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BSG - Entscheidung vom 22.02.2021

B 5 R 262/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 62
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 22.02.2021 - Aktenzeichen B 5 R 262/20 B

DRsp Nr. 2021/4942

Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. September 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 62 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch auf Übernahme von Kosten für eine Maßnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen verneint und die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG Halle vom 16.4.2019 mit Beschluss vom 16.9.2020 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund einen Verfahrensmangel geltend und rügt einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht aus § 103 SGG .

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

1. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss deshalb ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; aus jüngster Zeit zB BSG Beschluss vom 17.12.2020 - B 1 KR 84/19 B - juris RdNr 5 mwN). Hierzu gehört die Darlegung, dass ein Beweisantrag gestellt und bis zuletzt noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten wurde.

Der Kläger trägt dazu lediglich vor, sein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben folge aus einem im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit angefertigten Gutachten. Andere Sachverständigengutachten oder "vergleichbar belastende Ermittlungen" lägen nicht vor. Weitere Ermittlungen hätten nicht stattgefunden. Der vor dem LSG bereits anwaltlich vertretene Kläger hat mit diesem Vortrag keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag aufgezeigt, den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht übergangen haben könnte.

2. Soweit der Kläger geltend machen will, das Berufungsgericht sei zu einer weiteren Beweiserhebung schon deshalb verpflichtet gewesen, weil die vorliegenden Gutachten keine ausreichende Entscheidungsgrundlage nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO hätten bilden können, fehlt es auch insofern an einer ausreichenden Begründung. Eine solche Verpflichtung des LSG zur weiteren Sachaufklärung hätte nach der Rechtsprechung des BSG nur unter besonderen Voraussetzungen bestanden. Auf die einzelnen, in zahlreichen Entscheidungen benannten Kriterien geht die Beschwerdebegründung nicht hinreichend ein (vgl dazu zB BSG Beschluss vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11 mwN). Allein der Vortrag des Klägers, bei älteren Gutachten sei "entsprechend zu prüfen, ob diese eine ausreichende Entscheidungsgrundlage sein können", genügt zur Begründung der Notwendigkeit eines "Zweitgutachtens" ebenso wenig wie das - nach den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung nicht nachvollziehbare - Vorbringen, das LSG habe Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen "ausdrücklich betont". Weiterer Vortrag dazu, auf welche Gutachten sich der Kläger im Einzelnen bezieht und zu deren konkreten Inhalt enthält die Beschwerdebegründung nicht. Weder unlösbare Widersprüche noch grobe Mängel der vorliegenden Gutachten lassen sich so erkennen (vgl BSG aaO). Dazu wären insbesondere auch weitere Ausführungen zu den Voraussetzungen des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs nötig gewesen. Das LSG hat seine Entscheidung wesentlich darauf gestützt, dass der Kläger die Teilhabeleistung in einer Werkstatt für behinderte Menschen begehrte, jedoch eine "wesentlich verbesserte Teilhabeperspektive … für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erkennbar" sei (zur Abgrenzung der zuständigen Leistungsträger für die Wiedereingliederung in den "ersten" oder "zweiten Arbeitsmarkt" vgl zuletzt BSG Urteil vom 26.2.2020 - B 5 R 1/19 R - SozR 4-2600 § 11 Nr 1). Dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.

3. Mit seinem weiteren Vortrag, das LSG habe "gänzlich auf eine Anhörung des Klägers" verzichtet und ohne weitere Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung entschieden, bezeichnet der Kläger ebenfalls nicht hinreichend einen Verfahrensmangel. Sein Vorbringen genügt weder den Anforderungen an die Darlegung einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG (vgl dazu zB BSG SozR 1500 § 160a Nr ; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 27.1.2020 - B 5 RE 3/19 B - juris RdNr ) noch eines Verstoßes gegen § 153 Abs 4 SGG . Eine Zustimmung der Beteiligten zu einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG ist nicht erforderlich. Das SG hat entgegen des klägerischen Vorbringens auch nicht durch Gerichtsbescheid, sondern nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Klägers durch Urteil entschieden. Auch geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor, dass der im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger nicht ordnungsgemäß angehört wurde oder das LSG von seinem Ermessen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, möglicherweise fehlerhaft Gebrauch gemacht haben könnte (vgl dazu im einzelnen Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 15 ff).

4. Der Senat war nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten des Klägers entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, sollten weitere Ausführungen erforderlich sein, vorab auf die Unzulänglichkeit seines Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG . § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 9/20 B - juris RdNr 11).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen-Anhalt, vom 16.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 171/19
Vorinstanz: SG Halle, vom 16.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 R 788/17