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Sorgfalt des Anwalts bei Geltendmachung psychischer Schädigung durch Verkehrsunfall

Der IX. Senat umreißt die Pflichten eines Rechtsanwalts bei der gerichtlichen Geltendmachung eines Verkehrsunfallschadens, wenn eine psychische Schädigung des insoweit bereits vorgeschädigten Mandanten in Betracht kommt.

Darum geht es

Im Jahre 1996 wurde der Kläger Opfer eines Verkehrsunfalls mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. Aufgrund der Geschehnisse lebte er in ständiger Angst, sein körperlicher Zustand könne nicht wiederhergestellt werden und er langfristig beeinträchtigt bleiben. Im Jahre 2002 war der Kläger dann erneut - dieses Mal als Beifahrer - an einem Verkehrsunfall beteiligt. Der Beklagte war sein Anwalt im damaligen Prozess gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners.

Der Beklagte trug erstmals am Tag vor der mündlichen Verhandlung am Landgericht zu den psychischen Folgen des Unfalls vor. Der Kläger hatte ihn frühzeitig hierüber informiert, doch der Beklagte hielt die Umstände für nicht beweisbar und entschied sich deshalb zunächst abzuwarten. Im darauf ergangenen Urteil befasste sich das Landgericht lediglich mit den körperlichen Folgen des Unfalls und ließ die psychischen Folgen unbeachtet.

Der Beklagte ging in Berufung und machte - ohne weiteren Sachvortrag zu den psychischen Folgen - geltend, dass ein psychologisches Gutachten eingeholt werden müsse. Eine Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die den Kläger seit 2003 behandelt, legte er erst mit Schriftsatz vom 28.07.2006 vor und trat erneut Beweis durch Einholung eines psychologischen Gutachtens an. Das Berufungsgericht wies diesen Vortrag in seinem ablehnenden Urteil als verspätet zurück. Den erstinstanzlichen Vortrag sah es als zu unsubstantiiert an.

Der Kläger nahm den Beklagten in Anwaltsregress und warf ihm vor, zunächst nicht ausreichend vorgetragen und in der Berufung nicht rechtzeitig das Gutachten vorgelegt zu haben. Die Klage blieb in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg. Das Berufungsgericht entschied, dass zwar eine anwaltliche Pflichtverletzung vorgelegen habe, es sei jedoch kein Schaden entstanden, da die Klage im Vorprozess auch bei sachgemäßem Vortrag abgewiesen worden wäre, weil der Schadenseintritt aufgrund der psychischen Vorschädigung des Klägers für den Unfallverursacher nicht vorhersehbar gewesen sei.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das Urteil des OLG wird aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zutreffend sei das Berufungsgericht von einer Pflichtverletzung des Beklagten ausgegangen. So sei der Anwalt verpflichtet alle zugunsten seiner Partei sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich darzustellen, sich um die Aufklärung weiterer Umstände zu bemühen, wenn dem Mandanten deren Bedeutung nicht ersichtlich ist und rechtzeitig vorzutragen. Nach dem Gebot des sichersten Weges hätte der Beklagte nicht einfach abwarten dürfen sondern hätte weitere Nachforschungen anstellen müssen. Der Schriftsatz des Beklagten, der unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, habe nicht verdeutlicht, dass die psychischen Auswirkungen im Zusammenhang mit dem 2002 erlittenen Unfall stünden.

In der Berufungsinstanz habe der Beklagte nicht alles getan um die Lücke im Vortrag noch auszugleichen. So habe er weder zur Kausalität von Unfall und Schädigung weiter vorgetragen, noch erläutert, warum ihm ein diesbezüglicher Vortrag zuvor nicht möglich war.

Fälschlicherweise sei das Berufungsgericht jedoch davon ausgegangen, dass die Klage auch bei pflichtgemäßem Vortrag abgelehnt worden wäre. Insoweit komme es jedoch nicht darauf an, ob die Folgen des Unfalls für den Unfallgegner vorhersehbar gewesen seien. Die psychische Störung basiere auf einer Retraumatisierung, beruhe also auf einer bestehenden körperlichen Schwächung des Verletzten. Dabei müsse der Unfallverursacher aber nicht so gestellt werden, als habe er einen gesunden Menschen verletzt. Nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen scheitert eine solche Zurechnung, wenn ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass und der psychischen Reaktion bestehe. Das sei hier jedoch nicht der Fall gewesen.

Im Vorprozess hätte demnach bei pflichtgemäßem Vortrag zugunsten des Klägers entschieden werden müssen.

BGH, Urt. v. 13.06.2013 - IX ZR 155/11

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