Entscheidungen nicht erforderlich; mit den Angriffen gegen dessen Glaubwürdigkeit kann die Beschwerde nicht gehört werden. Auch die detaillierte Schilderung von eigenen in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen, die im Widerspruch zu der gerichtlichen Würdigung stehen, kann dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Ebenso wenig verfängt der in der Stellungnahme der Verteidigerin erhobene Einwand, die Beweisaufnahme habe nicht bestätigt, dass - wie ursprünglich von den Strafverfolgungsbehörden zu Unrecht angenommen - der Mitangeklagte F. den Angeklagten in einem Internet-Chat mit "E. " betitelt habe; dies hat das Kammergericht ausdrücklich berücksichtigt.

b) Bei dem Angeklagten liegt weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor. Wenngleich der von der Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz mit zunehmender - hier bald zwei Jahre anhaltender Dauer des Untersuchungshaftvollzugs geringer wird (zur sog. Nettostraferwartung vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, [...] Rn. 9 mwN), macht es die Würdigung sämtlicher Umstände wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.

Hinsichtlich der eine Flucht indizierenden Umstände nimmt der Senat vorab Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015. Darüber hinausgehend hat das Kammergericht zutreffend als weitere Erkenntnisse in die Würdigung mit eingestellt, dass die Ehefrau des Angeklagten im Jahr 2014 in der Türkei ein Grundstück erwarb, diesem im Jahr 1996 ohne Reisepass oder andere Personaldokumente die erstmalige Einreise nach Deutschland gelungen war, er in den Folgejahren ausweislich der von der Ö. GmbH übersandten Unterlagen bei Flugbuchungen zehn verschiedene Geburtsdaten benutzte und er Schulden "in einem fünfstelligen Bereich angehäuft" hat.

Ohne Erfolg bleibt demgegenüber der Einwand der Verteidigerin, dass die Unregelmäßigkeiten in den Buchungsunterlagen auf "Fehler(n) der Reisebüros" beruhten, was sie "unter Beweis gestellt" habe. Die Annahme der Fluchtgefahr setzt kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen voraus. Sie müssen gerade nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen; vielmehr genügt derselbe Grad der Wahrscheinlichkeit wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, [...] Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 59. Aufl., § 112 Rn. 22 mwN). Gleiches gilt, soweit die Verteidigerin geltend macht, dass den finanziellen Verbindlichkeiten des Angeklagten "Forderungen in mehrstelliger Höhe aus seinem Baugewerbe gegen seine Auftragnehmer" gegenüberstünden, was ebenfalls "unter Beweis gestellt" worden sei.

Weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 Abs. 1 StPO ) bieten bei einer Gesamtschau der Umstände voraussichtlich keinen Erfolg. Für eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls fehlt es unter den gegebenen Umständen an einer ausreichenden Vertrauensgrundlage in der Person des Angeklagten.

c) Die Haftfortdauer steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ). Auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft von nunmehr fast zwei Jahren erscheint die Fortdauer der Haft mit Blick auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Taten sowie der für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehenden Strafe und des - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - hypothetischen Strafendes als nicht unverhältnismäßig.

d) Auch ein Verstoß gegen das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot liegt nicht vor. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit die notwendigen Ermittlungen abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche erforderlich. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich, bei der es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer ankommt. Sie kann abhängig sein von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Prozessverhalten des Angeklagten und des Verteidigers, ohne dass es in diesem Zusammenhang maßgeblich darauf ankommt, inwieweit es sich um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder dessen Grenzen überschritten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 - StB 1/16, [...] Rn. 25; vom 22. September 2016 - StB 29/16, NStZ-RR 2017, 18 , 19). Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Strafe (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640 ; BGH, Beschlüsse vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 , 218; vom 1. Dezember 2016 - StB 37/16, Rn. 10).

Gemessen hieran ist das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Bezüglich der Beurteilung des Verfahrensgangs bis zur am 4. Dezember 2015 angeordneten Eröffnung des Hauptverfahrens verweist der Senat auf seine Ausführungen in den Haftprüfungsbeschlüssen vom 27. August 2015 und vom 10. Dezember 2015.

Die Hauptverhandlung hat am 8. Januar 2016 begonnen. Am 4. Januar 2017 hat der 56. Verhandlungstag stattgefunden. Nachdem - ausweislich der Darstellung des Verfahrensablaufs in dem angefochtenen Haftfortdauerbeschluss und der Nichtabhilfeentscheidung - das gerichtliche Beweisprogramm seit mehreren Monaten abgeschlossen, das Verfahren schon längere Zeit durch eine kontinuierliche Vielzahl von Beweisanträgen, -ermittlungsanträgen und -anregungen seitens der Verteidigung geprägt und die Beantwortung eines antragsgemäß gestellten Rechtshilfeersuchens an die Republik Türkei abzuwarten ist, erweist sich die Terminierung als hinreichend straff. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass das Kammergericht bereits anberaumte Termine auf zahlreiche Anträge der Verteidigung wegen Verhinderung jeweils beider Verteidiger aufgehoben hat.

Vorinstanz: KG, vom 13.10.2016
Fundstellen
NStZ 2017, 601
NStZ-RR 2017, 122