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BGH - Entscheidung vom 15.05.2019

AK 22/19

Normen:
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129b Abs. 1
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129b Abs. 1
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129b Abs. 1

Fundstellen:
NJW 2019, 2552
NStZ 2020, 26
StV 2020, 174

BGH, Beschluss vom 15.05.2019 - Aktenzeichen AK 22/19

DRsp Nr. 2019/9074

Mitgliedschaftliche Beteiligung an der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" durch Tätigkeiten in dessen Herrschaftsgebiet; Formale Eingliederung des Täters in die Organisation; Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft

Zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" durch Tätigkeiten in deren Herrschaftsgebiet (Fortführung von BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17).

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.

Normenkette:

StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1 ; StGB § 129b Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Angeschuldigte ist am 17. Oktober 2018 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ( 4 BGs 204/18) vom 15. Oktober 2018 festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich von März 2015 bis Mai 2016 in Syrien und im Irak als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland ("Islamischer Staat" [IS]) beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB ) oder Totschlag (§ 212 StGB ) oder Kriegsverbrechen (§§ 8 , 9 , 10 , 11 oder 12 VStGB ) zu begehen, und sich während dieser Zeit Mitte 2015 im Rahmen der Bürgerkriegsgeschehnisse im Irak gemeinschaftlich handelnd Sachen der gegnerischen Partei in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig angeeignet, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten gewesen sei, strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 bis 3 StGB , § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB , § 25 Abs. 2 , § 52 StGB . Die Angeschuldigte habe sich von Deutschland aus in das syrische und irakische Bürgerkriegsgebiet begeben und dort dem IS angeschlossen. Im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit ihrem Ehemann nach islamischem Ritus D. habe sie von der Vereinigung ein Wohnanwesen übernommen, dessen Eigentümer oder andere Berechtigte geflohen oder vertrieben gewesen seien.

Mit Anklageeschrift vom 3. April 2019 hat der Generalbundesanwalt am 5. April 2019 Anklage gegen die Angeschuldigte zum Oberlandesgericht Düsseldorf wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte erhoben. Zugleich hat er gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 StPO von der Verfolgung etwaiger weiterer mitgliedschaftlicher Betätigungsakte abgesehen, die nicht gleichzeitig den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift als der § 129a Abs. 1 Nr. 1 , § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB erfüllen und die in ihrer Gesamtheit zu der angeklagten Tat in Realkonkurrenz stehen.

Mit Beschluss vom 11. April 2019 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten.

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Gegenstand der Haftprüfung ist der vollzogene und vorgelegte Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Oktober 2018 mit der Maßgabe, dass sich die Anklageschrift vom 3. April 2019 nur noch auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte bezieht. Im Haftbefehl aufgeführte weitere, nicht gegen andere Strafgesetze verstoßende Betätigungsakte als Mitglied des IS, die durch das Organisationsdelikt als verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit verklammert würden und in ihrer Gesamtheit als materiellrechtlich eigenständige Tat (§ 53 StGB ) zu der angeklagten nach § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB gesondert strafbaren Beteiligungshandlung hinzuträten (zu den Konkurrenzen s. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 , 311 f., 319 f.; vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6; vom 8. November 2017 - AK 54/17, NStZ-RR 2018, 42 , 43), unterliegen - nach Anklageerhebung - nicht mehr dem Verfolgungswillen des Generalbundesanwalts (s. auch BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2017 - AK 63/17, NStZ-RR 2018, 53 , 54). Allerdings sind sie weiterhin bedeutsam namentlich für die Beurteilung der Mitgliedschaft als solcher und die bei der Prüfung der Haftgründe zu berücksichtigende Straferwartung.

2. Die Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des "Kalifats" am 29. Juni 2014 aus "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" (ISIG) in "Islamischer Staat" (IS) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hat seit 2010 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum "Kalifen", dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Ihm unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "Shura-Räte". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al-Furqan" produziert und über die Medienstelle "al-I'tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift "Allah - Rasul - Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere tausend Kämpfer sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung übernommen.

Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt.

bb) Die Angeschuldigte ist muslimischen Glaubens. Sie radikalisierte sich spätestens Ende des Jahres 2014 und entschied sich entsprechend ihrer islamistischen Gesinnung dazu, von Deutschland nach Syrien und in den Irak auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen und am Kampf gegen das Assad-Regime sowie an der Ausbreitung eines religiös-fundamentalistischen islamischen Staates nach den Regeln der Scharia zu beteiligen. Zu diesem Zweck heiratete sie noch im Januar 2015 von Deutschland aus per Skype nach islamischem Ritus den in der Türkei aufhältigen D. , der bereits zuvor in Syrien als Kämpfer für den IS aktiv gewesen war. Am 5. Februar 2015 reiste die Angeschuldigte gemeinsam mit ihrem damals achtjährigen Sohn Y. , der aus ihrer geschiedenen Ehe stammte, mit dem Flugzeug nach Istanbul. Dort trafen sie D. . Gemeinsam mit diesem gelangten sie am 19. März 2015 mit Hilfe von vom IS bezahlten Schleusern über die türkische Grenzmetropole Gaziantep nach Syrien.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt schloss sich die Angeschuldigte dem IS an; sie identifizierte sich mit dessen Ideologie, Handlungsweisen und Zielen und unterwarf sich dem Willen der Vereinigung im Einvernehmen mit für diese verantwortlich Handelnden. Mit einem Kleinbus wurden die Angeschuldigte, ihr Sohn und D. nach Mossul gebracht, wo der IS die Familie registrierte. Die Angeschuldigte und ihr Sohn wurden in einem "Frauenhaus" untergebracht, während D. von der Vereinigung ideologisch geschult wurde. Im Juni 2015 zog die Familie in Mossul in eine von der Organisation zur Verfügung gestellte Wohnung. Während sich D. als Kämpfer für die Vereinigung betätigte, führte die Angeschuldigte den gemeinsamen Haushalt. Der IS zahlte ihr und ihrem Ehemann nach islamischem Recht ein monatliches "Gehalt" in Höhe von etwa 250 Dollar.

Im August 2015 siedelte die Familie nach Tal Afar. Dort nahmen sie ein unter der Verwaltung des IS stehendes Haus mit Garten in Besitz, das von Militärangehörigen schiitischen Glaubens bewohnt gewesen und von den rechtmäßigen Eigentümern oder anderen Berechtigten zurückgelassen worden war, als diese vor den IS-Truppen geflohen oder von diesen vertrieben worden waren. Die Organisation teilte die Immobilie der Angeschuldigten und D. zu, denen die vorgenannten Umstände bewusst waren. Ihnen kam es auch darauf an, als Angehörige der Vereinigung hierdurch deren Herrschaftsanspruch zu festigen und eine Rückeroberung des Gebiets durch gegnerische Militärverbände zu erschweren. In dem Haus bewahrte D. zeitweise seine Waffen auf. Der Angeschuldigten oblag dort ebenfalls die Haushaltsführung.

Als D. Mitte Dezember 2015 während eines Wachdienstes an der Grenze zu Syrien getötet wurde, kehrte die Angeschuldigte nach Mossul zurück. Nach D. s Tod zahlte der IS der Angeschuldigten einmalig 1.000 Dollar. Im Mai 2016 zog sie mit ihrem Sohn nach Raqqa (Syrien). Mit dem Willen, die Vereinigung zu verlassen, reisten beide Ende Oktober 2016 von dort mit Unterstützung von Kämpfern der Freien Syrischen Armee sowie unter Inanspruchnahme der Dienste eines Schleusers in die Türkei aus.

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" beruht insbesondere auf Gutachten der Sachverständigen Dr. S. und Dr. K. sowie Auswertungsberichten des Bundeskriminalamts.

Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der Mitgliedschaft der Angeschuldigten im IS und der Inbesitznahme des von der Organisation ihr und D. zugeteilten Hauses ergibt sich vor allem aus den vielfachen Äußerungen der Angeschuldigten selbst: anlässlich ihrer Befragung durch das Bundeskriminalamt am 13. Juli 2018 in Ankara (Türkei), in der Hauptverhandlung vom 18. Dezember 2017 vor der Strafkammer in Kilis (Türkei), gegenüber einem Reporter der BILD-Zeitung im Sommer 2018, bei einem Interview per Videotelefonie für eine am 17. September 2018 ausgestrahlte ARD-Reportage sowie in einigen an das Polizeipräsidium K. und das Auswärtige Amt gerichteten E-Mails, die sie im Zeitraum zwischen Mai 2017 und September 2018 mit Blick auf eine ins Auge gefasste Rückkehr nach Deutschland verfasst hat. Die Verwertung ihrer Angaben gegenüber den Polizeibehörden begegnet in Anbetracht der zuvor erteilten Belehrungen über ihre Beschuldigtenrechte keinen Bedenken. Soweit sich die Angeschuldigte anlässlich ihrer Befragung durch das Bundeskriminalamt sinngemäß dahin eingelassen hat, sich nicht in den IS eingegliedert, sondern nur in dessen Herrschaftsgebiet gelebt zu haben (Sachakte Band I Bl. 484: "Eigentlich nicht [identifiziert], ich dachte wir leben jetzt hier ..."), lässt sich dies nach Aktenlage schon nicht mit weiteren - von ihr selbst verschiedentlich getätigten - Äußerungen in Einklang bringen. Darüber hinaus haben die Ermittlungen weitere Beweise insbesondere zur Radikalisierung der Angeschuldigten und deren ideologischer Anbindung an den IS hervorgebracht, namentlich die Zeugenaussage ihres geschiedenen Ehemanns Sb. vor dem Ermittlungsrichter sowie die Erkenntnisse aus ihrem Facebook-Profil. Zu weiteren Einzelheiten der voraussichtlichen Beweisführung wird auf das in der Anklageschrift vom 3. April 2019 im Einzelnen dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt aus alledem, dass sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 bis 3 StGB , § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB , § 25 Abs. 2 , § 52 StGB strafbar gemacht hat.

aa) Die Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 , § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB ) dringend verdächtig. Sie hat sich im Sinne von § 129a Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit gültigen Fassung als Mitglied am IS beteiligt. Darauf, inwieweit die Anforderungen an diese Tathandlungsvariante infolge der Neufassung der §§ 129 , 129a StGB mit Wirkung vom 22. Juli 2017 (s. BGBl. I S. 2440 f.) herabgesetzt worden sind (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206 , 207), kommt es hier im Hinblick auf § 2 Abs. 1 , 3 StGB nicht an.

(1) Jedenfalls für die alte Fassung des § 129a Abs. 1 StGB gilt:

Die mitgliedschaftliche Beteiligung setzt allgemein voraus, dass sich der Täter, getragen von beiderseitigem übereinstimmendem Willen und angelegt auf eine gewisse Dauer, in die Organisation eingliedert, sich ihrem Willen unterordnet und eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele entfaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, NJW 2010, 3042 , 3044).

Die Mitgliedschaft erfordert eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation. Sie kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Vereinigung von innen und nicht lediglich von außen her fördert. Zwar setzt sie keine förmliche Beitrittserklärung oder organisierte Teilnahme des Täters am Leben der Vereinigung voraus. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar macht. Hierfür reicht allein eine Tätigkeit für die Organisation nicht aus, mag sie auch besonders intensiv sein; denn ein Außenstehender wird nicht allein durch die Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied. Auch ein auf lediglich einseitigem Willensentschluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt nicht, selbst wenn der Betreffende bestrebt ist, die Vereinigung und ihre kriminellen Ziele zu fördern. Die Mitgliedschaft setzt ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die der Vereinigung regelmäßig nicht aufgedrängt werden kann, sondern von ihrer Zustimmung abhängig ist. Eine Beteiligung als Mitglied scheidet deshalb aus, wenn Unterstützungshandlungen nicht von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben getragen sind (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 , 113 f.; Beschlüsse vom 13. September 2011 - StB 12/11, NStZ-RR 2011, 372 f.; vom 7. September 2017 - AK 42/17, NStZ-RR 2018, 10 , 11).

Eine Förderungshandlung des Mitglieds kann darin bestehen, unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Vereinigung beizutragen; sie kann auch darauf gerichtet sein, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten. Ausreichend ist deshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation (vgl. LK/Krauß, StGB , 12. Aufl., § 129 Rn. 106; ferner BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1979 - StB 52/79, BGHSt 29, 114 , 123; Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288 , 291; Beschluss vom 14. Juli 2016 - 3 StR 23/16, BGHR StGB § 129 a Abs. 1 Beteiligung als Mitglied 1). In Betracht kommt etwa ein organisationsförderndes oder ansonsten vereinigungstypisches Verhalten von entsprechendem Gewicht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206 , 207; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 129 Rn. 82). In Abgrenzung hierzu fehlt es in Fällen einer bloß formalen oder passiven, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslosen Mitgliedschaft grundsätzlich an einem aktiven mitgliedschaftlichen Betätigungsakt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 1979 - StB 52/79, aaO, S. 121; vom 30. März 2001 - StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349 , 356; LK/Krauß aaO, Rn. 107).

(2) Auf der Grundlage des der Angeschuldigten angelasteten Sachverhalts war die Angeschuldigte nicht nur passives Mitglied des IS, sondern förderte als solches aktiv dessen Ziele:

Sie wurde einvernehmlich in die Organisation des IS aufgenommen. Sie reiste aus eigenem Antrieb von Deutschland in das syrische und irakische Bürgerkriegsgebiet, um - mittelbar - am Kampf gegen das Assad-Regime und an der Ausbreitung eines religiös-fundamentalistischen Staates nach den Regeln der Scharia teilzunehmen. Das erklärte Ziel ihrer Ausreise war von Anfang an die Vereinigung "IS" ("ISIG"). Sie identifizierte sich mit deren Ideologie, den Handlungsweisen und Zielen. Auf der Reise heiratete sie in der Türkei nach islamischem Ritus den IS-Kämpfer D. . Die Schleusung der beiden und des Sohnes der Angeschuldigten nach Syrien wurde durch die Vereinigung finanziert. Später im Irak wurde die Familie vom IS förmlich registriert. Sie lebte ausschließlich in Städten, die von der Organisation kontrolliert wurden. Die Angeschuldigte hatte an Geldleistungen teil, die von behördenähnlichen Organisationseinheiten des IS gezahlt wurden und auch für sie selbst, nicht nur für ihren Ehemann nach islamischem Ritus bestimmt waren. Sie verstand diese Leistungen als "eine Art Monatslohn" auch für die ihr obliegenden Tätigkeiten. Des Weiteren stellte die Vereinigung der Angeschuldigten und D. sukzessive Wohnunterkünfte zur Verfügung; sie wurde zudem vorübergehend - während D. s Schulung - in einem "Frauenhaus" untergebracht. All dies ging deutlich über ein bloßes Leben im "Kalifat" (s. hierzu BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206 , 207) hinaus.

Die Angeschuldigte war damit nicht nur passives Mitglied; vielmehr verrichtete sie erhebliche vereinigungstypische Tätigkeiten für die Zwecke der Organisation. Die haftprüfungsgegenständliche Inbesitznahme des vom IS zugeteilten Wohnanwesens, die Ausfluss der Mitgliedschaft der Angeschuldigten war, stellt eine aktive Förderungshandlung dar. Es entsprach dem Interesse des IS, dass zwei Angehörige der Vereinigung, darunter ein Kämpfer, das Haus unter Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht bezogen und hierdurch - zumal in Anbetracht der Bewaffnung - die tatsächliche Gebietsherrschaft festigten. Darüber hinaus ist die Haushaltsführung hier als auf Dauer angelegtes vereinigungstypisches Verhalten zu bewerten. Es diente ersichtlich auch der Aufrechterhaltung von D. s Kampfbereitschaft, entsprach dem vom IS propagierten Rollenverständnis unter den Geschlechtern und wurde wegen seiner Bedeutung für die Vereinigung eigens entlohnt. Die Angeschuldigte erfüllte - nach Aktenlage - nicht lediglich die "häuslichen Pflichten", die sich aus dem Zusammenleben mit ihrem Ehemann nach islamischen Ritus ergaben (s. hierzu BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206 , 207), sondern erbrachte hiermit auch Leistungen gegenüber dem IS. Dass sie vornehmlich Haushaltstätigkeiten verrichtete, steht ihrer mitgliedschaftlichen Beteiligung nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2018 - StB 10/18, NStZ 2018, 598 , 599, sowie StB 11/18, NStZ-RR 2018, 369 , 371).

bb) Daneben ist die Angeschuldigte eines Kriegsverbrechens gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB , § 2 VStGB dringend verdächtig. Auf der Grundlage des der Angeschuldigten zur Last liegenden Sachverhalts sind sämtliche Merkmale dieses Straftatbestands erfüllt:

Gemeinschaftlich handelnd mit D. eignete sich die Angeschuldigte das Grundstück mit Haus und Garten an, in dem irakische Militärangehörige schiitischen Glaubens gewohnt hatten und das von den Eigentümern oder anderen Berechtigten zurückgelassen worden war, als die IS-Truppen heranrückten. Denn die Inbesitznahme der Immobilie war darauf angelegt, es den Berechtigten ohne deren Willen dauerhaft zu entziehen. Für die Aneignung ist dabei ohne Belang, dass der IS das Anwesen zuvor unter seine Verwaltung gestellt hatte. Diese Aneignung hatte zudem einen erheblichen Umfang. Bei dem Grundstück mit Haus und Garten handelte es sich ferner um Sachen der gegnerischen Konfliktpartei, die der Gewalt der eigenen Partei, des IS, unterlagen; dieser ist im Verhältnis zu der Zivilbevölkerung als Gegner anzusehen, erst recht im Verhältnis zum irakischen Staat und dessen Militär. Schließlich stand die Inbesitznahme mit dem bewaffneten Konflikt in dem für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen funktionalen Zusammenhang, war völkerrechtlich nicht gerechtfertigt und auch nicht ansatzweise durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten (s. zu alledem im Einzelnen Senatsbeschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19).

cc) Das Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte steht in Tateinheit (§ 52 StGB , § 2 VStGB ) zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung.

dd) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Dies folgt für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2, 4 StGB (s. hierzu BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.), für die Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte aus § 1 Satz 1 VStGB .

ee) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2, 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des IS vor.

3. Neben dem dringenden Verdacht liegen auch die weiteren allgemeinen Voraussetzungen für die Anordnung und den Vollzug der Untersuchungshaft vor.

a) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie derjenige der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO .

aa) Es ist derzeit wahrscheinlicher, dass sich die Angeschuldigte - sollte sie auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm stellen wird.

Sie hat für den Fall ihrer Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitstrafe zu rechnen. Beide von ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit tateinheitlich verwirklichten Verbrechenstatbestände sehen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor (§ 129a Abs. 1 StGB , § 9 Abs. 1 VStGB ). Im Rahmen der Strafzumessung kann das Oberlandesgericht auch - zu seiner Überzeugung feststehende - mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen der Angeschuldigten berücksichtigen, die nicht nach anderen Strafvorschriften strafbar sind und von deren Verfolgung der Generalbundesanwalt nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 StPO abgesehen hat, soweit es die Handlungen prozessordnungsgemäß feststellt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - 2 StR 54/15, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 33; ferner Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 662, 666 mwN). Der IS, dem die Angeschuldigte mutmaßlich mehr als ein Jahr angehörte, gilt als besonders gefährliche terroristische Vereinigung, die sich zudem durch ein ausnehmend grausames Vorgehen gegen ihre Gegner auszeichnet.

Fluchthindernde Umstände, die geeignet wären, dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz entgegenzuwirken, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Die Angeschuldigte hatte sich vor ihrer Ausreise nach Syrien und in den Irak von ihrer Familie abgewandt und verfügt in Deutschland über kein stabiles soziales Umfeld. Sie hielt sich von Februar 2015 an mehr als dreieinhalb Jahre im Ausland auf, sodass sie naheliegenderweise weiterhin über Kontakte dorthin verfügt.

bb) Die Angeschuldigte ist einer Straftat nach § 129a Abs. 1 , § 129b Abs. 1 StGB dringend verdächtig. Daher liegen zusätzlich die Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 StPO auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung dieser Vorschrift (s. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 62. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) vor. Die oben dargelegten Umstände begründen - erst recht - die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne weitere Inhaftierung der Angeschuldigten vereitelt werden könnte.

b) Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO ) ist unter den gegebenen Umständen nicht erfolgversprechend.

c) Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).

4. Die spezifischen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) sind ebenfalls gegeben. Der Umfang der Ermittlungen und deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:

Nach der Festnahme der Angeschuldigten bei ihrer Wiedereinreise nach Deutschland am 17. Oktober 2018 und der Durchsuchung ihrer Person sind die hierbei aufgefundenen Asservate ausgewertet worden, darunter insbesondere ein USB-Speicherstick. Dieser enthält Video-, Audio-, Bild- und Textdateien in deutscher, türkischer und englischer Sprache im Gesamtumfang von 14,6 Gigabyte. Er ist forensisch gesichert worden. Bis Anfang 2019 sind die verfahrensrelevanten, zuvor aufbereiteten Daten (darunter zahlreiche Textdateien, 266 türkisch- und vier englischsprachige Audiodateien sowie 17 Videodateien in englischer Sprache) einer islamwissenschaftlichen Bewertung unterzogen worden, ebenso mehrere Einzelschriften und das Facebook-Profil der Angeschuldigten.

Darüber hinaus sind bis Ende Januar 2019 die persönlichen Verhältnisse der Angeschuldigten ermittelt worden. Nachdem bis zum 10. Januar 2019 erfolglos versucht worden war, über den Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in der Türkei Einzelheiten zu dem dortigen gegen die Angeschuldigte geführten Strafverfahren in Erfahrung zu bringen, ist die Türkei am 18. Januar 2019 förmlich um Rechtshilfe ersucht worden. Eine Antwort steht noch aus.

Außerdem sind bis Ende Januar 2019 Ermittlungen zu weiteren möglichen Zeugen geführt worden, insbesondere solchen, von denen zu erwarten war, dass sie Angaben zur Radikalisierung der Angeschuldigten oder deren Leben in Syrien und im Irak machen können. Des Weiteren sind als potentielle Zeugen Familienangehörige der Angeschuldigten ermittelt worden. Am 19. Februar 2019 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ihren geschiedenen Ehemann vernommen.

Auf der Grundlage dieses Stands der Ermittlungen hat der Generalbundesanwalt bis zum 3. April 2019 die Anklageschrift erstellt, die am 5. April 2019 beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingegangen ist. Aus Gründen der Beschleunigung hat er davon abgesehen, eine Antwort auf das Rechtshilfeersuchen an die Türkei abzuwarten. Der Vorsitzende des beim Oberlandesgericht Düsseldorf mit der Sache befassten Strafsenats hat am 8. April 2019 die Zustellung der Anklageschrift und eine dreiwöchige Stellungnahmefrist für die Angeschuldigte verfügt.

Demnach sind das Ermittlungs- und das Zwischenverfahren bislang in einer dem Beschleunigungsgebot genügenden Weise geführt worden.

Fundstellen
NJW 2019, 2552
NStZ 2020, 26
StV 2020, 174