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BGH - Entscheidung vom 06.10.2020

XIII ZB 21/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

BGH, Beschluss vom 06.10.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 21/19

DRsp Nr. 2021/555

Vorliegen eines zulässigen Haftantrags als eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung hinsichtlich Verlängerung der Anordnung der Sicherungshaft

Das Gericht muss dafür Sorge tragen, dass der Rechtsanwalt des Betroffenen vom Termin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 25. Januar 2018 und der Beschluss des Landgerichts Ingolstadt - 3. Zivilkammer - vom 27. Februar 2018 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I. Die Betroffene, eine nigerianische Staatsangehörige, versuchte am 31. Dezember 2017 mit dem IC-Bus auf der Fahrt von Mailand nach München nach Deutschland einzureisen. Bei einer Kontrolle durch Beamte der beteiligten Behörde auf der Höhe von Lindau führte sie nur eine gefälschte italienische Aufenthaltserlaubnis bei sich und gab zunächst die auf dieser vermerkten, falschen Personalien an. Eine Recherche im Eurodac-Register ergab, dass sie am 21. Juli 2015 in Italien als Asylsuchende registriert worden war. Daraufhin erteilte die beteiligte Behörde der Betroffenen eine Zurückweisung nach Art. 14 des Schengener Grenzkodexes und erwirkte am 1. Januar 2018 Haft zur Sicherung dieser Zurückweisung für die Dauer von zunächst einem Monat.

Am 23. Januar 2018 hat die beteiligte Behörde zunächst eine Verlängerung der Haft im Hauptsacheverfahren um drei Wochen, mit einem im Wesentlichen gleichlautenden Antrag vom 24. Januar 2018 dann aber um fünf Wochen beantragt. Das Amtsgericht hat auf einen Antrag des Verfahrensbevollmächtigten, die für den 25. Januar 2018 anberaumte persönliche Anhörung der Betroffenen wegen seiner Verhinderung durch einen zeitgleichen Gerichtstermin in Frankfurt am Main zu verlegen, die Terminstunde von 11.00 Uhr auf 13.15 Uhr verlegt und die Verlängerung der Haft bis zum 2. März 2018 angeordnet. Im Beschwerdeverfahren hat der mit der Durchführung einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen beauftragte Richter der Beschwerdekammer die vom Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen beantragte Verlegung des Termins wegen seiner Verhinderung abgelehnt und die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie nach ihrer Überstellung nach Italien am 1. März 2018 die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft beantragt.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde den Darlegungsanforderungen. Insbesondere habe die beteiligte Behörde schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, weshalb die Verlängerung der Sicherungshaft auf insgesamt neun Wochen erforderlich und unverzichtbar sei. Der dargelegte Zeitplan sei nachvollziehbar und berücksichtige die besondere Eilbedürftigkeit. Zurückweisungshindernisse lägen nicht vor, mildere Mittel als die Inhaftierung seien nicht erkennbar.

2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Es fehlt schon an einem zulässigen Haftantrag.

aa) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).

bb) Nach der Rechtsprechung des Senats ist zwar eine nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stellen oder entsprechende eigene Erfahrungswerte beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. Aber schon bei einer begleiteten Rückführung, deren Sicherung Haft für einen längeren Zeitraum erfordert, bedarf es einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, Anzahl der Begleitpersonen, Personalsituation; vgl. Senat, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 26/19, juris Rn. 9 mwN). Das gilt erst recht für eine unbegleitete Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, für die, wie hier, Haft für einen Zeitraum von insgesamt neun Wochen beantragt wird.

cc) Diesen Anforderungen genügt die Begründung, die die beteiligte Behörde für eine Verlängerung um insgesamt fünf Wochen angegeben hat, nicht.

(1) Die beteiligte Behörde hat in ihrem geänderten und der Haftanordnung zu Grunde gelegten Haftantrag vom 24. Januar 2018 ausgeführt, von den beantragten zusätzlichen fünf Wochen würden zwei Wochen für die Erteilung und Übersendung des Bescheids durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an die Betroffene, die Rechtsmittelfrist gemäß § 34a " AsylVfG ", die der Betroffenen eingeräumt werde, und die Übersendung der Überstellungsdaten durch den zuständigen Mitgliedstaat Deutschland sowie weitere drei Wochen für die Organisation der tatsächlichen Überstellung (Flugbuchung usw.) durch die Bundespolizei benötigt. Diese Angaben sind zum einen deshalb unzureichend, weil sie den erforderlichen Bezug zum Fall der Betroffenen vermissen lassen. Die beteiligte Behörde setzt in dem Haftantrag einen Zeitraum von zwei Wochen gerechnet ab dem Ende der angeordneten Haft - 31. Januar 2018 - für die Erstellung der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG , deren Zustellung an die Betroffene und für die Rechtsmittelfrist an, die nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG eine Woche beträgt. Aus der Anlage zum Haftantrag ergibt sich aber, dass das Bundesamt die Abschiebungsanordnung bereits am 19. Januar 2018 verfügt hatte und dass mit der Zustellung dieser Anordnung und jedenfalls einem teilweisen Ablauf der Rechtsmittelfrist noch innerhalb der laufenden Haft zu rechnen war. Was in den anschließenden zwei Wochen geschehen sollte, ist daher nicht nachvollziehbar.

(2) Nicht erkennbar ist ferner, aus welchen Gründen die beteiligte Behörde erst für den 1. März 2018 einen Flug für die Überstellung der Betroffenen nach Italien hat buchen können. Für das, was nach der Darstellung der beteiligten Behörde in ihrem geänderten Haftantrag in den nunmehr beantragten fünf zusätzlichen Wochen noch geschehen sollte, um die Betroffene - wie ausgeführt: unbegleitet - nach Italien zu überstellen, war in der bei Antragstellung noch laufenden Haft ein Zeitraum von insgesamt zwei Wochen angesetzt worden. Noch in dem zunächst eingereichten Haftantrag vom 23. Januar 2018 war für den jetzt mit drei Wochen veranschlagten Zeitraum nur eine Dauer von einer Woche angesetzt. Eine Erklärung dafür, dass sich die Inhaftierung der Betroffenen nunmehr noch um mehr als die bereits angeordnete Haft verlängern sollte, obwohl der Bescheid längst erlassen und die Zustellung bereits veranlasst war, gibt die beteiligte Behörde nicht. Das erlaubt dem Richter nicht, die Angaben der beteiligten Behörde in dem Haftantrag zur Haftdauer zielgerichtet von Amts wegen zu prüfen; ebendies soll aber der Haftantrag erreichen.

dd) Dieser Mangel ist, was möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 12), nicht geheilt worden. Es fehlt an ergänzenden Darlegungen der beteiligten Behörde und entsprechenden Feststellungen der Vorinstanzen.

b) Die Haftanordnung ist ferner deshalb rechtswidrig, weil die Verfahrensweise des Amtsgerichts sowie des Beschwerdegerichts den Anspruch der Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt hat.

aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zur Anhörung hinzuzuziehen. Das Gericht muss dafür Sorge tragen, dass der Rechtsanwalt des Betroffenen vom Termin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (BGH, Beschlüsse vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9).

bb) Dem ist das Amtsgericht nicht gerecht geworden. Es hätte den Anhörungstermin verlegen müssen, jedenfalls aber nicht endgültig in der Sache entscheiden dürfen.

(1) Das Amtsgericht hat den Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen allerdings unter Übersendung des geänderten Haftantrags über den Termin zu deren persönlicher Anhörung unterrichtet. Es hat nach dem Eingang von dessen Antrag auf Verlegung des Termins auch versucht, mit diesem telefonischen Kontakt aufzunehmen, was misslungen ist. Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht im Hinblick auf die telefonisch mitgeteilte Verhinderung des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen davon abgesehen hat, die persönliche Anhörung auf Freitag, den 26. Januar 2018, zu verlegen. Zu beanstanden ist aber, dass das Amtsgericht es bei dem Anhörungstermin belassen und lediglich die Terminstunde von 11.00 Uhr auf 13.15 Uhr verlegt hat. Das wurde dem Anspruch der Betroffenen auf ein faires Verfahren und damit auf eine Anhörung unter Teilnahme ihres Verfahrensbevollmächtigten ersichtlich nicht gerecht. Die Verlegung des Termins um 2 1/4 Stunden ermöglichte dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen offensichtlich nicht, am Terminstag nach seinem Gerichtstermin in Frankfurt am Main noch den Termin in Ingolstadt wahrzunehmen. Das Amtsgericht hätte vielmehr die persönliche Anhörung auf einen Tag zwischen Montag, dem 29. Januar 2018, und Mittwoch, dem 31. Januar 2018, verlegen müssen.

(2) Eine solche Verlegung war ohne eine Gefährdung des mit dem Verlängerungsantrag verfolgten Sicherungsinteresses der beteiligten Behörde möglich. Diese hatte zwar in einer Vorab-E-Mail an das Amtsgericht mitgeteilt, dass sich die Betroffene längstens bis zum 26. Januar 2018 in Sicherungshaft befinde. Diese Angabe entsprach aber offensichtlich nicht der im vorausgegangenen Verfahren der einstweiligen Anordnung erlassenen Haftanordnung vom 1. Januar 2018, nach der gegen die Betroffene Sicherungshaft "für die Dauer von höchstens einem Monat" angeordnet worden war. Eine Haft dieser Dauer hätte das Amtsgericht zwar mangels entsprechenden Antrags nicht anordnen dürfen; die dennoch angeordnete Haft endete aber dessen ungeachtet nach § 16 Abs. 2 FamFG , § 222 Abs. 1 ZPO , § 188 Abs. 2 , § 187 Abs. 2 BGB erst am 31. Januar 2018 (zum Unterschied zwischen Monats- und Wochenfrist: BGH, Beschluss vom 21. August 2019 - V ZB 60/17, InfAuslR 2020, 28 Rn. 5). Eine ermessensgerechte Entscheidung hätte deshalb nach § 32 Abs. 1 Satz 2 FamFG , § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Verlegung des Termins auf einen anderen Tag erfordert.

(3) Jedenfalls aber hätte das Amtsgericht angesichts der Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen in dem anberaumten Termin keine endgültige Entscheidung treffen dürfen, sondern sich bei entsprechendem Antrag der beteiligten Behörde auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung beschränken müssen, um dem Verfahrensbevollmächtigten die Teilnahme an einem neuen Termin zur persönlichen Anhörung der Betroffenen zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, und vom 22. August 2019 - V ZB 39/19, InfAuslR 2019, 454 Rn. 7).

cc) Auch dieser Mangel ist nicht geheilt worden. Das Beschwerdegericht hat die Betroffene zwar erneut persönlich angehört; es hat aber in gleicher Weise den Anspruch der Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt.

(1) Der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen hatte keine Möglichkeit, zeitliche Dispositionen zu treffen, um eine anwaltliche Vertretung der Betroffenen an dem anberaumten Termin sicherzustellen. Die Ladung zu dem Anhörungstermin an einem Montag hat ihn zwar am vorhergehenden Donnerstag erreicht. Er hat dem Gericht aber noch am 22. Februar 2018 mitgeteilt, dass die anderen Mitglieder seiner Sozietät Freiheitsentziehungssachen nicht bearbeiten würden und am 26. Februar 2018 überdies sämtlich durch anderweitige unaufschiebbare Termine verhindert seien.

(2) Der Terminsverlegung stand auch die geltend gemachte Eilbedürftigkeit nicht entgegen. Sie wäre zeitlich möglich gewesen, weil sich die Betroffene aufgrund der angefochtenen Haftanordnung noch bis zum 2. März 2018 in Sicherungshaft befand. Dem Interesse der beteiligten Behörde, die geordnete Überstellung der Betroffenen nach Italien sicherzustellen, war damit Rechnung getragen. An dem Interesse der Betroffenen, in der persönlichen Anhörung durch das Beschwerdegericht durch ihren Verfahrensbevollmächtigten unterstützt zu werden, ändert es nichts, dass ihre Überstellung nach Italien am 1. März 2018 erfolgen sollte. Dieser Plan der beteiligten Behörde stand einer persönlichen Anhörung der Betroffenen unter Beteiligung ihres Verfahrensbevollmächtigten am Dienstag oder Mittwoch derselben Woche nicht entgegen. Sie hätte auf einen dieser Tage verlegt werden können und im Interesse einer wirksamen Rechtsverteidigung auch verlegt werden müssen.

(3) Die vom Berichterstatter der Beschwerdekammer als Grund für die Ablehnung von Terminabsprachen mit dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen genannten umfangreichen Terminvorbereitungen konnten die Zurückweisung des Verlegungsantrags des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen und die hiermit verbundene Beschneidung ihrer elementaren Rechte nicht rechtfertigen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 - V ZB 79/18, InfAuslR 2019, 153 Rn. 7).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Ingolstadt, vom 25.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 7 XIV 11/18
Vorinstanz: LG Ingolstadt, vom 27.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 33 T 272/18