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BSG - Entscheidung vom 13.04.2017

B 4 AS 9/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 13.04.2017 - Aktenzeichen B 4 AS 9/17 B

DRsp Nr. 2017/13747

SGB-II -Leistungen Kosten der Unterkunft und Heizung Divergenzrüge Formgerechte Darlegung einer Divergenz Abstrakter Rechtssatz

1. Die formgerechte Darlegung einer Divergenz erfordert, dass in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so bezeichnet wird, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. 2. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll. 3. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. 4. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. November 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Kläger, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin C W in O beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

I

Streitig ist die Bewilligung von Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) in dem Zeitraum von August bis November 2010.

Die verheirateten Kläger beziehen seit 2006 durchgehend SGB II -Leistungen und wohnen in einem im Eigentum von Familienmitgliedern stehenden Haus, das aus einer Haupt- und einer Einliegerwohnung bzw einer in einem Anbau befindlichen Wohnung besteht. Im streitigen Zeitraum wohnten die Kläger in der Hauptwohnung, die Tochter mit ihrem Ehemann in der Einliegerwohnung. Das Eigentum hatten die Eltern des Klägers zu 1 laut notariellem Vertrag vom 9.11.1988 der damals fünfjährigen Tochter der Kläger übertragen. In dem notariellen Übertragungsvertrag vereinbarten die Schenker mit ihrem Sohn, dem Kläger zu 1, dass er die Kosten der Unterhaltung (Beiträge, öffentliche Lasten, Versicherungen etc) trage und auch die Grundschulden tilge (§ 8 des Vertrags). Die Eltern des Klägers zu 1 erhielten ein in das Grundbuch eingetragenes Nießbrauchrecht.

Nachdem der Beklagte den Klägern über mehrere Jahre SGB II -Leistungen unter Berücksichtigung von KdUH - offenbar auf der Grundlage eines Mietvertrags vom 18.8.1989 zwischen den Eltern des Klägers zu 1 als Vermieter und den Klägern als Mietern mit einer vereinbarten monatlichen Miete von 950 DM - erbracht hatte, berücksichtigte er für den Zeitraum vom 1.8.2010 bis 30.11.2010 bei der SGB II -Bewilligung keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (Bescheid vom 27.7.2010). Ein hierauf bezogener Überprüfungsantrag hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 23.2.2011; Widerspruchsbescheid vom 13.10.2011). Das LSG hat das zusprechende Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil des LSG vom 23.11.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, einer wirksamen (miet-)vertraglichen oder anderweitigen Verpflichtung zu Mietzahlungen stehe der widersprüchliche Vortrag der Kläger entgegen, die im Jahre 2010 zunächst das Bestehen eines Mietvertrags bestritten und zu keinem Zeitpunkt regelmäßige Mietzahlungen dargelegt hätten. Nachvollziehbar erscheine, dass die Kläger von einer lebenslangen unentgeltlichen Nutzung profitieren sollten, weil der Kläger zu 1 das Grundstück nicht von den Eltern habe erben sollen. Bei möglichen Zahlungen an die kreditgebende Bank handele es sich nicht um mietvertraglich geschuldete Zahlungen gegenüber der Tochter als Eigentümerin des Hauses.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, für deren Durchführung die Kläger PKH beantragt haben, rügen sie eine Divergenz und machen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie des Amtsermittlungsgrundsatzes geltend.

II

Die Beschwerde ist nicht zulässig, weil die als Zulassungsgrund geltend gemachte Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Auch soweit die Kläger einen Verfahrensmangel behaupten (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), ist dieser nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Die formgerechte Darlegung einer Divergenz erfordert, dass in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so bezeichnet wird, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 29).

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Kläger nicht. Sie tragen vor, das Berufungsgericht würdige die Entscheidung des BSG vom 24.2.2011 (B 14 AS 61/10 R) dahingehend, dass neben der Miete nur noch wegen Aufwendungen, die mit dem selbstgenutzten Hausgrundstück untrennbar verbunden seien, ein Anspruch auf SGB II -Leistungen für KdU abgeleitet werden könne. Diese Einschränkung sei der Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen, wenn dort in den ersten Leitsatz aufgenommen sei: "Berücksichtigungsfähige Kosten für Unterkunft bei selbst genutzten Hausgrundstücken sind auch solche einmaligen Aufwendungen, die tatsächlich und untrennbar mit der Nutzung des Hausgrundstücks verbunden sind (hier: Kanalanschlusskosten)." Das Urteil des LSG weiche auch von der Entscheidung des BSG vom 29.11.2012 (B 14 AS 36/12 R) ab, wonach Aufwendungen anerkannt würden, die der Befriedigung laufender Verpflichtungen gegenüber Dritten zur Erfüllung des Grundbedürfnisses des Wohnens dienten.

Mit diesen Ausführungen haben die Kläger lediglich auf höchstrichterliche Entscheidungen verwiesen, ohne sich mit einer eventuellen Divergenz auseinanderzusetzen. Es ist schon nicht vorgetragen, auf welche fallübergreifenden abstrakten und divergierenden Rechtssätze der beiden Entscheidungen die Kläger Bezug nehmen möchten. Unabhängig hiervon ist auch nicht ausreichend dargetan, dass das Berufungsurteil auf der gerügten Divergenz beruht ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21 , 29, 54, 67). Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass den angeführten BSG -Urteilen jeweils Fallgestaltungen von Wohneigentum zugrunde lagen, während die Kläger nicht über Eigentum, sondern über ein lebenslanges Wohnrecht verfügen.

Auch soweit die Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln rügen, ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden.

Die von ihnen geltend gemachte Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes und ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen die Kläger im Wesentlichen damit, dass das Berufungsgericht den notariellen Vertrag vom 9.11.1988 unzutreffend ausgelegt habe. Mangels mietvertraglicher Verpflichtung und untrennbarer Verbindung mit der Nutzung eines eigenen Hausgrundstücks gehe das LSG zu Unrecht davon aus, dass ein unentgeltliches Wohnrecht bestanden habe. Indem das Berufungsgericht nicht auf seine Rechtsauffassung hingewiesen und ihr Erscheinen zur mündlichen Verhandlung angeordnet habe, habe es ihnen keine Möglichkeit zur Benennung von Zeugen eingeräumt. Das LSG habe sich zur weiteren Sachaufklärung gedrängt fühlen müssen.

Mit diesem Vortrag ist ein Verfahrensfehler einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG ) nicht ausreichend bezeichnet. Wegen dieses Verfahrensfehlers kann die Revision nur zugelassen werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Daher muss auch in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde auf diese Anforderungen eingegangen werden (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 16b). Daran fehlt es hier, weil die Kläger sich schon nicht auf einen Beweisantrag beziehen.

Auch mit ihrem Vortrag zur Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör vermögen die Kläger nicht durchzudringen. Ein "Überraschungsurteil" ist nur dann anzunehmen, wenn das Urteil auf einen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt gestützt wird, mit dem ein sorgfältiger Beteiligter nicht rechnen muss (vgl ua BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 mwN; Beschluss vom 21.9.2006 - B 12 KR 24/06 B - juris mwN; BVerfGE 86, 133 , 144 f; 108, 341, 345 f). Eine solche Fallgestaltung behaupten die Kläger schon nicht. Die von ihnen unterstellte generelle Verpflichtung des Gerichts, schon vor Erlass eines Urteils alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Verfahren zu erörtern, auf einzelne Gesichtspunkte - hier die Würdigung des den Beteiligten bekannten notariellen Vertrags - hinzuweisen, besteht nicht ( BSG vom 26.10.2012 - B 6 KA 3/12 C - juris). Auch verpflichtet das Gebot der Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör die Gerichte nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen und jedes Vorbringen inhaltlich zu bescheiden (vgl BVerfG vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 - BVerfGK 14, 238 = WM 2008, 2084 ; BSG vom 14.12.2011 - B 6 KA 7/11 C - juris RdNr 7). Die Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, worum es den Klägern im Kern geht, ist nicht Gegenstand des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Den Klägern steht PKH nicht zu, weil ihre Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO ). Aus diesem Grund entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 23.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 13 AS 355/13
Vorinstanz: SG Oldenburg, vom 18.11.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 48 AS 1575/11