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BSG - Entscheidung vom 16.05.2017

B 9 V 66/16 B

BSG, Beschluss vom 16.05.2017 - Aktenzeichen B 9 V 66/16 B

DRsp Nr. 2017/8686

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Juli 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

In der Hauptsache begehrt der Kläger wegen einer am 29.6.2003 erlittenen Körperverletzung die Anerkennung von Schädigungsfolgen und Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 60. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil ein Zusammenhang zwischen den insbesondere geltend gemachten psychischen Veränderungen und der Gewalttat nicht hergestellt werden könne (Bescheid vom 7.7.2008; Widerspruchsbescheid vom 14.7.2009). Das SG hat die Klage nach chirurgischer und psychiatrischer Begutachtung durch Dr. M. und Dr. N. angesichts vorgefundener Vorschäden abgewiesen und ua ausgeführt, dem anders lautenden psychosomatisch-psychiatrischen Gutachten nach § 109 SGG von Prof. Dr. L. könne nicht gefolgt werden, ua sei ein GdS von 70 auf der Grundlage der versorgungsmedizinischen Grundsätze keinesfalls nachvollziehbar (Gerichtsbescheid vom 10.5.2012). Im Berufungsverfahren hat das LSG erneut von Amts wegen ein Gutachten bei Prof. Dr. La. eingeholt, das aus psychosomatisch-psychotherapeutischer Sicht einen klaren Knick in der Lebenslinie des Klägers beschreibt, einhergehend mit depressiver Störung und Somatisierungsstörung und einem aktuell zu bewertenden GdS von 50. Das LSG hat die Berufung gestützt ua auf die Gutachten von Dr. M. und Dr. N. zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, für die begehrte Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sei die erlittene Gewalttat schon objektiv nicht ausreichend. Sämtliche durch die Gewalttat erlittenen Gesundheitsstörungen seien im Übrigen nur vorübergehender Natur gewesen. Die beim Kläger gegenwärtig bestehenden Störungen seien auf die Gewalttat nicht kausal zurückzuführen. Seine insoweit abweichenden Ausführungen habe Prof. Dr. La. nicht hinreichend erklären können. Die vom Kläger vorgetragene Kompensation eines Arbeitsunfalls aus dem Jahr 1997 sei mit der vorhandenen Befundlage nicht in Einklang zu bringen. Der Vorwurf mangelnder Sachkunde gegenüber Dr. N. sei unberechtigt. Die (Muster-) Weiterbildungsordnung 2003 der BÄK sehe auf dem Gebiet der Psychiatrie auch die Berücksichtigung psychosomatischer Bezüge vor (Urteil vom 13.7.2016).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und macht Verfahrensfehler geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG ), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.

a) Der Kläger führt an, der eklatante Widerspruch der eingeholten Gutachten sei ohne jeden Aufklärungsversuch gelassen worden. Damit rügt er die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG ), ohne indes die hierfür durch Gesetz und Rechtsprechung vorgegebenen Voraussetzungen einzuhalten. Entsprechendes gilt, soweit er zudem eine Verletzung der Aufklärungs- und Hinweispflicht gemäß § 106 Abs 1 , Abs 2 iVm Abs 3 Nr 3 SGG rügen sollte, weil das LSG verpflichtet gewesen sei, ihn auf die Möglichkeit eines Beweisantrags hinzuweisen. Auf diese Verfahrensrüge kann die Beschwerde nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160a Abs 2 S 3 Halbs 2 SGG nicht gestützt werden kann. Der schon im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger behauptet nicht einmal, einen Beweisantrag gestellt und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten zu haben, den das LSG übergangen haben könnte ( BSG Beschluss vom 23.7.2015 - B 5 R 196/15 B; BSG Beschluss vom 12.5.2016 - B 9 SB 101/15 B).

Ebenso wenig befasst sich die Beschwerdebegründung mit den Voraussetzungen für eine zwingende Anhörung des Sachverständigen im Termin zur mündlichen Verhandlung nach Maßgabe des § 118 iVm § 411 Abs 3 ZPO SGG . Das Entschließungsermessen, das § 411 Abs 3 ZPO dem Tatsachengericht einräumt, wandelt sich nur dann in eine (revisible) Rechtspflicht, den Sachverständigen mündlich anzuhören, wenn der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren sachdienliche Fragen zu einem im ersten Rechtszug eingeholten Gutachten angekündigt oder weiteren Aufklärungs- bzw Ermittlungsbedarf aufgezeigt hat. Der Kläger hat schon nicht dargelegt, dass und ggf welche sachdienlichen Fragen er dem LSG angekündigt hatte und bei welchen konkreten Punkten er noch weiteren Aufklärungs- und Erläuterungsbedarf gesehen hat ( BSG Beschluss vom 4.9.2012 - B 5 R 82/12 B). Die abstrakten Ausführungen zu groben Mängeln und unlösbaren Widersprüchen ersetzen den erforderlichen konkreten Vortrag nicht.

Soweit der Kläger weiter einen Verfahrensfehler darin sieht, dass das LSG seine Entscheidung auf Aussagen von Sachverständigen gestützt hat, denen es an der nötigen Qualifikation gefehlt habe, versäumt die Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass eine verfahrensrechtliche Verpflichtung zur Einholung eines Gutachtens von einem Facharzt als Sachverständigem grundsätzlich nicht besteht. Die Rechtsprechung hat dieses dem Tatsachengericht nach § 118 SGG iVm § 404 Abs 1 ZPO eingeräumte Ermessen lediglich dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften ( BSG Urteil vom 2.6.1970 - 10 RV 105/68; BSG Beschluss vom 12.5.2016 - B 9 SB 101/15 B). Hierzu äußert sich die Beschwerdebegründung nicht, weshalb es auch nicht von Belang ist, dass der Kläger dem LSG in der Folge die unberechtigte Anmaßung eigener medizinischer Fachkunde vorzuhalten sucht. Der Umstand, dass der Kläger selbst dem Sachverständigen Prof. Dr. La. eine höhere Sachkunde beimisst und deshalb dessen Ausführungen für richtig und die des LSG für falsch hält, begründet keinen Zulassungsgrund (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 mwN).

b) Der Kläger führt weiter an, das LSG habe Beweisanträge vereitelt, indem es Dr. N. gefolgt sei, ohne ihn zuvor darauf hinzuweisen, dass es den Ausführungen des Prof. Dr. La. nicht folgen wolle. Damit rügt der Kläger allerdings eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ). Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können. Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten ( BSG Beschluss vom 7.10.2016 - B 9 V 28/16 B). Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht indes grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG Beschluss vom 20.4.2015 - B 9 SB 98/14 B). Etwas anderes gilt dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl BSG Beschluss vom 9.2.2011 - B 11 AL 71/10 B). Liegen - wie von der Beschwerde geschildert - mehrere Gutachten mit divergierenden Ergebnissen vor, ist es grundsätzlich der tatrichterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG ) überlassen, welches Gutachten aus welchen Gründen für überzeugender gehalten wird. Hierfür kommt es auf den Inhalt der Gutachten, nicht auf die Stellung der Sachverständigen an (vgl Aussprung in Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 128 RdNr 67). Weshalb also ein sorgfältiger Prozessbeteiligter mit dieser durch die Verfahrensordnung gedeckten Möglichkeit der Beweiswürdigung nicht zu rechnen brauchte, erschließt sich aus der Beschwerdebegründung nicht.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 13.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 18 VG 13/12
Vorinstanz: SG Landshut, vom 10.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen S 15 VG 6/09