Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 06.06.2017

B 8 SO 85/16 B

Normen:
SGG § 75 Abs. 5
SGB XII § 25
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 06.06.2017 - Aktenzeichen B 8 SO 85/16 B

DRsp Nr. 2017/14006

Erstattung von Aufwendungen für eine Krankenhausbehandlung Zulässigkeit der Beiladung eines Krankenversicherungsträgers im Verfahren aus einem Anspruch nach § 25 SGB XII Grundsatzrüge Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage Genügen der Darlegungspflicht

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, deshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. 3. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 75 Abs. 5 ; SGB XII § 25 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Aufwendungen für eine Krankenhausbehandlung in Höhe von 15 028,06 Euro.

Die Klägerin betreibt das Kreiskrankenhaus in S . Im Herbst 2009 wurde der Patient R F (F) zweimal dort aufgenommen, nachdem er von der Polizei mit jeweils hohem Blutalkoholspiegel aufgegriffen worden war, und stationär behandelt (Behandlungen in der Intensivstation vom 29.9. bis 30.9.2009 und in der psychiatrischen Klinik vom 10.11.2009 bis zum 15.1.2010). Im August 2010 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Übernahme der aus Anlass dieser Behandlungen angefallenen Kosten in Höhe von 15 028,06 Euro als Nothelfer nach § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ( SGB XII ). Im Januar 2012 wurde dem Beklagten ein von der Klägerin erwirkter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts (AG) Sigmaringen vom 29.12.2011 zugestellt, mit dem ua ein Anspruch des F gegen den Beklagten auf "Leistungen im Zusammenhang mit der Behandlung", insbesondere der "Anspruch des Schuldners auf Übernahme der Heilbehandlungskosten" tituliert worden war. Der Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab (Bescheid vom 19.1.2012; Widerspruchsbescheid vom 5.3.2012).

Das Sozialgericht ( SG ) Konstanz hat die ehemalige Krankenkasse des F beigeladen und diese verurteilt, an die Klägerin 14 276,13 Euro zu zahlen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.4.2013). Auf die Berufung der Beigeladenen und der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG abgeändert, die Klage auf Verurteilung der Beigeladenen abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 20.10.2016). Es hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Verurteilung der Beigeladenen nach § 75 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) sei unzulässig, weil sich das von der Klägerin gegen den Beklagten erhobene, auf § 25 SGB XII gestützte Leistungsbegehren nach Rechtsgrund und Rechtsfolge wesentlich von einem gegen die Beigeladene geltend gemachten Vergütungsanspruch unterscheide. Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich nicht aus "übergegangenem Recht" aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des AG Sigmaringen; dieser stelle einen eigenen Streitgegenstand dar, den die Klägerin im Berufungsverfahren zu Recht nicht aufrechterhalten habe. Sie sei im Berufungsverfahren auch auf eine nicht näher bezeichnete Prozessstandschaft nicht mehr zurückgekommen. Im Übrigen stehe der Pfändung wie der Prozessstandschaft die Höchstpersönlichkeit sozialhilferechtlicher Ansprüche entgegen. Der Anspruch ergebe sich auch nicht auf der Grundlage des Nothelferanspruchs nach § 25 SGB XII , denn die Klägerin habe den nach § 25 Satz 2 SGB XII erforderlichen Antrag nicht innerhalb angemessener Frist gestellt.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler geltend. Sie formuliert die Rechtsfragen, 1. ob in einem gegen einen Sozialhilfeträger (zB Sozialamt) anhängigen Rechtsstreit das Gericht einen öffentlich-rechtlichen Krankenversicherungsträger nach § 75 SGG wirksam beiladen kann, wenn diesen (öffentlich-rechtlichen) Krankenversicherungsträger eine (mögliche) Verpflichtung zur Kostenübernahme für die Behandlungskosten des Patienten trifft, 2. ob das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in § 25 SGB XII erfüllt ist, wenn ein bei einem unzuständigen Sozialversicherungsträger eingereichter Antrag, den dieser (hier ARGE) rechtswidrig nicht an den zuständigen Sozialversicherungsträger (hier Sozialamt) weitergeleitet hat; ob es also für die Frage der Unverzüglichkeit auf den Eingang beim unzuständigen oder beim zuständigen Sozialversicherungsträger ankomme und sich ggf aus der Verletzung der Verpflichtung zur Weiterleitung an den zuständigen Sozialversicherungsträger ein sozialrechtlicher Wiederherstellungsanspruch für den Antragsteller ergebe, 3. ob in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) derjenige, der eine medizinische Dienstleistung erbringe (sogenannter Anlassgläubiger), nach erfolgter Pfändung und Überweisung des Anspruchs gegenüber dem verpflichteten Kostenträger (Krankenversicherung) den Vergütungsanspruch direkt gegenüber dem Krankenversicherer geltend machen könne (gesetzliche Prozessstandschaft).

Die Klärung der Frage der Zulässigkeit der "Beiladung nach § 75 Abs 5 SGG " eines Krankenversicherungsträgers im Verfahren des medizinischen Dienstleisters gegen den Sozialhilfeträger aus einem Anspruch nach § 25 SGB XII sei im Hinblick auf die anders lautende Rechtsauffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.4.2011 - L 20 SO 78/10) aus Gründen der Rechtseinheit zur Fortbildung des Rechts erforderlich; weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift geböten es, die Verurteilung eines anderen Leistungsträgers nur dann zuzulassen, wenn es um dieselbe Leistung gehe. Eine verspätete Geltendmachung des Anspruchs nach § 25 SGB XII sei nicht anzunehmen (unter Verweis auch auf § 16 Abs 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - [SGB I]). Es sei zu klären, ob nicht bereits der Antrag des F auf Übernahme von Krankenkosten vom 10.11.2009 gegenüber dem Träger der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ( SGB II ) fristwahrend gewesen sei. Dass weder SG noch LSG dies überprüft hätten, stelle einen Verfahrensmangel dar. Im Übrigen ergebe sich der Anspruch auf Kostenübernahme für die Behandlung am 29./30.9.2009 auch aus dem Grundsatz des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Soweit das LSG die Auffassung vertreten habe, beim Anspruch des Patienten auf Krankenhilfe handele es sich um einen höchstpersönlichen Sozialhilfeanspruch, weshalb die Pfändung schon nicht zulässig gewesen sei, verkenne es, dass die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse "existent und wirksam" seien. Der BGH habe die Pfändung von an sich unpfändbaren Ansprüchen durch den sogenannten Anlassgläubiger im Übrigen ausdrücklich für zulässig erachtet (unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 5.11.2004 - IXa ZB 17/04).

II

Die Beschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, deshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt ( BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.

Selbst wenn man die zunächst aufgeworfene Frage sinngemäß als eine solche nach der Möglichkeit der Verurteilung der Beigeladenen nach § 75 Abs 5 SGG versteht, fehlt es jedenfalls an einer Auseinandersetzung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( BSG ) zum Erfordernis eines Ausschließlichkeitsverhältnisses der Ansprüche gegen Beklagten einerseits und Beigeladenen andererseits als Voraussetzung der Anwendbarkeit dieser Vorschrift (vgl grundlegend BSGE 49, 143 , 145 = SozR 5090 § 6 Nr 4; vgl auch BSGE 106, 268 , 269 = SozR 4-4200 § 16 Nr 5; BSGE 112, 241 , 243 = SozR 4-4300 § 183 Nr 14) und dazu, weshalb sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf Grundlage dieser Rechtsprechung noch stellt. Allein der Verweis auf eine Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen mit anderem Ergebnis legt eine grundsätzliche Bedeutung nicht dar.

Zu der Frage, ob für die Unverzüglichkeit des Erstattungsantrags des Nothelfers auf den Eingang des Antrags beim unzuständigen Leistungsträger der Sozialversicherung abzustellen sei, setzt sich die Klägerin mit der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung des Senats (vgl nur BSG , Urteil vom 20.4.2016 - B 8 SO 5/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR [SozR 4-3500 § 18 Nr 3] vorgesehen) ebenfalls nicht auseinander und legt nicht dar, dass sich hier weitergehende Fragen stellen. Wegen der Frage nach einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch behauptet die Klägerin nicht einmal, dass sich insoweit Rechtsfragen stellen, die einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen; die Frage nach der Anwendbarkeit des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Einzelfall kann die Revision allein nicht eröffnen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang einen Verfahrensmangel rügt, bezeichnet sie schon nicht, gegen welche - mit der Revision angreifbare (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG ) - Verfahrensvorschrift insoweit verstoßen worden sein soll bzw dass die Entscheidung auf diesem Mangel beruhe.

Hinsichtlich der "Rechtsfrage Zulässigkeit der Pfändung" legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit schon nicht plausibel dar, wenn sie im Weiteren selbst ausführt, eine Pfändung sei in ihrem Falle aber "wirksam und existent" erfolgt. Auch insoweit zielen ihre Ausführungen daher auf eine Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall. Im Übrigen fehlt es auch an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsfähigkeit ihrer Rechtsfrage, denn die Klägerin setzt sich nur mit dem einen von zwei tragenden Gründen in der Entscheidung des LSG (fehlende Geltendmachung durch die Klägerin im Berufungsverfahren; Höchstpersönlichkeit der gepfändeten Ansprüche) auseinander. Zur allein in Bezug genommenen Frage der Höchstpersönlichkeit sozialhilferechtlicher Ansprüche des Patienten gegen das behandelnde Krankenhaus nach Tätigwerden als Nothelfer fehlt es im Übrigen an einer Auseinandersetzung mit der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 114, 292 RdNr 27 ff = SozR 4-3500 § 25 Nr 3).

Schließlich weist die Klägerin in einem Klammerzusatz an einer Stelle zwar auf eine "Divergenz" hin; Vortrag im Einzelnen ist insoweit aber nicht erfolgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 20.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 7 SO 2156/13
Vorinstanz: SG Konstanz, vom 25.04.2013 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 SO 555/12