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BGH - Entscheidung vom 13.04.2021

KZR 98/18

Normen:
GWB (1999) § 33 S. 1
GWB (2005) § 33 Abs. 3

BGH, Urteil vom 13.04.2021 - Aktenzeichen KZR 98/18

DRsp Nr. 2021/11028

Kartellbedingte Schäden beim Betrieb eines öffentlichen Personennahverkehrs

Zwar streitet zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - grundsätzlich dafür, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten. Die Berücksichtigung eines solchen Erfahrungssatzes führt aber nicht zu einer Umkehr der Beweislast im Hinblick auf die Entsstheung eines Schadens. Vielmehr ist der einschlägige Erfahrungssatz im Rahmen der nach § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Gesamtwürdigung sämtlicher für und gegen die Schadensentstehung sprechenden Indiztatsachen zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. August 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an einen anderen Kartellsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

GWB (1999) § 33 S. 1; GWB (2005) § 33 Abs. 3 ;

Tatbestand

Die Klägerin, die für den öffentlichen Personennahverkehr in Duisburg zuständig ist, nimmt die Beklagten auf Ersatz kartellbedingten Schadens in Anspruch.

In den Jahren 2002 und 2003 beauftragte die Klägerin die Beklagten zu 1 in drei Fällen mit der Lieferung von Materialien für den Gleisoberbau, wobei die Aufträge jeweils ohne Ausschreibung vergeben wurden. Den Verträgen war jeweils die folgende Erklärung der Beklagten zu 1 beigefügt:

"Wir versichern, daß wir aus Anlass dieser Ausschreibung keine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Absprache, insbesondere über die Abgabe oder Nichtabgabe von Angeboten, über die hierbei zu fordernden Preise, über die Einrichtung einer Ausfallentschädigung (Gewinnbeteiligung oder sonstige Abgaben) sowie über die Festsetzung oder Empfehlung von Preisen, soweit sie nach dem Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen ( GWB ) nicht zulässig sind, getroffen haben.

Falls sich herausstellt, daß unsere Erklärung unrichtig war, sind wir verpflichtet, einen Betrag in Höhe von 3 % der Auftragssumme an die Auftraggeberin zu zahlen."

Mit Bescheiden vom 18. Juli 2013 verhängte das Bundeskartellamt unter anderem gegen die Beklagten zu 1 und 3 jeweils ein Bußgeld wegen Beteiligung an dem Kartell der "Schienenfreunde".

Die Klägerin macht geltend, sie habe aufgrund des Kartells überhöhte Preise zahlen müssen. Sie hat ursprünglich beantragt, die Beklagten zu verurteilen, ihr Schadensersatz in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, mindestens jedoch in Höhe von 30.994,71 € zu zahlen und sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung freizustellen. Das Landgericht hat durch Grundurteil die Klage gegen die Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 1 bis 3 hat das Berufungsgericht - nach Rücknahme des Freistellungsantrags - unter Neufassung des landgerichtlichen Ausspruchs zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten zu 1 bis 3 ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Klägerin stehe gegen die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des ihr durch an die Beklagte zu 1 erteilte Beschaffungsaufträge entstandenen Kartellschadens nach § 33 Satz 1 GWB 1999 in Verbindung mit § 1 GWB , Art. 81 EGV zu. Die Beklagten hafteten nach § 830 Abs. 1 Satz 1, § 840 Abs. 1 BGB gesamtschuldnerisch, wobei die Haftung der Beklagten zu 2 aus § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG , § 840 Abs. 1 BGB folge. Zugunsten der Klägerin streite eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese von dem Kartellrechtsverstoß betroffen und ihr zumindest ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden sei. Die Beklagten hätten die tatsächliche Vermutung der Kartellbetroffenheit und diejenige eines kartellbedingten Schadens nicht widerlegt.

Der Klägerin seien unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung weder Leistungen von Seiten der Fahrgäste noch von Seiten der Zuwendungsgeber anzurechnen. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei wegen eines etwaigen Mitverschuldens der Klägerin weder gemindert noch ausgeschlossen. Schließlich seien die Ansprüche der Klägerin nicht verjährt.

II. Die Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach nicht bejaht werden.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass für die in den Jahren 2002 und 2003 erteilten Aufträge als Anspruchsgrundlage § 33 Satz 1 GWB 1999 in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17, BGHZ 224, 281 Rn. 18 - Schienenkartell II, mwN).

2. Mit Recht hat das Berufungsgericht einen schuldhaften Verstoß der Beklagten zu 1 und 3 gegen § 1 GWB und Art. 81 Abs. 1 EGV (jetzt: Art. 101 Abs. 1 AEUV ) festgestellt und dabei angenommen, dass nach den gemäß § 33 Abs. 4 GWB 2005 für den nachfolgenden Schadensersatzprozess bindenden Feststellungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid die Beklagten über einen längeren Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen beteiligt waren. Danach praktizierten Hersteller und Händler von Schienen, Weichen und Schwellen spätestens seit 2001 bis zur Aufdeckung des Kartells im Mai 2011 auf dem Privatmarkt in Deutschland Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen (näher BGHZ 224, 281 Rn. 21 - Schienenkartell II).

3. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis auch mit Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen berechtigt ist.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung des haftungsbegründenden Tatbestands eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sowohl nach § 33 Satz 1 GWB 1999 als auch nach § 33 Abs. 3 , Abs. 1 GWB 2005 ebenso wie nach § 823 Abs. 2 BGB , dass dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das - vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers unmittelbar oder mittelbar zu begründen, wobei für die Feststellung dieser Voraussetzung der Maßstab des § 286 ZPO gilt. Angesichts der Besonderheiten des kartellrechtlichen Deliktstatbestands kommt es auf die Frage, ob sich die Kartellabsprache auf den in Rede stehenden Beschaffungsvorgang, auf den der Anspruchsteller sein Schadensersatzbegehren stützt, tatsächlich nachteilig ausgewirkt hat, nicht an und bedarf es auch nicht der Feststellung einer konkret-individuellen Betroffenheit (BGHZ 224, 281 Rn. 25 - Schienenkartell II; BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 - KZR 8/18, WuW 2020, 597 Rn. 25 - Schienenkartell IV; Urteil vom 23. September 2020 - KZR 4/19, WuW 2021, 37 Rn. 16 f. - Schienenkartell V).

b) Wie das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht angenommen hat, sind die vorstehenden Voraussetzungen für die Annahme der Betroffenheit im Streitfall erfüllt, weil die Klägerin von am Kartell beteiligten Unternehmen Waren erworben hat, welche Gegenstand der Kartellabsprache waren. Die von der Revision hiergegen erhobenen Rügen bleiben ohne Erfolg. Es erscheint angesichts der Art und Weise des festgestellten Verstoßes möglich, dass der Klägerin jeweils ein kartellbedingter Schaden auch dann entstanden ist, wenn die Aufträge ohne Ausschreibung vergeben worden sind (BGH, WuW 2021, 37 Rn. 19 ff. - Schienenkartell V).

4. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann jedoch nicht angenommen werden, dass der Klägerin aufgrund der Kartellabsprache zwischen den beteiligten Unternehmen - mit der für ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17, NZKart 2019, 101 Rn. 38 - Schienenkartell I; s.a. Urteil vom 10. Februar 2021 - KZR 63/18, juris Rn. 57 - Schienenkartell VI) - überhaupt ein Schaden entstanden ist.

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, es bestehe eine widerlegliche Vermutung dafür, dass der Klägerin ein Schaden entstanden sei, welche die Beklagten nicht widerlegt hätten, steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Einklang. Nach ihr streitet zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens zwar eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - grundsätzlich dafür, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten (BGH, Urteil vom 8. Januar 1992 - 2 StR 102/91, BGHSt 38, 186 , 194; Beschluss vom 28. Juni 2005 - KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567, 1569 - Berliner Transportbeton I; Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 76 - Grauzementkartell I; BGH, Urteil vom 12. Juni 2018 - KZR 56/16, WRP 2018, 941 Rn. 35 - Grauzementkartell II; NZKart 2019, 101 Rn. 55 - Schienenkartell I; BGHZ 224, 281 Rn. 40 - Schienenkartell II; WuW 2021, 37 Rn. 26 - Schienenkartell V). Die Berücksichtigung eines solchen Erfahrungssatzes führt aber nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Vielmehr ist der einschlägige Erfahrungssatz im Rahmen der nach § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Gesamtwürdigung sämtlicher für und gegen die Schadensentstehung sprechenden Indiztatsachen zu berücksichtigen (näher BGHZ 224, 281 Rn. 36 - Schienenkartell II; BGH, WuW 2021, 37 Rn. 26 f. - Schienenkartell V).

b) Die danach erforderliche Gesamtwürdigung sämtlicher für und gegen die Entstehung eines Schadens sprechenden Indizien hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Es hat offengelassen, ob die tatsächliche Vermutung einen Anscheinsbeweis begründet oder als Indiztatsache zu berücksichtigen ist, und zudem angenommen, die tatsächliche Vermutung sei jedenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen und könne nur durch besondere Umstände erschüttert werden, was den Beklagten nicht gelungen sei. In diesem Zusammenhang hat es zahlreiche Einwendungen der Beklagten und die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Indiztatsachen nur unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Widerlegung der tatsächlichen Vermutung und nur je für sich gewürdigt. Es kann vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht von einer unzutreffenden Verteilung der Beweislast ausgegangen ist und angenommen hat, den Beklagten obliege in Ansehung der tatsächlichen Vermutung der Beweis des Gegenteils.

III. Da sich das Urteil des Berufungsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ), ist es aufzuheben (§ 562 ZPO ). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil er der vom Tatrichter vorzunehmenden Würdigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls nicht vorgreifen kann. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ); dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

IV. Bei der erneuten Prüfung, ob der Klägerin die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zustehen, wird das Berufungsgericht die vertraglich vereinbarte Schadenspauschalierung in den Blick nehmen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 - KZR 63/18, juris Rn. 17 ff. - Schienenkartell VI) sowie die Anforderungen an die Tatsachenfeststellung und an die Berücksichtigung der Vorteilsausgleichung zu beachten haben, wie sie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu entnehmen sind (BGHZ 224, 281 Rn. 34 ff. - Schienenkartell II; BGH, WuW 2020, 597 Rn. 43 ff. - Schienenkartell IV; WuW 2021, 37 Rn. 43 ff. - Schienenkartell V).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 13. April 2021

Vorinstanz: LG Dortmund, vom 28.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 8 O 89/14
Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 29.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen VI-U (Kart) 11/17