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BSG - Entscheidung vom 23.11.2017

B 5 R 216/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 23.11.2017 - Aktenzeichen B 5 R 216/17 B

DRsp Nr. 2018/611

Erwerbsminderungsrente Grundsatzrüge Divergenzrüge Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache ua nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. 2. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig und klärungsfähig, dh entscheidungserheblich sein. 3. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. 4. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juni 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen das vorstehend genannte Urteil einen Notanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im oben genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

Mit Urteil vom 27.6.2017 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 5.6.2014 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat mit einem von ihrer Schwester handschriftlich verfassten und unterzeichneten Schreiben vom 4.7.2017, eingegangen beim BSG am 5.7.2017, gegen die Nichtzulassung der Revision im vorstehend genannten Urteil (zugestellt am 30.6.2017) Beschwerde eingelegt und mit einem weiteren Schreiben vom 13.7.2017, eingegangen beim BSG am 14.7.2017, einen "Antrag auf PKH" gestellt und um die Beiordnung eines Notanwalts gebeten.

1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen, weil das allein statthafte Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1, § 121 Abs 1 ZPO ). Es ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen. Auch eine formgerechte Beschwerde würde voraussichtlich nicht zu einem für die Klägerin erfolgreichen Ergebnis des Rechtsstreits führen.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Das Vorbringen der Klägerin und die Durchsicht der Akten ergeben bei der gebotenen summarischen Prüfung keinen ausreichenden Hinweis auf das Vorliegen eines dieser für die Zulassung erforderlichen, in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Gründe. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache ua nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig und klärungsfähig, dh entscheidungserheblich sein (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Die Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente regelt § 43 SGB VI (vgl die Kommentierung bei Gürtner in Kasseler Komm, Stand: September 2016, § 43 SGB VI RdNr 6 ff). Rechtsfragen dazu, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind im Verfahren der Klägerin nicht ersichtlich.

Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) könnte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat ( BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zugunsten der Klägerin zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbs 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein derartiger Beweisantrag, den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG ) übergangen haben könnte, ist hier nicht ersichtlich. Auch wenn Beteiligte - wie hier die Klägerin nach Aufhebung der Beiordnung ihres früheren Prozessbevollmächtigten - im Berufungsverfahren zuletzt nicht mehr anwaltlich vertreten sind, müssen sie dem Berufungsgericht dazu zumindest verdeutlichen, dass und ggf aus welchem Grund sie die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansehen und deshalb im Berufungsverfahren auf die weitere Sachverhaltsaufklärung hinwirken (vgl BSG Beschluss vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - BeckRS 2013, 69985 RdNr 8 mwN). Dafür, dass die Klägerin den von ihrem Prozessbevollmächtigten noch mit Schreiben vom 24.5.2017 gestellten Antrag auf eine weitere Begutachtung oder zumindest auf ergänzende Befragung des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. S. bis zuletzt, dh in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat, finden sich in den Akten keinerlei Anhaltspunkte. Die Klägerin hat das Gericht ersucht, ihren Prozessbevollmächtigten "aus diesem Verfahren gänzlich auszuschließen" (Schreiben vom 5.6.2017) und mitgeteilt, dem Rechtsanwalt sei "mit sofortiger Wirkung gekündigt" (Schreiben vom 20.6.2017). Dessen früheren Vortrag führte die in der mündlichen Verhandlung vom 27.6.2017 anwesende Klägerin nicht fort (vgl Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 27.6.2017).

Soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag, ihr stünde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, die inhaltliche Richtigkeit des Berufungsurteils angreift, lässt sich hierauf nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht stützen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

2. Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts ist abzulehnen.

Die Voraussetzungen des § 202 S 1 SGG iVm § 78b ZPO (sog "Notanwalt") liegen nicht vor. Nach diesen Bestimmungen hat das Prozessgericht in Verfahren mit Anwaltszwang einem Beteiligten auf seinen Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Voraussetzung für die Beiordnung eines Notanwalts ist jedoch, dass der Beteiligte vor Ablauf der Beschwerdefrist nachweist, trotz zumutbarer Anstrengungen einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht gefunden zu haben ( BSG Beschlüsse vom 16.10.2007 - B 6 KA 3/07 S - RdNr 2 mwN sowie vom 11.6.2008 - B 8 SO 45/07 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 7 RdNr 5; BGH Beschlüsse vom 10.2.2011 - IX ZA 2/11 - RdNr 2 sowie vom 24.6.2014 - VI ZR 226/13 - RdNr 2 mwN; BFH Beschluss vom 11.10.2012 - VIII S 20/12 - RdNr 4). Dabei ist für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vor einem obersten Bundesgericht erforderlich, dass erfolglose Bemühungen um eine Prozessvertretung bei zumindest fünf zugelassenen Prozessbevollmächtigten substantiiert aufgezeigt werden ( BSG Beschluss vom 30.1.2015 - B 13 R 210/14 B - BeckRS 2015, 66088 RdNr 13 - JurionRS 2015, 11116 RdNr 13; BGH Beschluss vom 25.1.2007- IX ZB 186/06 - FamRZ 2007, 635 ).

Die Klägerin hat schon keine erfolglosen Bemühungen, einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu finden, dargelegt. Allein der - auch nach Hinweis der Berichterstatterin bestätigte - Vortrag, es seien Rechtsanwälte (unter Angabe von sieben Kanzleianschriften) "wenn überhaupt" nur nach Vorkasse oder vorheriger Zusicherung von PKH bereit, das Mandat zu übernehmen, genügt dafür nicht.

Im Übrigen erscheint auch die mit der Beschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos. Aussichtslosigkeit besteht dann, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Vertretung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (vgl Zöller, ZPO , 31. Aufl 2016, § 78b RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 3.1.2005 - B 9a/9 SB 39/04 B - RdNr 5). Ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Rechtsanwalt (§ 73 Abs 2 und 4 SGG ) könnte keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend genannten Zulassungsgründe erfolgreich geltend machen (siehe dazu bereits die Ausführungen unter 1.).

3. Die von der Klägerin privatschriftlich erhobene Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Formvorschriften, weil sie nicht innerhalb der Beschwerdefrist durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG ) eingelegt worden ist.

Die Beschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 27.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 9 R 3896/16
Vorinstanz: SG Freiburg, vom 05.06.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 19 R 4303/13