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BSG - Entscheidung vom 14.02.2024

B 2 U 113/23 B

Normen:
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 14.02.2024 - Aktenzeichen B 2 U 113/23 B

DRsp Nr. 2024/6502

Darlegung eines Verfahrensmangels

Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet lediglich, dass der Kläger "gehört", hingegen nicht "erhört" wird. Auf die Geltendmachung von Rechtsanwendungsfehlern kann die Revisionszulassung nicht gestützt werden kann.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. April 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160a Abs. 2 S. 3;

Gründe

I

Mit vorbezeichnetem Urteil hat es das LSG abgelehnt, weitere Unfallfolgen festzustellen und der Klägerin über den 21.10.2012 hinaus Verletztengeld zu gewähren. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat sie Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung macht sie Verfahrensmängel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht formgerecht begründet ist 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG ). Der Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensfehlern ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall absoluter Revisionsgründe - aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.

1. Die Sachaufklärungsrügen 103 SGG ) haben keinen Erfolg. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel "auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist". Die Klägerin behauptet, sie habe mit Schriftsätzen vom 14.5.2018, 1.10.2019 und 23.10.2020 erfolglos ein technisch-unfallanalytisches und biomechanisches Sachverständigengutachten "gefordert/beantragt bzw. angeregt" (vgl Bl 2 bis 6, 8 der Beschwerdebegründung). Darüber hinaus habe es das LSG verfahrensfehlerhaft versäumt, ein "traumatologisches" (Bl 4 Beschwerdebegründung), "neuroradiologisches" (Bl 6 bis 10, 16 aaO) und "HNO-ärztliches, neurootologisches Sachverständigengutachten" (Bl 10, 12 aaO) einzuholen sowie den HNO-Arzt M, den Chirurgen K1 und die Neurologin K2 als (sachverständige?) Zeugen zu vernehmen (Bl 13 f aaO). Die Beschwerdebegründung versäumt es indes, Fundstelle und Wortlaut prozessordnungskonformer Beweisanträge - im hier maßgeblichen Sinn der ZPO 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG ) - wiederzugeben und darzulegen, die im Berufungsverfahren rechtskundig vertretene Beschwerdeführerin habe derartige Beweisanträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG durch entsprechende Hinweise zu Protokoll aufrechterhalten. Der Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält ( BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 14/23 B - juris RdNr 13 sowie grundlegend vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52 und vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21). Diese Warnfunktion des Beweisantrags verfehlen Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind ( BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 14/23 B - juris RdNr 13 mwN sowie grundlegend vom 5.3.2002 - B 13 RJ 193/01 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73, vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21 und vom 24.11.1988 - 9 BV 39/88 - SozR 1500 § 160 Nr 67 S 73). Sie sind nur als Hinweise oder bloße Anregungen zu verstehen ( BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21 und Nr 35 S 73). Um die Warnfunktion zu aktivieren, muss ein rechtskundig vertretener Beschwerdeführer sein Beweisbegehren deshalb in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungskonformen "Beweisantrag" iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG wiederholen und protokollieren lassen 122 SGG iVm § 160 Abs 2 und 4 Satz 1 ZPO ). Ohne eine solche förmliche Antragstellung ist regelmäßig davon auszugehen (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO ), dass er sein Beweisverlangen nicht mehr weiterverfolgt, sondern fallengelassen hat (stRspr BSG ; vgl SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52 und Nr 35 S 74, jeweils mwN). So liegt der Fall hier.

2. Auch mit ihren Gehörsrügen (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) dringt die Klägerin nicht durch. Soweit sie in der mangelnden Sachaufklärung zugleich eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs sieht, lässt sie unbeachtet, dass das in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG normierte Erfordernis, einen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung zu stellen, mit der Gehörsrüge nicht umgangen werden kann ( BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 17 mwN und grundlegend vom 26.11.1975 - 5 BKn 5/75 - SozR 1500 § 160 Nr 13). Dass das LSG auf rechtliche Ausführungen der Klägerin zu tragenden Rechtssätzen oder auf ihr tatsächliches Vorbringen zu entscheidungserheblichen Tatsachen nicht eingegangen ist, obwohl ihr Vortrag nach dem Rechtsstandpunkt der Vorinstanz erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war, zeigt die Beschwerdebegründung nicht schlüssig auf. Im Übrigen gewährleistet der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass die Klägerin "gehört", nicht jedoch "erhört" wird ( BSG Beschlüsse vom 13.10.2023 - B 2 U 104/22 B - juris RdNr 8 und grundlegend vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG Kammerbeschlüsse vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN und vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 RdNr 17 ). Art 103 Abs 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG Kammerbeschlüsse vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 RdNr 17 und vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07 ua - BVerfGK 14, 238; BSG Beschluss vom 24.8.2011 - B 6 KA 3/11 C - juris RdNr 9).

3. Soweit die Klägerin eine "Kompetenzüberschreitung" des Orthopäden U im Sachverständigengutachten vom 8.8.2016 sieht, weil Beurteilung und Auswertung radiologischer Bilder einem Facharzt für Radiologie vorbehalten seien (Bl 9 Beschwerdebegründung), übersieht sie, dass Angriffe auf die freie tatrichterliche Beweiswürdigung 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde generell ausgeschlossen sind. Erst im angestrebten Revisionsprozess, in dem diese Restriktion nicht gilt, kann die Beweiswürdigungsrüge zulässig erhoben werden 164 Abs 2 Satz 3 SGG ), wie dies in den beiden Revisionsverfahren geschehen ist ( BSG Urteile vom 24.8.1982 - 9a RV 13/82 - juris und vom 15.3.1979 - 9 RVs 16/78 - SozR 3870 § 3 Nr 5), auf die sich die Beschwerde beruft (Bl 9 Beschwerdebegründung).

4. Wenn die Klägerin schließlich die Heranziehung der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie kritisiert (Bl 16 Beschwerdebegründung), macht sie in der Sache einen Rechtsanwendungsfehler geltend, auf den die Revisionszulassung nicht gestützt werden kann. Zu den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften eV (AWMF) hat der Senat im Übrigen bereits entschieden, dass sie - jedenfalls für Zwecke der gesetzlichen Unfallversicherung - als repräsentativ gelten, sofern sie zumindest die Entwicklungsstufe einer konsentierten Leitlinie (Stufe S2k) aufweisen ( BSG Urteile vom 22.6.2023 - B 2 U 11/20 R - juris RdNr 32 <BSGE und SozR 4 vorgesehen> sowie vom 28.6.2022 - B 2 U 9/20 R - juris RdNr 25 f; zur Aussagekraft der AWMF-Leitlinien s auch BSG Urteile vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - juris RdNr 24 mwN sowie grundlegend vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 26 mwN). Welche Bedeutung ihnen ggf im Rahmen zivilrechtlicher Arzthaftungsprozesse zukommt (zB BGH Urteil vom 15.4.2014 - VI ZR 382/12 - VersR 2014, 879 , 881 f, RdNr 17), bedarf hier keiner vertieften Betrachtung.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: SG Itzehoe, vom 30.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 9 U 58/13
Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 17.04.2023 - Vorinstanzaktenzeichen L 8 U 5/20