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BGH - Entscheidung vom 05.08.2020

VIII ZB 46/19

Normen:
GVG 17a Abs. 4 S. 3
SGG § 51 Abs. 1
ZPO § 576 Abs. 3

BGH, Beschluss vom 05.08.2020 - Aktenzeichen VIII ZB 46/19

DRsp Nr. 2020/13194

Anforderungen an einen Beschluss bzgl. der Entscheidung über die Frage der Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten in Abgrenzung zum Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit; Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers aus Kostenübernahmeerklärungen des örtlichen Jobcenters bzgl. der Unterbringung von Hilfeempfängern durch den Betreiber von Obdachlosenunterkünften

Die Beurteilung, ob eine den ordentlichen Gerichten zugewiesene bürgerlich-rechtliche Streitigkeit oder eine den Sozialgerichten zugewiesene öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, richtet sich, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage hierfür ist das Klagebegehren, mithin das der Klage erkennbar zugrunde liegende Rechtsschutzziel und die vom Kläger dafür vorgetragenen tatsächlichen Behauptungen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des Kammergerichts vom 11. Juni 2019 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 9.845 € festgesetzt.

Normenkette:

GVG 17a Abs. 4 S. 3; SGG § 51 Abs. 1 ; ZPO § 576 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Die Klägerin, die Obdachlosenunterkünfte betreibt, nimmt den Beklagten als Sozialhilfeträger aus Kostenübernahmeerklärungen des örtlichen Jobcenters bezüglich der Unterbringung von Hilfeempfängern in Anspruch.

Die Parteien streiten darüber, ob für die Klage der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Sozialgerichten gegeben ist. Das von der Klägerin angerufene Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Kammergericht den erstinstanzlichen Beschluss aufgehoben und den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Mit der vom Beschwerdegericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtswegfrage zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Ziel, eine Sachentscheidung im Rechtsweg vor den Sozialgerichten herbeizuführen, weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG , § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

2. Sie ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss ist bereits deshalb von Amts wegen aufzuheben, weil er nicht ausreichend mit Gründen versehen ist.

a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz (§ 576 Abs. 3 , § 547 Nr. 6 ZPO ) erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben. Da das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen hat, den das Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO ), ist es zu einer rechtlichen Prüfung nicht in der Lage, wenn der angefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen enthält (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2010 - II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4; vom 13. März 2014 - V ZB 138/13, FamRZ 2014, 1364 Rn. 3; vom 16. September 2014 - XI ZB 5/13, juris Rn. 5; vom 13. Juni 2017 - VIII ZB 7/16, juris Rn. 6 f.).

aa) Diese Anforderungen gelten auch für einen Beschluss, mit dem das Beschwerdegericht - unter Zulassung der Rechtsbeschwerde - eine Entscheidung über die Frage der Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten trifft (§§ 13 , 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. § 572 Abs. 4 ZPO ). Denn die Beurteilung, ob eine - den ordentlichen Gerichten zugewiesene - bürgerlich-rechtliche Streitigkeit oder eine - hier gegebenenfalls nach § 51 Abs. 1 SGG den Sozialgerichten zugewiesene - öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der (wahren) Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage hierfür - und damit auch für die Überprüfung einer entsprechenden Beschwerdeentscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht - ist das Klagebegehren, mithin das der Klage erkennbar zugrunde liegende Rechtsschutzziel und die vom Kläger dafür vorgetragenen tatsächlichen Behauptungen (st. Rspr.; vgl. etwa Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10. April 1986 - GmS- OGB 1/85, BGHZ 97, 312 , 313 f.; BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 1998 - I ZB 20/97, NJW 1998, 2743 f.; vom 27. Januar 2005 - III ZB 47/04, BGHZ 162, 78 , 80; vom 27. Oktober 2009 - VIII ZB 42/08, BGHZ 183, 49 Rn. 13).

bb) Genügt die angegriffene Entscheidung diesen Anforderungen nicht, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor (BGH, Beschlüsse vom 6. November 2012 - VI ZB 33/12, juris Rn. 4; vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, aaO; vom 13. März 2014 - V ZB 138/13, aaO; vom 16. September 2014 - XI ZB 5/13, aaO), der die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2010 - II ZB 20/09, aaO Rn. 4 f.; vom 6. November 2012 - VI ZB 33/12, aaO; vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, aaO; vom 13. März 2014 - V ZB 138/13, aaO; vom 16. September 2014 - XI ZB 5/13, aaO; vom 13. Juni 2017 - VIII ZB 7/16, juris Rn. 7).

cc) Eine Sachdarstellung ist lediglich dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, aaO Rn. 5; vom 16. September 2014 - XI ZB 5/13, aaO Rn. 6; vom 13. Juni 2017 - VIII ZB 7/16 aaO Rn. 9 mwN).

b) Diesen Maßstäben wird die Rechtswegentscheidung des Beschwerdegerichts nicht gerecht. Der angefochtene Beschluss gibt den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden werden soll, nicht - auch nicht mittelbar - wieder. Weder dieser Beschluss noch der darin in Bezug genommene Hinweisbeschluss des Beschwerdegerichts vom 6. Mai 2019 enthalten eine Sachverhaltsdarstellung; eine solche ist auch nicht etwa in Form einer Verweisung auf den erstinstanzlichen Beschluss erfolgt. Gleiches gilt für die in der ersten Instanz angekündigten Anträge sowie die in der Beschwerdeinstanz verfolgten Rechtsschutzziele der Parteien. Der genannte Hinweisbeschluss beschränkt sich allein auf Rechtsausführungen, aus denen sich ausreichende Informationen über den zu beurteilenden Sachverhalt und die angekündigten Sachanträge der Parteien nicht ergeben. Es lassen sich allenfalls die in der Beschwerdeinstanz verfolgten Rechtsschutzziele der Parteien (Rechtswegzuständigkeit) mittelbar aus dem Tenor des angefochtenen Beschlusses erschließen, nicht aber - wie erforderlich - der zugrunde gelegte Sachverhalt. Es fehlen jegliche tatsächliche Feststellungen zu der Beziehung zwischen den Beteiligten, insbesondere dazu, ob zwischen der Klägerin und dem jeweiligen Hilfeempfänger - wie vom Beschwerdegericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung schlicht unterstellt - überhaupt ein entgeltlicher Beherbergungsvertrag zustande kommt.

3. Danach kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben; er ist aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ).

Für diese Entscheidung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Nach Aktenlage hat der Beklagte (unwidersprochen) vorgetragen, dass 32 der insgesamt 38 streitgegenständlichen Einzelrechnungen, also überwiegend die Unterbringung von Hilfeempfängern in Beherbergungsstätten betreffen, bezüglich derer jeweils ein "Betreibervertrag" zwischen den Parteien bestehe (sogenannte vertragsgebundene Unterkünfte). Unter Berücksichtigung des Inhalts dieser "Betreiberverträge" bestehen insoweit (zusätzlich) Bedenken gegen die rechtliche Würdigung des Beschwerdegerichts, wonach der Beklagte durch die jeweilige Kostenübernahmeerklärung in einen Beherbergungsvertrag zwischen dem jeweiligen Hilfeempfänger und der Klägerin eintrete. Denn gemäß § 1 dieses Vertrags ist Vertragsgegenstand der Betrieb einer Unterkunft zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen, Asylbewerbern sowie bestimmten weiteren, auch obdachlosen Personen durch die Klägerin im Auftrag des Beklagten. In § 3 Abs. 5, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 5 des Vertrags finden sich - an eine Kostenübernahmeerklärung anknüpfende - Regelungen zu den mit der Leistungserbringung der Klägerin einhergehenden Zahlungspflichten des Beklagten.

Danach spricht vieles dafür, dass jedenfalls der überwiegende Teil der von der Klägerin verfolgten Einzelansprüche seine Grundlage in einem unmittelbar zwischen den Parteien geschlossenen - nicht als Wohnraummietvertrag zu qualifizierenden - (Rahmen-)Vertrag hat. Im Hinblick auf die Frage, ob insoweit eine bürgerlich-rechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, wird deshalb dieses Vertragsverhältnis rechtlich zu würdigen, namentlich die Frage zu klären sein, ob die Parteien einen öffentlich-rechtlichen oder einen privat-rechtlichen (Rahmen-)Vertrag geschlossen haben. Für die Abgrenzung kommt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf an, ob sich der Vertrag - seinem auch für die Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg maßgeblichen Schwerpunkt nach (vgl. GmS- OGB , Beschluss vom 10. April 1986 - GmS- OGB 1/85, aaO S. 314 ff.; BGH, Urteil vom 22. November 1979 - III ZR 186/77, BGHZ 76, 16 , 20; Beschluss vom 27. Januar 2005 - III ZB 47/04, BGHZ 162, 78 , 80 f.) - auf einen von der Rechtsordnung öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich geregelten Gegenstand bezieht beziehungsweise ob er nach seinem Zweck in enger, unlösbarer Beziehung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben steht (vgl. GmS- OGB , Beschluss vom 10. April 1986 - GmS- OGB 1/85, aaO; BGH, Beschluss vom 27. Januar 2005 - III ZB 47/04, aaO; BVerwG, 161, 255, 261).

Die Beurteilung der Rechtswegzuständigkeit nach diesem Maßstab kann schon deshalb, weil es - wie aufgezeigt - entscheidend auf den Schwerpunkt des (Rahmen-)Vertrags ankommt, anders ausfallen, als wenn sie - wie seitens des Beschwerdegerichts - allein unter dem Blickwinkel erfolgt, ob die von dem Beklagten ausgestellten Kostenübernahmebescheinigungen eine - (jedenfalls auch) dem Zivilrecht zuzuordnende - bindende Willenserklärung gegenüber der Klägerin enthalten. Überdies bestehen mit Blick darauf, dass diese Kostenübernahmebescheinigungen die ausdrücklichen Hinweise enthalten, es handele sich bei der Zahlung um eine Direktzahlung der dem Hilfeempfänger zustehenden Kosten der Unterkunft nach dem SGB II , die nur erfolge, solange und soweit der Hilfeempfänger tatsächlich Kosten der Unterkunft nach dem SGB II beanspruchen könne, und es entstehe "durch diese Erklärung (...) kein Vertragsverhältnis zwischen dem Jobcenter (...) und dem Wohnungsgeber", Bedenken gegen die - (einseitig) auf die Interessenlage der Klägerin abstellende und im Ergebnis die Begründung eines (auch) zivilrechtlichen Anspruchs bejahende - Auslegung der Kostenübernahmeerklärungen durch das Beschwerdegericht. Diese Hinweise sprechen entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts entscheidend dafür, dass ein (zumindest auch) zivilrechtlicher Anspruch zwischen den Parteien gerade ausgeschlossen werden sollte und es sich deshalb bei den betreffenden Erklärungen - unter der im Rahmen der Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit gebotenen Annahme, dass diese einen (direkten) Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten begründen - um (ausschließlich) öffentlich-rechtliche einseitige Leistungsversprechen der Beklagten handelt (vgl. BVerwGE 96, 71 , 75 f.).

Vorinstanz: LG Berlin, vom 15.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 22 O 314/18
Vorinstanz: KG, vom 11.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 11 W 2/19