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BSG - Entscheidung vom 28.10.2019

B 3 KR 73/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 28.10.2019 - Aktenzeichen B 3 KR 73/18 B

DRsp Nr. 2019/17475

Zahlung von Krankengeld aufgrund eingetretener Arbeitsunfähigkeit Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Ausgelaufenes Recht

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des SchleswigHolsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Oktober 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Das Schleswig-Holsteinische LSG hat mit Urteil vom 11.10.2018 den Anspruch des Klägers auf Zahlung von Krankengeld (Krg) aufgrund von ab dem 7.8.2015 eingetretener Arbeitsunfähigkeit (AU) verneint: Dem Anspruch stehe entgegen, dass das Beschäftigungsverhältnis des Klägers am 31.7.2015 beendet worden sei und er ab 7.8.2015 der Arbeitsagentur wegen der AU nicht zur Verfügung gestanden habe. Die gewährte Urlaubsabgeltung habe weder das Beschäftigungsverhältnis noch die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verlängert. § 190 Abs 2 SGB V setze für den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses ua eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt voraus. Die Urlaubsabgeltung stelle kein Arbeitsentgelt dar. Dieses Ergebnis beruhe auf § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V (idF von Art 3 Nr 1a des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente - Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.2001, BGBl I 3443, 3461 - aF). Entgegen der Ansicht des Klägers sei er nicht der Krankenversicherung der Arbeitslosen nach § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Alt 1 SGB V aF zugehörig gewesen, weil es am Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) gefehlt habe. Ein Krg-Anspruch könne aber auch nicht auf § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Alt 2 SGB V aF gestützt werden, da Versicherungspflicht erst ab Beginn des zweiten Monats wegen eines ruhenden Alg-Anspruchs bei Urlaubsabgeltung bestanden habe und die Arbeitsagentur kein Alg gezahlt habe, weil der Kläger aufgrund seiner AU den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur nicht zur Verfügung gestanden habe. Der fehlende Anspruch auf Krg nach § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V aF stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 4.3.2014 - B 1 KR 68/12 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 22). Die hier bestehende Versorgungslücke habe der Gesetzgeber erst mit Wirkung vom 1.8.2017 durch die Änderung von § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V (idF von Art 1 Nr 0aa des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung - Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz <HHVG> vom 4.4.2017, BGBl I 778) beseitigt. Auf diese Lücke habe das BSG (aaO) hingewiesen und ausgeführt, dass der Gesetzgeber nicht jede Fallkonstellation von Lücken im Versicherungsschutz habe schließen wollen. Künftig werde grundsätzlich bereits ab dem ersten Tag einer Urlaubsabgeltung Versicherungspflicht in der GKV und damit auch ein Anspruch auf Krg bestehen. Dies ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien (Hinweis auf BT-Drucks 18/11205 S 59). Dadurch werde deutlich, dass es in Fällen, die vor Inkrafttreten der Änderung von § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V lagen, bei der Lücke im Versicherungsschutz habe bleiben sollen. Eine rückwirkende Anwendung der Neufassung von § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V komme nicht in Betracht.

Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da der Kläger den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht ausreichend dargetan hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Abs 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam folgende Frage: "Ob eine rückwirkende Anwendung der Neufassung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen auch auf die Zeit vor dem 01.08.2017 anzuwenden ist."

Dazu trägt er vor, der Umstand, dass der Bezug von Urlaubsabgeltung hier zu einem Verlust von Krg führe, stelle eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes von Art 3 Abs 1 GG dar. Er werde benachteiligt gegenüber Arbeitnehmern, die ohne Urlaubsabgeltung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden seien. Die Versorgungslücke sei zwingend rückwirkend zu schließen; es sei nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber dies nicht getan habe. Die hier getroffene Unterscheidung des Ausscheidens mit oder ohne Urlaubsabgeltungsanspruch führe zu reinen Zufälligkeiten und zu einer Mehrbelastung in der Sozialversicherung. Nicht jeder Arbeitnehmer, der nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis einen Urlaubsabgeltungsanspruch erhalte und dies zu einem Ruhen des Alg-Anspruch führe, habe wie der Kläger eine zusätzliche Familienversicherung in der GKV.

Überdies verletze die hier getroffene Rechtsanwendung die europarechtliche Regelung von Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG . Danach habe jeder Mitgliedsstaat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen zu garantieren nach den Maßgaben der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bzw den staatlichen Gepflogenheiten. Dies sei vorliegend nicht gewährleistet, wenn der Kläger durch die Sicherstellung dieses wirtschaftlichen Vorteils einen erheblichen Nachteil im Krankenversicherungsschutz erleide.

Mit diesem Vortrag hat der Kläger weder die (erneute) Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage ordnungsgemäß dargelegt.

Denn wie der Kläger selbst vorträgt, hat das BSG (Urteil vom 4.3.2014 - B 1 KR 68/12 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 22) die Problematik des Eintritts einer Versorgungslücke beim Krg zwischen dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses und dem Bezug von Alg berücksichtigt, wenn im Anschluss an ein Beschäftigungsverhältnis der Anspruch auf Alg wegen einer Urlaubsabgeltung ruhte und während des ersten Monats dieser Ruhenszeit AU eintrat (§ 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V aF, vgl BSG aaO RdNr 13). Es hat auch berücksichtigt, dass mit dieser Regelung Lücken im Versicherungsschutz entstanden waren. Es hat jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert, sondern ausgeführt, dass der Gesetzgeber nicht sämtliche denkbare Fallgestaltungen von Lücken im Versicherungsschutz regeln wollte, zumal es um die Schließung kurzzeitiger Versicherungslücken ging ( BSG aaO RdNr 21 f). Mit der Neufassung von § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V idF des HHVG hat der Gesetzgeber demnach die Versorgungslücke beim Krg geschlossen, die nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses in bestimmten Fällen auftraten, wenn im Anschluss an ein Beschäftigungsverhältnis der Anspruch ua wegen einer Urlaubsabgeltung (§ 157 Abs 2 SGB III ) ruhte und während des ersten Monats dieser Ruhenszeit AU eintrat.

Wenn trotz Vorliegens dieser eindeutigen Rechtsprechung des BSG zur hier anwendbaren alten Rechtslage nunmehr ein Revisionsverfahren zu der Frage angestrebt wird, ob das Inkrafttreten der Neufassung von § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V vor dem 1.8.2017 verfassungsrechtlich geboten war, so steht hinter dieser Frage an sich die Klärungsbedürftigkeit ausgelaufenen Rechts, auf das das LSG seine Entscheidung tragend gestützt hat. Ausgelaufenes Recht begründet regelmäßig keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache mehr (stRspr vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 19).

Für die Klärungsbedürftigkeit der rückwirkenden Anwendung der Neufassung hätte der Kläger zumindest aber substantiiert solche gravierenden verfassungsrechtlichen Gründe vorgetragen müssen, die die Anwendung der Neufassung hätte geboten erscheinen lassen. Daran fehlt es aber bereits, wenn der Kläger ausführt, dass die Instanzen - ungeachtet des fehlenden KrgAnspruchs - von einem bestehenden Krankenversicherungsschutz des Klägers aus einer Familienversicherung nach § 10 SGB V ausgegangen seien, die den Krankversicherungsschutz als solchen aufrechterhalten habe. Eine besondere soziale Härte als Folge der kurzzeitigen Versorgungslücke ist damit nicht dargetan. Zur Behauptung des Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz von Art 3 Abs 1 GG hätte sich der Kläger überdies auch mit den naheliegenden Gründen der Differenzierung zwischen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit bzw ohne Urlaubsabgeltungsansprüchen auseinandersetzen müssen (zu Darlegungsanforderungen bei Art 3 Abs 1 GG vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 18.5.2016 - ua 1 BvR 2217/11 - juris RdNr 21 mwN), wie daneben mit dem bereits zitierten Urteil des BSG (aaO), in dem das BSG im Hinblick auf die kurzzeitige Versorgungslücke durch den Ausfall des Krg keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben hat. Neue Argumente hat der Kläger insofern jedoch nicht vorgetragen.

Im Übrigen ergeben sich aus der Beschwerdebegründung des Klägers auch keine plausiblen Anknüpfungspunkte für eine Klärungsbedürftigkeit der Frage aus europarechtlichen Erwägungen. Soweit der Kläger einen Verstoß gegen Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG rügt, fehlt es an Vortrag, inwieweit die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden ist bzw ob und inwieweit nationale Umsetzungsdefizite bestehen. Der Kläger hat insbesondere nicht behauptet, dass die Bundesrepublik die europarechtskonforme Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG unterlassen hätte. Daher bleibt auch fraglich, inwieweit dem Kläger aus der behaupteten unionswidrigen Rechtsanwendung unter Verstoß gegen die Richtlinie 2003/88/EG ein Anspruch auf Zahlung von Krg nach dem SGB V zustehen sollte.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 11.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KR 90/16
Vorinstanz: SG Schleswig, vom 22.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 10 KR 385/15