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BSG - Entscheidung vom 10.10.2017

B 5 R 251/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 10.10.2017 - Aktenzeichen B 5 R 251/17 B

DRsp Nr. 2017/16421

Höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Anerkennung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit Verfahrensrüge Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht Formgerechte Begründung Verbot von Überraschungsentscheidungen

1. Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht kommen nur in Betracht, wenn das LSG einen Beweisantrag ohne hinreichende Begründung übergangen hat. 2. Wird eine Verletzung des § 103 SGG gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. 3. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt u.a. vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können. 4. Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten,

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe:

Mit Urteil vom 24.2.2017 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Anerkennung der Zeit vom 30.10.1975 bis 31.10.1976 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG .

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG , 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff).

Der Kläger wird bereits dem ersten Erfordernis nicht gerecht. Er hat keine abstrakt generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (vgl § 162 SGG ) gestellt (vgl Senatsbeschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 181). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG , den Vortrag des Klägers darauf zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt eine "Verletzung des § 103 SGG ".

Hierzu trägt er vor, das LSG habe zu Unrecht die Ansicht vertreten, ihm sei es nicht gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass er im Zeitraum 30.10.1975 bis 31.10.1976 keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gehabt habe. Es gelte der Grundsatz der objektiven Beweislast. Nach dem Grundsatz der objektiven oder materiellen Beweis- und Feststellungslast sei zu entscheiden, wenn sich entscheidungserhebliche Tatsachen nicht mehr feststellen ließen. Die Regeln über die objektive Beweislast dürften aber erst angewendet werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft seien. Sie entbänden den Tatrichter nicht von seiner nach §§ 103 und 128 Abs 1 SGG bestehenden Pflicht zur eingehenden Erforschung des zu entscheidenden Sachverhalts und der sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise. Die Frage der Beweislastverteilung stelle sich mithin erst, wenn es nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nicht gelungen sei, die bestehende Ungewissheit zu beenden. Im vorliegenden Fall sei er, der Kläger, "der ihn treffenden Beweislast" nachgekommen. Er habe umfangreiche Unterlagen aus dem streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegt. Das LSG verkenne in seiner Entscheidung die Anforderungen an die Beweislast. Diese würden überhöht dargestellt.

Mit diesem Vorbringen rügt der Kläger keine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht iS von § 103 SGG , sondern die Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung in der Sache wegen Verkennung der Beweislastregeln.

Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) kommen nur in Betracht, wenn das LSG einen Beweisantrag ohne hinreichende Begründung übergangen hat (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ). Wird eine Verletzung des § 103 SGG gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können ( BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Hierzu trägt der Kläger nichts vor.

Auf die von ihm gerügte Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung in der Sache wegen Verkennung der Beweislastregeln kann die Nichtzulassungsbeschwerde ausweislich der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Nichtzulassungsgründe nicht gestützt werden.

Soweit der Kläger darüber hinaus eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Berufungsgerichts geltend macht, ist er darauf hinzuweisen, dass eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG keinen Revisionszulassungsgrund darstellt.

Ferner rügt der Kläger einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ).

Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Außerdem ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen ( BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205 , 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6).

Der Kläger trägt vor, das LSG habe - wie schon zuvor das SG - seinen Vortrag zu dem von ihm gestellten Antrag auf Sozialhilfe völlig unbeachtet gelassen. In den mündlichen Verhandlungen vom 28.8.2015 und 24.2.2017 sei er nicht zu dieser Schilderung als Partei gehört worden.

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht schlüssig bezeichnet. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger eine Verletzungshandlung des LSG aufgezeigt hat. Jedenfalls versäumt die Beschwerdebegründung insbesondere darzulegen, dass die Entscheidung - ausgehend von der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG - auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß beruhen kann.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 24.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 21 R 907/14
Vorinstanz: SG Detmold, vom 18.09.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 20 R 1588/11