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BSG - Entscheidung vom 08.06.2021

B 13 R 160/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 08.06.2021 - Aktenzeichen B 13 R 160/20 B

DRsp Nr. 2021/16178

Rente wegen Erwerbsminderung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Mai 2020 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch zu benennenden Prozessbevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Mit Urteil vom 27.5.2020 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil, das eine hinsichtlich der Beschwerde- wie der Beschwerdebegründungsfrist unrichtige Rechtsmittelbelehrung enthält, nicht zugelassen. Mit privatschriftlichem Schreiben vom 26.6.2020 hat der Kläger ua "Revision" gegen das Urteil eingelegt. Er hat am 24.7.2020 unter Vorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und mit privatschriftlichem Schreiben vom 28.8.2020 mitgeteilt, an der "Revision" festzuhalten.

II

1. Der Senat wertet das Schreiben des Klägers vom 26.6.2020 als Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a SGG stellt den einzig in Betracht kommenden Rechtsbehelf gegen das von ihm ersichtlich angegriffene Berufungsurteil dar. Den innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG eingegangenen PKH-Antrag legt der Senat entsprechend dahin aus, dass er auf die Bewilligung von PKH für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gerichtet ist.

2. Der so verstandene PKH-Antrag ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier. Die vom Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde verspricht keine hinreichende Erfolgsaussicht. Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Durchsicht der beigezogenen Akten des LSG ist das hier auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht der Fall. Mit der Ablehnung des PKH-Antrags des Klägers entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

a) Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter 73 Abs 2 iVm Abs 4 Satz 1 SGG ) erfolgreich geltend machen könnte, der Rechtssache komme eine grundsätzliche Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) zu. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Eine derartige Rechtsfrage stellt sich in diesem Rechtsstreit nicht. Dass das LSG dem Vorbringen des Klägers nicht gefolgt ist, der sich außerstande sieht, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig zu sein, und der Kläger die Berufungsentscheidung inhaltlich für unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht.

b) Es ist nach der Aktenlage nicht erkennbar, dass der Zulassungsgrund der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) vorliegt. Die angefochtene Entscheidung des LSG ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.

c) Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte.

aa) Es ist nicht ersichtlich, dass ein Prozessbevollmächtigter erfolgreich geltend machten könnte, das LSG habe das grundrechtsgleiche Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG ) verletzt, indem es durch den zum Berichterstatter bestellten Vorsitzenden über die Berufung entschieden hat. Nach § 155 Abs 4 iVm Abs 3 SGG kann der bestellte Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten über die in Abs 2 der Vorschrift genannten Fälle hinaus entscheiden. Von dieser Möglichkeit hat das LSG vorliegend Gebrauch gemacht, nachdem der Kläger und die Beklagte sich damit jeweils einverstanden erklärt hatten. Es sind keine Umstände ersichtlich, die eine Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter als fehlerhaft erscheinen lassen könnten. Insbesondere hat keine Konstellation vorgelegen, in der eine Entscheidung durch den Berichterstatter an Stelle des Senats trotz erteilter Zustimmung der Beteiligten ausnahmsweise nicht in Betracht kommt (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 14 mwN).

bb) Ebenso wenig ließe sich erfolgreich geltend machen, das LSG habe mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gegen den Grundsatz der Mündlichkeit 124 Abs 1 SGG ) verstoßen. Nach § 124 Abs 2 SGG kann im Einverständnis der Beteiligten von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und im schriftlichen Verfahren entschieden werden. Auch hiermit hatten der Kläger und die Beklagte sich vorliegend einverstanden erklärt. Es spricht nichts dafür, dass die Einverständniserklärung des Klägers wegen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ihre Wirksamkeit verloren haben könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 2.7.2019 - B 2 U 156/18 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 12 KR 102/18 B - juris RdNr 6).

cc) Indem der Kläger ua vorbringt, das LSG habe nicht weiter zu der mitgeteilten Verschlechterung seines Hüftleidens ermittelt und von der Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens abgesehen, rügt er sinngemäß eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG ). Ein solcher Verfahrensmangel ließe sich aber nicht erfolgreich geltend machen. Für den Vorhalt, das Berufungsgericht habe seine Verpflichtung zur Amtsermittlung verletzt, bestehen nach § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG spezifische Darlegungserfordernisse. Die Verfahrensrüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist; (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen; (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Senatsbeschluss vom 28.2.2018 - B 13 R 73/16 B - juris RdNr 9 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl etwa BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; Beschluss vom 21.2.2018 - B 13 R 28/17 R, B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN). Bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zugang des gerichtlichen Schreibens zur Einholung des Einverständnisses nach § 124 Abs 2 SGG (vgl BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 13.8.2018 - B 13 R 397/16 B - juris RdNr 15). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn ein Beteiligter - wie der Kläger - in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten gewesen ist (vgl BSG Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 6; BSG Beschluss vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B - juris RdNr 5). Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG Beschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 103/12 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 11.4.2019 - B 13 R 74/18 B - juris RdNr 11). All dies ließe sich nicht anforderungsgerecht darlegen.

Selbst wenn man annehmen wollte, der Kläger habe eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands geltend gemacht, indem er im Berufungsverfahren weitere Unterlagen vorgelegt hat (Arztbrief der C vom 6.11.2019 betreffend eine MRT-Aufnahme seines rechten Kniegelenks; Arztbrief der Klinik für orthopädische Chirurgie in S vom 16.12.2019 betreffend eine Röntgenaufnahmen seines Beckens; Schreiben des Regionalen Krankenhauses S vom 4.5.2020, wonach eine Terminvergabe pandemiebedingt erst ab Juli 2020 erfolgen könne), ließe sich nicht darlegen, dass er einen darin möglicherweise liegenden Beweisantrag aufrechterhalten habe. Er hat in der Folgezeit mit Schriftsatz vom 22.5.2020 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorbehaltlos zugestimmt, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein muss, dass das LSG keine weiteren Ermittlungen beabsichtige. Denn das LSG hat ihm nach Entgegennahme und Übersetzung der Arztbriefe vom 6.11.2019 und 16.12.2019 mit Schreiben vom 30.3.2020 mitgeteilt, weitere Ermittlungen von Amts wegen seien derzeit nicht angezeigt, und in der Folgezeit angefragt, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Nach Entgegennahme und Übersetzung des Schreibens des Regionalen Krankenhauses S vom 4.5.2020 hat das LSG den Kläger gebeten, die Anfrage zu beantworten. Auch ein nicht vertretener Beteiligter musste davon ausgehen, dass die Mitteilung des LSG vom 30.3.2020, weitere Ermittlungen von Amts wegen seien nicht angezeigt, damit weiterhin Gültigkeit habe.

dd) Mit dem Vorbringen, das Gutachten von G sei mangelhaft und das LSG habe insbesondere die Auswirkungen seiner kardiologischen und orthopädischen Erkrankungen nicht angemessen gewürdigt, rügt der Kläger in der Sache eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das LSG. Auf die Rüge eines Verstoßes des Berufungsgerichts gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG aber von vorneherein nicht gestützt werden.

3. Die vom Kläger selbst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ). Sie ist bereits deswegen unzulässig, weil sie formunwirksam ist. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten 73 Abs 2 iVm Abs 4 Satz 1 SGG ) eingereicht werden. Hierauf ist der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 27.05.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 16 R 23/20
Vorinstanz: SG Berlin, vom 24.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 69 R 1448/17