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BSG - Entscheidung vom 11.02.2020

B 9 SB 49/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 11.02.2020 - Aktenzeichen B 9 SB 49/19 B

DRsp Nr. 2020/3547

Feststellung eines Grades der Behinderung und Zuerkennung des Merkzeichens G Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 12. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

G r ü n d e :

I

Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 und die Zuerkennung des Merkzeichens G. Dieses Begehren hat das LSG im Gegensatz zum SG mit Urteil vom 12.6.2019 verneint. Unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren beigezogenen Befundberichte sowie des vom Senat eingeholten Sachverständigengutachtens von Dr. H. vom 17.12.2018 erweise sich die angefochtene Entscheidung der Beklagten als zutreffend. Das im erstinstanzlichen Verfahren erstellte Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Reimers vom 18.8.2016 führe entgegen dessen Einschätzung nicht dazu, dass ein höherer GdB als 70 festzustellen bzw das begehrte Merkzeichen G zuzuerkennen sei. Schwerpunkt der beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen sei ein chronisches Schmerzsyndrom beider Arme, beider Hände mit rechtsdominierender Schwellung, der Fußsohlen sowie beider Beine. Die insoweit schwer zu fassenden und ineinander übergehenden Funktionsbeeinträchtigungen begründeten nach Auswertung aller medizinischen Unterlagen einen GdB von 60. Ein höherer GdB könne auch unter Berücksichtigung der ungeklärten Fragen und der teilweise mangelnden Mitwirkung des Klägers nicht als nachgewiesen angesehen werden. Das zudem bestehende degenerative Wirbelsäulenleiden sei mit einem GdB von 20, die vorliegende Fehlform der Hüftgelenke mit Funktionsminderung einschließlich Funktionsstörung beider Füße mit einem Einzel-GdB von 30, die Funktionsstörung Herzbelastungsminderung mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Danach sei der Gesamt-GdB mit 70 zutreffend festgesetzt. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die chronische Schmerzstörung nicht vollständig abzugrenzen sei von dem Wirbelsäulenleiden und der Funktionsstörung der Hüfte und Füße, sondern es zu erheblichen Überschneidungen komme. Soweit dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R. zwar im Hinblick auf die Feststellung der Funktionsbeeinträchtigungen, nicht aber hinsichtlich des vorgeschlagenen Gesamt-GdB gefolgt werde, sei darauf verwiesen, dass die Bemessung des GdB grundsätzlich eine tatrichterliche Aufgabe darstelle. Schließlich seien auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G bei dem Kläger nicht nachgewiesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde zum BSG erhoben. Er macht als Zulassungsgründe einen Verfahrensmangel, die Divergenz sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung vom 18.9.2019 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.) , noch eine Divergenz (2.) oder eine grundsätzliche Bedeutung (3.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .

1. Einen Verfahrensmangel hat die Beschwerde nicht in der gesetzlich gebotenen Weise bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Insoweit genügt die Beschwerdebegründung schon deshalb nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG , weil der Kläger den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt, nicht hinreichend mitgeteilt hat (vgl zum Umfang der Darlegung Senatsbeschluss vom 26.8.2019 - B 9 V 6/19 B - juris RdNr 5; s auch BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 13 R 73/16 B - juris RdNr 5) .

Abgesehen davon genügt die Beschwerdebegründung aber auch im Übrigen nicht den Darlegungsanforderungen im Hinblick auf die vom Kläger gerügte Überraschungsentscheidung. Um den Anspruch auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens (vgl BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - juris RdNr 12) zu wahren, darf das Gericht seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 2.12.2015 - B 9 V 12/15 B - juris RdNr 20 mwN) .

Der Kläger meint, das LSG habe es versäumt, ihn vorher darüber zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme dazu zu geben, dass es der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. R. nicht vollständig folgen wolle. Auch habe das Berufungsgericht seinen erstinstanzlichen Schriftsatz vom 11.10.2016 offensichtlich übersehen, unberücksichtigt gelassen und damit im Rahmen der Entscheidungsfindung ebenfalls das Recht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs hinsichtlich seines Leistungsvermögens verletzt.

Mit diesen Ausführungen hat der Kläger jedoch nicht dargelegt, dass er mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung nicht habe rechnen können. Der Kläger behauptet nicht, vom LSG daran gehindert worden zu sein, alle ihm wichtig erscheinenden Gesichtspunkte vorzutragen. Vielmehr führt er selbst aus, mit Schriftsatz vom 11.10.2016 bereits im erstinstanzlichen Verfahren die ihm wichtigen Hintergründe gegenüber dem Gericht dargestellt zu haben. Es gibt auch keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl stRspr, Senatsbeschlüsse vom 18.6.2018 - B 9 V 1/18 B - juris RdNr 22 und vom 24.8.2017 - B 9 SB 44/17 B - juris RdNr 8) . Zudem gewährleistet der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass ein Beteiligter mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, sich mit jedem Vortrag eines Beteiligten auseinanderzusetzen oder seiner Rechtsansicht zu folgen (Senatsbeschluss vom 28.9.2018 - B 9 V 21/18 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 20.11.2018 - B 8 SO 43/18 B - juris RdNr 9) . Überdies gehört es gerade zu den Aufgaben des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachtenergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten oder eine (weitere) ergänzende gutachterliche Stellungnahme einholen zu müssen (Senatsbeschluss vom 18.6.2018, aaO; BSG Beschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8) .

Für die in diesem Zusammenhang vom Kläger auch geltend gemachte Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG ) abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder von Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl Senatsbeschluss vom 17.4.2013 - B 9 V 36/12 B - SozR 4-1500 § 118 Nr 3 RdNr 16; BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 4/16 BH - juris RdNr 30) . Dafür ist vom Kläger - wie oben bereits ausgeführt - nichts substantiiert vorgetragen.

2. Die vom Kläger gerügte Divergenz der Entscheidung des LSG erfüllt gleichfalls nicht die Darlegungsvoraussetzungen. Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.

Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das BSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - juris RdNr 12 f) . Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Soweit der Kläger eine Divergenz darin zu sehen meint, dass das LSG seine Entscheidung entscheidungserheblich darauf gestützt habe, dass er seine Mitwirkungspflicht verweigert habe, fehlt es bereits an der Benennung von divergierenden abstrakten Rechtssätzen aus dem angefochtenen Berufungsurteil und den zitierten Entscheidungen des BSG (Urteil vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - BSGE 95, 8 = SozR 4-4300 § 140 Nr 1 und Senatsurteil vom 12.10.2018 - B 9 SB 1/17 R - SozR 4-1200 § 66 Nr 8) . Sein diesbezügliches Vorbringen geht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus. Allein die - behauptete - Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB aufgrund der Nichtbeachtung oder fehlerhaften Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung - rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 16.3.2017 - B 13 R 390/16 B - juris RdNr 16) .

3. Schließlich hat der Kläger auch die Rüge einer grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 10.9.2018 - B 9 SB 40/18 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6) .

Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung zur Frage, "ob ein abgeschlossenes Sachverständigengutachten erster Instanz nachträglich wegen angeblicher Verweigerung von Mitwirkungspflichten nachteilig abweichend bewertet werden darf, obwohl weder erstinstanzlich noch später auf die Folgen mangelnder Mitwirkung hingewiesen wurde und eine nachträgliche Mitwirkung möglicherweise gar nicht mehr möglich ist", nicht gerecht. Der Kläger hat bereits keine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet. Seinem Beschwerdevortrag ist lediglich zu entnehmen, dass nach seiner Auffassung nicht von einer mangelhaften Mitwirkung seinerseits an der Sachverhaltsaufklärung auszugehen sei und dass das erstinstanzliche Sachverständigengutachten zu seinen Gunsten gewertet werden müsse. Dieses Beschwerdevorbringen des Klägers betrifft jedoch lediglich Tatsachenfragen bezogen auf die Feststellung der tatsächlichen Umstände seines Einzelfalls, Fragestellungen medizinischer Art und deren Bewertung. Es enthält - anders als notwendig - keine klar formulierte Rechtsfrage, die auf die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals abzielt (vgl Senatsbeschluss vom 29.2.2016 - B 9 SB 91/15 B - juris RdNr 6) . Die Fragestellung beinhaltet im Kern Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG aber nicht mit der Behauptung verlangt werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Der Kläger berücksichtigt insoweit insbesondere nicht, dass die Bemessung des GdB nach der stRspr des Senats grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe ist (vgl Senatsbeschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - juris RdNr 5 mwN) . Mit den Grundsätzen der GdB-Bemessung nach § 2 AnlVersMedV und der hierzu ergangenen Rechtsprechung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander, sodass auch nicht erkennbar wird, ob und inwieweit hierzu noch Klärungsbedarf bestehen könnte.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .

4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 12.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 13 SB 90/17
Vorinstanz: SG Bremen, vom 19.05.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 20 SB 319/13