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BSG - Entscheidung vom 20.02.2017

B 13 R 124/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 20.02.2017 - Aktenzeichen B 13 R 124/16 B

DRsp Nr. 2017/10081

Rente wegen Erwerbsminderung Gewährung rechtlichen Gehörs Ablehnung eines Fristverlängerungsantrags

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs hat u.a. zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgerechter Erklärungen haben müssen und ihnen dazu angemessene Zeit eingeräumt wird. 2. Zur Begründung eines entsprechenden Verfahrensmangels ist nicht nur der Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs selbst zu bezeichnen, sondern auch darzustellen, welches Vorbringen dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann. 3. Darüber hinaus erfordert eine ordnungsgemäße Gehörsrüge die Darlegung, dass der Beschwerdeführer seinerseits alles getan hat, um sich mit zumutbarer Ausschöpfung der vom Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 24. März 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe:

Das Sächsische LSG hat im Beschluss vom 24.3.2016 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (über die bereits bewilligte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hinaus) verneint. Nach dem Ergebnis der sozialmedizinischen Ermittlungen sei der Kläger noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen; eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsminderung bestehe nicht. Die Einschätzung im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 8.10.2014, dass das Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter drei Stunden täglich betrage, sei insbesondere auch aufgrund der aktiven Tages- und Freizeitgestaltung des Klägers widerlegt.

Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Verfahrensmängel geltend.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 25.4.2016 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat einen Verfahrensmangel nicht formgerecht bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Hierzu müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff). Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG ) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG ). Das Vorbringen des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

1. Der Kläger rügt zunächst, das LSG habe seine Berufung nicht durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG zurückweisen dürfen. Das Berufungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) verletzt, weil es seinen Antrag vom 15.3.2016 auf Verlängerung der in einem ihm am 22.2.2016 zugegangenen gerichtlichen Schreiben gesetzten vierwöchigen Äußerungsfrist zu Unrecht wegen unterbliebener Darlegung eines ausreichenden Grundes zurückgewiesen habe (Gerichtsschreiben vom 18.3.2016, zugegangen am 22.3.2016). Er habe den Fristverlängerungsantrag wie folgt begründet: "Der Kläger musste sich im Februar 2016 stationär behandeln lassen. Eine ausführliche Rücksprache mit ihm konnte bislang noch nicht erfolgen. Wegen der anstehenden Osterfeiertage und ggf. der Suche nach einem Gutachter gemäß § 109 SGG wird die begehrte Fristverlängerung benötigt." Damit habe er zum Ausdruck gebracht, dass die Frist wegen der noch nicht erfolgten Rücksprache des Klägers mit seinem Prozessbevollmächtigten zu verlängern sei. Aufgrund des Verweises auf die im Februar 2016 durchgeführte stationäre Behandlung habe auf der Hand gelegen, dass "entweder gesundheitliche Gründe und/oder auch Gründe der Arbeitsüberlastung des Unterfertigenden" vorgelegen hätten. Eventuellen Zweifeln an dieser Begründung hätte das LSG durch eine - hier unterbliebene - telefonische Rückfrage nachgehen müssen. Bei einer Rückfrage wäre dem LSG mitgeteilt worden, dass die Fristverlängerung bis zum 12.4.2016 benötigt werde, weil der Kläger erst an diesem Tag mit einem ins Auge gefassten Sachverständigen besprechen könne, ob dieser zur Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG bereit sei. Das LSG habe es im Schreiben vom 18.3.2016 versäumt, sich mit der beabsichtigten Beantragung eines Gutachtens nach § 109 SGG auseinanderzusetzen.

Mit diesem Vortrag macht der Kläger im Kern eine Gehörsverletzung durch die Verfahrensweise des LSG geltend (§§ 62 , 153 Abs 4 S 2 SGG ). Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass das Berufungsgericht in seinem Fall zusätzlich die in § 153 Abs 4 S 1 SGG normierten Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung missachtet habe, trägt er nicht vor (s hierzu BSG Beschluss vom 11.1.2017 - B 13 R 359/16 B - BeckRS 2017, 100858 RdNr 12 f).

Der Kläger hat aber auch die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgrund der gerichtlichen Ablehnung seines Fristverlängerungsantrags vom 15.3.2016 nicht schlüssig aufgezeigt. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs hat ua zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgerechter Erklärungen haben müssen und ihnen dazu angemessene Zeit eingeräumt wird ( BSG Beschluss vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6 mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Verfahrensmangels ist nicht nur der Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs selbst zu bezeichnen, sondern auch darzustellen, welches Vorbringen dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann ( BSG Beschluss vom 24.9.2014 - B 9 SB 11/14 B - Juris RdNr 5 mwN). Darüber hinaus erfordert eine ordnungsgemäße Gehörsrüge die Darlegung, dass der Beschwerdeführer seinerseits alles getan hat, um sich mit zumutbarer Ausschöpfung der vom Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (stRspr - s BVerfG [Kammer] Beschluss vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - BVerfGK 17, 479 - Juris RdNr 28; BSG Beschluss vom 20.1.1998 - B 13 RJ 207/97 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35).

Es kann hier offenbleiben, ob der Kläger gegenüber dem LSG erhebliche Gründe vorgebracht hat, die zur Gewährleistung ausreichenden rechtlichen Gehörs eine Verlängerung der vom Gericht gesetzten Äußerungsfrist zum Gutachten der Dr. H. und zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG erfordert haben. Auch wenn nicht ohne weiteres erkennbar ist, welche sachbezogenen Gründe einer Gewährung der erstmals erbetenen Fristverlängerung um lediglich drei Wochen entgegenstanden, hätte der Kläger jedenfalls nach Kenntniserlangung von der Ablehnung seines Antrags - nach seinen eigenen Angaben am 22.3.2016, dh einen Tag nach Ablauf der gesetzten vierwöchigen Äußerungsfrist - Veranlassung gehabt, schnellstmöglich gegenüber dem LSG die wahren Gründe für die begehrte Fristverlängerung zu benennen (vgl Beschwerdebegründung S 5 Abs 3) und erneut um diese nachzusuchen. Nur dann hätte er alle nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten des Prozessrechts ausgeschöpft, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

Die Beschwerdebegründung zeigt jedoch nicht auf, dass der Kläger bzw sein Prozessbevollmächtigter alles Zumutbare getan haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Zwar trägt der Kläger vor, dass sein Prozessbevollmächtigter das LSG mit Schreiben vom 23.3.2016 erneut um Fristverlängerung bis zum 12.4.2016 gebeten habe. In diesem Schreiben ist allerdings wiederum nicht der wahre, erstmals in der Beschwerdebegründung bezeichnete Grund für die benötigte zusätzliche Zeit - Erlangung eines Termins bei dem in Aussicht genommenen Gutachter nach § 109 SGG erst an diesem Tag - genannt. Hinzu kommt, dass der Kläger auch nicht vorgetragen hat, diesen zweiten Fristverlängerungsantrag im Hinblick auf die bereits abgelaufene Äußerungsfrist mit der gebotenen Beschleunigung (zB per Telefax) an das LSG übermittelt zu haben.

Ungeachtet dessen hat der Kläger auch nicht schlüssig aufzuzeigen vermocht, dass die angefochtene Entscheidung des LSG auf der geltend gemachten Gehörsverletzung beruhen kann. Seinem Vorbringen zufolge hätte die nach einer Fristverlängerung durchgeführte weitere Beweiserhebung "mit hoher Wahrscheinlichkeit ein untervollschichtiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt" ergeben. Weshalb das LSG auf einer solchen tatsächlichen Grundlage die begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung hätte zusprechen müssen (vgl § 43 Abs 1 S 2, Abs 2 S 2 SGB VI ), stellt der Kläger jedoch nicht dar (zur nur noch begrenzten Bedeutung des Begriffs "untervollschichtig" für die Rechtslage ab 2001 vgl Freudenberg in juris-PK SGB VI , 2. Aufl 2013, § 43 RdNr 81 f).

2. Soweit der Kläger beanstandet, dass sich das LSG mit seinem weiteren Fristverlängerungsantrag im Schriftsatz vom 23.3.2016 nicht befasst habe (Ziffern 4 und 7 der Beschwerdebegründung), ergibt sich aus seinem Vortrag nicht, dass sich das Berufungsgericht vor Herausgabe des Beschlusses vom 24.3.2016 zur Zustellung überhaupt noch mit diesem Antrag hätte befassen können. Der Kläger legt nicht dar, dass sein Prozessbevollmächtigter bzw dessen Kanzleivertreter diesen Antrag noch am 23.3.2016, spätestens aber am 24.3.2016 - etwa per Telefax - dem LSG zur Kenntnis gebracht habe. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Akteninhalt der Beschluss vom 24.3.2016 noch am selben Tag (Gründonnerstag) zur Post gegeben wurde, während der weitere Fristverlängerungsantrag des Klägers vom 23.3.2016 erst am 29.3.2016 (Dienstag nach Ostern) als einfacher Brief beim LSG einging. Im Übrigen gilt auch insoweit, dass nicht hinreichend aufgezeigt ist, inwiefern der LSG-Beschluss auf der geltend gemachten Gehörsverletzung beruhen kann (s oben).

3. Der weitere Vorhalt des Klägers, das LSG habe sich in seinem Beschluss unter Verletzung von § 103 SGG nicht hinreichend mit den bereits in der Berufungsbegründung angebrachten Beweisanträgen auf Einholung weiterer medizinischer Fachgutachten (auf orthopädischem, internistischem und neurologisch-psychiatrischem Gebiet sowie zudem fachübergreifend) auseinandergesetzt, genügt nicht den besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge. Der Kläger hat nicht - wie erforderlich ( BSG Beschluss vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52 mwN; BSG Beschluss vom 15.6.2015 - B 13 R 151/15 B - Juris RdNr 9) - aufgezeigt, dass er diese Beweisanträge auch noch aufrechterhalten habe, nachdem das vom LSG in Auftrag gegebene neurologisch-psychiatrische Gutachten der Frau Dr. H. vorlag und er zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG angehört wurde, oder dass die Beweisanträge im Beschluss des LSG wiedergegeben sind.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der nicht formgerecht begründeten und deshalb unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 24.03.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 462/15
Vorinstanz: SG Dresden, - Vorinstanzaktenzeichen 22 R 1691/12