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BSG - Entscheidung vom 18.07.2017

B 4 AS 54/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 62
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 106 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 18.07.2017 - Aktenzeichen B 4 AS 54/17 B

DRsp Nr. 2017/13948

Parallelentscheidung zu BSG - B 4 AS 53/17 B - v. 18.07.2017

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 7. Dezember 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin R. beizuordnen, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 62 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 106 Abs. 1 ;

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger weder Verfahrensfehler, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann, noch eine grundsätzliche Bedeutung der Sache in der gebotenen Weise als Zulassungsgründe bezeichnet bzw dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG , § 169 SGG ).

Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36 ; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist bei der Rüge einer Gehörsverletzung die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 36), denn eine Gehörsverletzung stellt gemäß § 202 SGG iVm § 547 ZPO keinen absoluten Revisionsgrund dar.

Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Er macht geltend, die Entscheidung des LSG sei zur Problematik der Nichtanerkennung von KFZ-Kosten überraschend und verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, weil das LSG auf seine Rechtsauffassung zu diesen Gesichtspunkten zuvor nicht hingewiesen habe. Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG , der dem schon in Art 103 Abs 1 GG verankerten prozessualen Grundrecht entspricht (vgl Neumann in Hennig, SGG , § 62 RdNr 6 ff, Stand Juni 2015), ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Die richterliche Hinweispflicht (§ 106 Abs 1 SGG ) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Hauck in Hennig, SGG , § 106 RdNr 10, Stand September 2010) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl Senatsurteil vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1500 § 114 Nr 2 vorgesehen, RdNr 34). Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt allerdings nur vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl nur BSG vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7, RdNr 37; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b). Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt ( BSG vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - RdNr 9).

Hieran fehlt es. Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass die Anerkennung von KFZ-Kosten ausdrücklich Gegenstand verschiedener schriftlicher und mündlicher Erörterungen in beiden Instanzen gewesen ist, er also Stellung zu den sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen nehmen konnte. Darüber hinaus bringt er zwar vor, das LSG habe keine Zweifel an bestimmten Umständen gehabt. Woraus das im Einzelnen zu schließen sein soll, führt er allerdings nicht aus. Eine unerwartete Verfahrenswendung ist dadurch nicht nachvollziehbar dargetan. Der vom Kläger im Übrigen geltend gemachten - von ihm offenbar als umfassend angesehenen - Hinweispflicht des LSG bezogen auf jedes Detail seiner Beurteilung steht schon entgegen, dass diese eine tatsächliche und rechtliche Würdigung voraussetzt, die sich regelmäßig erst aufgrund einer abschließenden Beratung des Gerichts ergeben kann (vgl hierzu BVerwG Beschluss vom 21.9.2011 - 5 B 11/11 - RdNr 3; Senatsurteil vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1500 § 114 Nr 2 vorgesehen, RdNr 35). Wenn zudem - wie vorliegend - eine Vielzahl von einzelnen Berechnungselementen oder Abzugspositionen im Streit stehen, können aufklärende Hinweise zu allen Detailfragen erst recht nicht verlangt werden.

Aus der Beschwerdebegründung wird darüber hinaus nicht hinreichend deutlich, warum das LSG nach Würdigung weiteren Vorbringens des Klägers zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Insofern fehlt es bereits an einer ausreichenden Darstellung der Sach- und Rechtslage in Bezug auf den streitbefangenen Leistungszeitraum, der dem Senat die Beurteilung der Einkommensanrechnung ermöglichen würde.

Soweit der Kläger wegen der unterbliebenen Schätzung der geschäftlichen Fahrten die aus seiner Sicht fehlerhafte Anwendung von § 202 SGG iVm § 287 ZPO rügt, ist ebenfalls kein Verfahrensmangel ausreichend bezeichnet. Denn der Kläger wendet sich nicht gegen die - aus verfahrensrechtlichen Gründen - vom LSG als geboten angesehene Heranziehung von § 287 ZPO an sich oder dessen abstrakte Auslegung durch das LSG, was allein geeignet sein könnte, einen Verfahrensfehler zu begründen, sondern ganz ausdrücklich (nur) gegen die fehlerhafte Rechtsanwendung dieser Vorschrift im vorliegenden Einzelfall. Die möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall kann indes nicht zur Zulassung der Revision führen, denn die Revision dient nicht - wie schon die enumerative Aufzählung der Zulassungsgründe in § 160 Abs 2 SGG zeigt - einer allgemeinen Überprüfung des Rechtsstreits in der Sache (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26).

Desgleichen ist eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG durch das Übergehen eines Beweisantrags nicht formgerecht bezeichnet. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann auf eine solche Verletzung der geltend gemachte Verfahrensmangel nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung muss hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das Berufungsgericht mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35 und § 160a Nr 24, 34).

Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Selbst wenn man die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, auf die Vernehmung des Zeugen P. nicht verzichten zu wollen, noch als das Aufrechterhalten eines zuvor gestellten Beweisantrags ansehen würde, fehlt es jedenfalls an Ausführungen zum voraussichtlichen Ergebnis der Beweisaufnahme und demgemäß auch dazu, warum die Beweisaufnahme zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Soweit der Kläger auch die unterbliebene Vernehmung eines Zeugen F. rügt, fehlt es schon an der Bezeichnung eines noch in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Beweisantrags.

Der Kläger hat auch nicht schlüssig aufgezeigt, dass das Urteil des LSG wegen einer unzureichenden Urteilsbegründung (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG ; § 202 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO ) verfahrensfehlerhaft sein könnte. Er rügt zwar, dass er die abschließenden Berechnungen des LSG nicht nachvollziehen könne, berücksichtigt dabei aber nicht, dass das LSG verschiedene in die Berechnung eingeflossene Faktoren geschätzt hat. Deswegen hätte er darlegen müssen, warum die Berechnung auch vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar sein soll.

Schließlich hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht formgerecht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Dem wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Für grundsätzlich bedeutsam hält er die Frage, "welche Mindestanforderungen an ein Fahrtenbuch zu stellen sind, damit es anerkannt wird und damit Grundlage einer Entscheidung vom Jobcenter oder vom Gericht sein kann, zumindest aber eine geeignete Schätzgrundlage". Schon die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage zeigt er nicht auf. Vielmehr beschränkt er sich auf die Würdigung des konkret von ihm geführten Fahrtenbuchs, was unzureichend ist.

Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO ), ist dem Kläger auch keine PKH zu bewilligen. Damit entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 07.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 AS 673/15
Vorinstanz: SG Gotha, vom 15.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 40 AS 4226/11