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BGH - Entscheidung vom 06.12.2017

AK 63/17

Normen:
StPO § 122 Abs. 1
StGB § 30 Abs. 2 1. Var.
StGB § 53
StGB § 129a
StGB § 129b
StGB § 211
StGB § 212

Fundstellen:
NStZ-RR 2018, 53

BGH, Beschluss vom 06.12.2017 - Aktenzeichen AK 63/17

DRsp Nr. 2018/256

Verdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung; Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus; Wahrung der Nämlichkeit der dem Angeschuldigten zur Last liegenden Tat

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus sind gegeben, wenn die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang des Verfahrens wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben.

Tenor

Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. Dezember 2016 ( 2 BGs 972/16) wird aufgehoben.

Der Angeschuldigte ist in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Normenkette:

StPO § 122 Abs. 1 ; StGB § 30 Abs. 2 1. Var.; StGB § 53 ; StGB § 129a; StGB § 129b; StGB § 211 ; StGB § 212 ;

Gründe

I.

Der Angeschuldigte ist am 24. Januar 2017 festgenommen worden und befindet sich seither auf Grund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. Dezember 2016 ( 2 BGs 972/16) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe im Zeitraum von Anfang April bis mindestens Ende 2013 in Bad Münstereifel, Wuppertal und Syrien durch zwei selbständige Handlungen sich bereit erklärt, ein Verbrechen (§§ 129a, 129b StGB ) zu begehen, und sich als Mitglied an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB ) oder Totschlag (§ 212 StGB ) oder Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen, strafbar gemäß § 30 Abs. 2 Variante 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 53 StGB .

Der Angeschuldigte habe sich ab April 2013 über den Mitangeschuldigten R. B. , seinen Bruder, der Mitglied der terroristischen Vereinigung "Jabhat al-Nusra" gewesen sei, gegenüber deren Verantwortlichen bereit erklärt, nach Syrien auszureisen, sich der Vereinigung anzuschließen und sich am terroristischen Jihad zu beteiligen. Er sei im Juli 2013 tatsächlich nach Syrien gelangt, sodann aber dort, nachdem der Mitangeschuldigte zur terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) gewechselt gewesen sei, dieser Organisation beigetreten und habe sich seitdem für sie durch das Ableisten von Wachdiensten und die Teilnahme an Kampfhandlungen gegen Truppen des Assad-Regimes bis mindestens Ende 2013 betätigt.

Der Generalbundesanwalt hat das gegen den Angeschuldigten sowie den Mitangeschuldigten geführte Ermittlungsverfahren am 10. August 2017 wegen minderer Bedeutung gemäß § 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG an die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf abgegeben.

Der Senat hat mit Beschluss vom selben Tag ( AK 35 u. 36/17) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Den Angeschuldigten hat er zumindest der Mitgliedschaft im ISIG für dringend verdächtig erachtet. Ob die Ermittlungsergebnisse auch den dringenden Tatverdacht hinsichtlich des Sichbereiterklärens zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Jabhat al-Nusra begründeten, hat er offen gelassen.

Während des Haftprüfungsverfahrens hat die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf am 22. November 2017 Anklage gegen den Angeschuldigten und den Mitangeschuldigten erhoben. Mit Anklageschrift vom 20. November 2017 legt sie dem Angeschuldigten zur Last, in der Zeit von Juli 2013 bis mindestens November 2014 in Syrien durch zwei selbständige Handlungen sich als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt zu haben, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB ), Totschlag (§ 212 StGB ), Völkermord (§ 6 VStGB ), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB ) "und" Kriegsverbrechen (§ 8 , 9 , 10 , 11 und 12 VStGB ) zu begehen, davon in einem Fall durch dieselbe Handlung über Kriegswaffen die tatsächliche Gewalt ausgeübt zu haben, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem KWKG beruhe oder eine Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a KWKG erstattet worden sei.

Der Angeschuldigte sei in der Zeit zwischen dem 28. Juni und dem 7. Juli 2013 nach Syrien ausgereist und habe sich dort nach seiner Ankunft - auf Vermittlung des Mitangeschuldigten - der terroristischen Vereinigung "Jabhat alNusra" angeschlossen sowie für diese nach dem Durchlaufen einer Ausbildung zum Kämpfer regelmäßig Wachdienste wahrgenommen und sich jedenfalls in der Zeit vor dem 29. September, im Oktober und im November 2013 an Kampfhandlungen auf Seiten der Vereinigung beteiligt. Spätestens im Rahmen des ersten Kampfeinsatzes habe er ein zur Standardausrüstung der Jabhat-al-Nusra-Kämpfer gehörendes vollautomatisches Sturmgewehr besessen, das er auch bei den weiteren Wachdiensten und Kampfeinsätzen mit sich geführt habe. Er habe die Jabhat al-Nusra erst nach dem 27. Juli 2014 verlassen.

II.

Die Prüfung, ob die Untersuchungshaft des Angeschuldigten über neun Monate hinaus fortdauern darf (§§ 121 , 122 StPO ), führt zur Aufhebung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. Dezember 2016 ( 2 BGs 972/16), weil die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf den haftbefehlsgegenständlichen Vorwurf nicht mehr weiterverfolgt und die angeklagten Taten für die Entscheidung über die Haftfortdauer unberücksichtigt bleiben müssen.

1. Nach § 122 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Haftprüfung allein der vorgelegte vollzogene Haftbefehl und damit grundsätzlich auch ausschließlich der darin gegenüber dem Beschuldigten erhobene Vorwurf. Diese Beschränkung bezieht sich auf den geschilderten Lebenssachverhalt, aus dem sich die dem Beschuldigten angelastete prozessuale Tat ergibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, [...] Rn. 8 f.; vom 20. Oktober 2016 - AK 53/16, [...] Rn. 8; vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, [...] Rn. 22). Das Haftprüfungsgericht ist zu einer abweichenden rechtlichen Würdigung des Sachverhalts befugt. Es darf aber nicht anhand der Ermittlungsergebnisse die im Haftbefehl umschriebene prozessuale Tat austauschen oder den Haftbefehl über diese hinaus in tatsächlicher Hinsicht erweitern (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, aaO Rn. 9; OLG Celle, Beschluss vom 1. Juni 2005 - 22 HEs 3/05, StV 2005, 513 f.; OLG Koblenz, Beschluss vom 12. November 2007 - (1) 4420 BL - III - 29/17, [...] Rn. 18).

Ausweislich der Anklageschrift vom 20. November 2017 bezieht sich der Verfolgungswille der Generalstaatsanwaltschaft nicht mehr auf die beiden prozessualen Taten, die Gegenstand des vorgelegten Haftbefehls sind. Da sich dieser auf eine Tatsachengrundlage stützt, die die Generalstaatsanwaltschaft als von den Ermittlungsergebnissen nicht mehr gedeckt ansieht, kann er seiner Funktion nicht weiter gerecht werden, in tatsächlicher Hinsicht verlässlich Auskunft über den Grund der Untersuchungshaft zu geben (s. § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO ). Für den Anklagevorwurf fehlt es indes an einer Haftentscheidung (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 12. November 2007 - (1) 4420 BL - III - 29/17, aaO, Rn. 19; BeckOK StPO/Krauß, § 122 Rn. 6; KK-Schultheis, StPO , 7. Aufl., § 121 Rn. 24a).

2. Die beiden dem Angeschuldigten im Haftbefehl angelasteten Taten sind nicht von der Anklage umfasst, weder die Mitgliedschaft im ISIG (nachfolgend a) noch das Sichbereiterklären zur Mitgliedschaft in der Jabhat al-Nusra (unten b).

a) Die mitgliedschaftliche Beteiligung am ISIG und diejenige an der Jabhat al-Nusra sind nicht nur materiellrechtlich, sondern auch prozessual verschiedene Taten. Für eine Strafbarkeit gemäß § 129a Abs. 1 StGB ist die konkrete terroristische Vereinigung ein das Tatbild entscheidend prägendes Merkmal. Stellt sich nach Haftbefehlserlass heraus, dass sich der Beschuldigte mitgliedschaftlich für eine andere Organisation als die zunächst angenommene betätigte, so wird die Nämlichkeit der ihm zur Last liegenden Tat in aller Regel nicht gewahrt sein. Denn andere, gleichgebliebene Umstände werden das Geschehen kaum hinreichend individualisieren können, um Zweifel an der Tatidentität und eine Verwechslungsgefahr mit anderen ähnlichen Taten auszuschließen (zu diesem Kriterium s. LR/Stuckenberg, StPO , 26. Aufl., § 264 Rn. 96 mN). So liegt es auch hier.

Zwar hat es der Senat in einem Fall, in dem dem Angeschuldigten zunächst im Haftbefehl konkret umschriebene Beteiligungshandlungen am ISIG vorgeworfen wurden, der Generalbundesanwalt die Anklage dann aber darauf stützte, der Angeschuldigte habe diese für die terroristische Vereinigung "Junud ash-Sham" vorgenommen, "aufgrund der Besonderheiten des ... Falls ... ausnahmsweise" unbeanstandet gelassen, dass der Haftbefehl nicht angepasst wurde. Er hat dies unter anderem auch damit begründet, dass die in Frage stehenden Vereinigungen im Tatzeitraum in demselben geografischen Raum operierten, gleichartige Zwecke und Ziele verfolgten und in diesem Raum eine Gemengelage diverser Organisationen bestand, die einerseits durch personelle Annäherungen bis zu Zusammenschlüssen oder völligen Verschmelzungen, andererseits durch Abspaltungen und neue Koalitionen gekennzeichnet war (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 2014 - AK 31/14, [...] Rn. 17 f.).

Jedoch lässt sich diese einzelfallbezogene Entscheidung, auch wenn sie dieselbe Bürgerkriegsregion und einen annähernd gleichen Tatzeitraum betrifft, auf den hiesigen Fall nicht übertragen. Denn es handelte sich im dortigen Fall um wesentlich stärker individualisierte Beteiligungshandlungen (Zur-Verfügung-Stellen einzelner Geldbeträge, Transfer von bestimmten Ausrüstungsgegenständen), während sie vorliegend nur vergleichsweise allgemein beschrieben werden können (paramilitärisches Training, Wachdienste, Kampfeinsätze). Hinzu kommt, dass nach den Ermittlungsergebnissen gerade das Verhältnis der Jabhat al-Nusra zum ISIG in dem hier relevanten Zeitraum geprägt ist von wechselseitiger Abgrenzung und Konfrontation bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen beiden Vereinigungen (vgl. - betreffend die Sechs-Monats-Prüfung in dieser Sache - Senatsbeschluss vom 10. August 2017 - AK 35 u. 36/17, [...] Rn. 11; s. etwa auch BGH, Beschluss vom 30. März 2017 - AK 18/17, [...] Rn. 13).

b) Das Sichbereiterklären zur Mitgliedschaft in der Jabhat al-Nusra und die Mitgliedschaft selbst sind ebenfalls als zwei Taten im verfahrensrechtlichen Sinne zu beurteilen.

aa) Das vom Angeschuldigten ernsthaft bekundete Ansinnen, nach Syrien auszureisen und sich dort der Jabhat al-Nusra als Kämpfer anzuschließen, ist von einer solchen mitgliedschaftlichen Beteiligung nach Tatbild, Tatort und Tatzeit bei natürlicher Betrachtung derart abgrenzbar, dass beide Vorgänge sich nicht als einheitliches geschichtliches Geschehen darstellen (zum prozessualen Tatbegriff s. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 60. Aufl., § 264 Rn. 2; KK-Kuckein, StPO , 7. Aufl., § 264 Rn. 3, jew. mwN). Während der Angeschuldigte die tatbestandsrelevante Bekundung seiner Bereitschaft am 4. Mai 2013 von Deutschland aus - vermittelt vom Mitangeschuldigten - vorgenommen haben soll, datiert nach der Anklageschrift der in Syrien unter Beteiligung von Verantwortlichen der Jabhat al-Nusra vollzogene Anschluss (fast) zwei Monate später auf einen Zeitraum zwischen dem 28. Juni und dem 7. Juli 2013.

bb) Auch unter normativen Gesichtspunkten ist nicht die Annahme einer einheitlichen Tat im verfahrensrechtlichen Sinne geboten:

Es bedingt keine prozessuale Tatidentität, dass die versuchte Beteiligung nach § 30 Abs. 2 StGB gegenüber dem Versuch oder der Vollendung des geplanten Verbrechens - als im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktretende mitbestrafte Vortat - materiellrechtlich unselbständig ist (so BGH, Urteil vom 5. Februar 1986 - 2 StR 578/85, NJW 1986, 1820 , 1821; Beschluss vom 17. November 1999 - 1 StR 290/99, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 31; LR/Stuckenberg, StPO , 26. Aufl., § 264 Rn. 114 mwN).

Auch entspricht das Verhältnis von Tatvorbereitung und -ausführung nicht demjenigen von Versuch und Vollendung. Deren sachliche Nähe ergibt sich aus der Vorschrift des § 22 StGB , die ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Straftatbestandes voraussetzt; bei § 30 StGB fehlt demgegenüber ein derartiges Unmittelbarkeitserfordernis.

cc) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, denen zufolge von prozessualer Tatidentität auszugehen wäre, liegen nicht vor; zu der hier zu beurteilenden Fallkonstellation hat er sich bislang nicht verhalten.

Zum Beteiligungsversuch nach § 30 Abs. 1 StGB hat er freilich darauf erkannt, dass, wenn die eigenhändige Begehung eines Tötungsverbrechens den Gegenstand der von der Anklage umgrenzten Untersuchung bildet (§ 264 Abs. 1 StPO ), die vorausgegangene versuchte Bestimmung eines anderen hierzu nicht der Kognitionspflicht des Tatgerichts unterliegt (vgl. Beschluss vom 17. November 1999 - 1 StR 290/99, aaO). In gleicher Weise hat er den fehlgeschlagenen Versuch der Anstiftung zu einem Tötungsverbrechen einerseits sowie die nachfolgende, auf einem neuen Tatentschluss beruhende Anstiftung zum Versuch des Tötungsverbrechens an demselben Opfer andererseits behandelt (vgl. Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 StR 635/96, BGHSt 44, 91 ). Soweit der 4. Strafsenat in einer späteren Entscheidung darauf erkannt hat, eine Anstiftung und eine davor versuchte Kettenanstiftung eines anderen Haupttäters seien prozessual dieselbe Tat, hat er auf die besonderen tatsächlichen Umstände des dortigen Einzelfalls abgestellt (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - 4 StR 60/09, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 48).

3. Nach alledem sind die angeklagten Taten nicht Gegenstand des Haftbefehls. Der im Haftbefehl geschilderte Lebenssachverhalt unterliegt - nach Anklageerhebung - nicht mehr dem Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft, die insoweit - jedenfalls konkludent - einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne von § 170 Abs. 1 , § 203 StPO verneint hat. Der Haftbefehl war daher aufzuheben.

Fundstellen
NStZ-RR 2018, 53