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BSG - Entscheidung vom 14.07.2021

B 5 R 159/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 14.07.2021 - Aktenzeichen B 5 R 159/21 B

DRsp Nr. 2021/12512

Rente wegen Erwerbsminderung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. März 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der im März 1960 geborene Kläger ist gelernter Heizungs- und Lüftungsbauer und war zuletzt als Pumpentechniker erwerbstätig. Nach einem Arbeitsunfall im Oktober 2011 wurden bei ihm eine Kopfplatzwunde und eine Schädelprellung festgestellt. Seitdem ist er arbeitsunfähig erkrankt. Ein Versuch der Wiedereingliederung blieb erfolglos. Im Dezember 2013 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ ihn durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M begutachten. Nach ambulanter Untersuchung stellte der Sachverständige in seinem Gutachten vom 3.3.2014 die Diagnosen Anpassungsstörung, somatoforme Störung, Verdacht auf Nervus trochlearis-Parese rechts, Spannungskopfschmerz und Schwindel (ohne sichere neurologische Korrelate). Danach könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein. Das Leistungsvermögen entspreche nicht mehr der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Heizungs- und Lüftungsbauer. Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Kläger könne noch als Montierer in der Metall-/Elektroindustrie oder als Versandfertigmacher mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein (Bescheid vom 7.4.2014). Ein im Widerspruchsverfahren eingeholtes psychiatrisch-neurologisches Gutachten des Arztes L kam nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 25.7.2014 ebenfalls zu einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen unter Leistungseinschränkungen. Aufgrund von Abweichungen zwischen dem körperlichen Befund und den vom Kläger vorgetragenen Einschränkungen formulierte der Sachverständige Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers. Die Beklagte wies daraufhin auch den Widerspruch zurück und benannte weitere Verweisungstätigkeiten (Widerspruchsbescheid vom 18.9.2014).

Das SG Frankfurt hat nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und eines Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie, Innere Medizin und Endokrinologie D1 die Klage mit Urteil vom 9.5.2016 abgewiesen. Nach ambulanter Untersuchung hat der Sachverständige festgestellt, es bestehe noch ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen unter Leistungseinschränkungen, auch für die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten (Gutachten vom 8.9.2015). Im Berufungsverfahren hat das LSG auf Antrag des Klägers ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Fachärztin D2, einschließlich einer elektrophysiologischen Zusatzuntersuchung sowie einer psychologischen Zusatzbegutachtung durch die K (Gutachten vom 19.8.2017), sowie von Amts wegen ein weiteres Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie N eingeholt (Gutachten vom 13.7.2020) und die Berufung zurückgewiesen. Das LSG hat sich auf das Ergebnis der Begutachtung durch N gestützt, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers festgestellt hat, dieser könne noch mindestens sechs Stunden täglich leichte bis in Spitzen mittelschwere Tätigkeiten, auch als Pumpentechniker, verrichten. Als Diagnose hat N festgehalten eine Dysthymie. Einen sicheren Hinweis für eine Schädigung der zentralen oder peripheren neurologischen Strukturen konnte der Sachverständige nicht feststellen. Das LSG hat ausgeführt, das Gutachten von D2/K könne dagegen nicht überzeugen. Die darin beschriebene schwerwiegende depressive Störung stehe nicht im Einklang mit den vom Kläger geschilderten Beeinträchtigungen. Auch verwies das LSG auf die geschilderten Tagesabläufe, fehlende Medikation, keine dokumentierten Behandlungen sowie die bereits in früheren Gutachten beschriebene Diskrepanz zwischen Untersuchungsbefunden und dem vom Kläger vorgetragenen Beschwerdebild (Urteil vom 23.3.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund einen Verfahrensmangel geltend 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) und rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht 103 SGG ).

II

1. Nach Schließung des 13. Senats zum 1.7.2021 durch Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24.6.2021 (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG ) ist die Zuständigkeit für die Streitsache gemäß Geschäftsverteilungsplan (Stand 1.7.2021) auf den 5. Senat übergegangen.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Gründe für die Zulassung einer Revision wurden nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht 103 SGG ) geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG , 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 56). Daran fehlt es hier.

Der Kläger macht geltend, das LSG unterstelle eine vollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers, ohne dass der medizinische Sachverhalt ausreichend ermittelt worden sei. Seine Augenerkrankung werde "nahezu ausgeblendet", obgleich bereits der Sachverständige D1 die Einholung eines Gutachtens dazu angeregt und sich auch aus dem im Berufungsverfahren nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachten die Notwendigkeit ergeben habe, den Sachverhalt augenärztlich weiter aufzuklären. Damit ist ein Verstoß gegen § 103 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Es fehlt bereits an der Bezeichnung eines entsprechenden Beweisantrags zur Einholung eines Sachverständigengutachtens auf augenärztlichem Fachgebiet. Der bereits vor dem LSG durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger hat nicht vorgetragen, einen solchen gestellt und bis zur mündlichen Verhandlung aufrechterhalten zu haben. Auch lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, inwieweit ein augenärztliches Gutachten zu einer anderen (rentenrelevanten) Beurteilung seines Leistungsvermögens hätte kommen können. Der Kläger trägt lediglich vor, ein augenärztliches Gutachten sei "auch dazu geeignet" gewesen, die tatsächliche Erwerbsfähigkeit des Klägers abschließend zu klären und ein augenärztlicher Sachverständiger hätte "im Zweifel bzw. nach Aktenlage" einen Verweisungsberuf nicht mehr zugelassen, ohne das voraussichtliche Ergebnis einer solchen Beweisaufnahme weiter zu konkretisieren.

Mit seinem weiteren umfangreichen Vortrag, bereits die beiden Gutachter im Verwaltungsverfahren M und L hätten eklatant gegen die Richtlinien der Beklagten zur Begutachtung bei psychischen Erkrankungen verstoßen und auch das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Gutachten von D1 weise Mängel auf ("gefestigte Diagnosen bzw. deren medizinische Begründung waren im Gutachten nicht aufzufinden", "nicht aussagekräftig" hinsichtlich der psychischen Belastung des Klägers bzw dessen Konzentrationsfähigkeit), lässt der Kläger schon nicht erkennen, inwiefern dies als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG das prozessuale Vorgehen im unmittelbar vorangehenden Rechtszug betrifft (vgl BSG Beschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 5 R 308/16 B - juris RdNr 9). Sofern er damit eine unzutreffende Beweiswürdigung durch das LSG (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) geltend macht, kann darauf ein Verfahrensmangel von vornherein nicht gestützt werden 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ). Dies gilt auch, soweit der Kläger rügt, die Aktenlage gebe keine Entscheidungsgrundlage für eine vollschichtige Leistungsfähigkeit her und der Ergebnisfindung des im Berufungsverfahren nach § 106 SGG eingeholten Gutachtens (N) sei nicht zu folgen.

Soweit der Kläger wörtlich aus seinem früheren Schriftsatz vom 21.10.2020 zitiert und vorträgt, das Gutachten vom 13.7.2020 sei "in medizinischer Hinsicht unschlüssig", bezeichnet er ebenfalls nicht hinreichend einen Verfahrensmangel. Dass das LSG ausnahmsweise, zB aufgrund von groben Mängeln oder unlösbaren Widersprüchen zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet gewesen wäre, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor (vgl dazu BSG Beschluss vom 27.4.2021 - B 13 R 125/20 B - juris RdNr 7 mwN). Sofern er schließlich geltend macht, das Berufungsgericht sei dem Gutachter "einschränkungslos gefolgt, ohne auf die aktenkundigen plausiblen Einwendungen diesbezüglich einzugehen", hat der Kläger auch eine mögliche Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht hinreichend bezeichnet. Das Recht auf rechtliches Gehör aus Art 103 Abs 1 GG und § 62 SGG gewährleistet nicht, dass das Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten in dessen Sinne vom Gericht auch zustimmend zur Kenntnis genommen wird (vgl BSG Beschluss vom 22.3.2018 - B 12 KR 12/17 C - juris RdNr 12).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 23.03.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 223/16
Vorinstanz: SG Frankfurt am Main, vom 09.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 464/14