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BSG - Entscheidung vom 02.09.2019

B 14 AS 298/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 111 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 02.09.2019 - Aktenzeichen B 14 AS 298/18 B

DRsp Nr. 2019/14886

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Anordnung des persönlichen Erscheinens als Ermessensentscheidung

1. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens ist eine Ermessensentscheidung; diese hat nicht die Funktion, das rechtliche Gehör der Beteiligten sicherzustellen. 2. Wird das persönliche Erscheinen angeordnet, erlaubt dies nicht den Schluss, dass ohne das Erscheinen der Beteiligten keine Sachentscheidung des Gerichts ergehen könnte oder dürfte.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. August 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 111 Abs. 1 ;

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG ).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen allein geltend gemachten Zulassungsgrund hat der Kläger in der Begründung der Beschwerde nicht schlüssig bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels stützt, muss die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN).

Die Beschwerdebegründung des Klägers, der in der Sache - von dem Beklagten wegen unklarer wirtschaftlicher und persönlicher Verhältnisse abgelehnte - Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ab Oktober 2009 begehrt, wird diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Der Kläger macht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend, weil das LSG in der mündlichen Verhandlung, zu der er geladen war, an der er aber nicht teilgenommen hat, die Anordnung seines persönlichen Erscheinens aufgehoben und zudem trotz des Ausbleibens einer Zeugin entschieden habe, ohne ihn angehört zu haben.

Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG , der dem schon in Art 103 Abs 1 GG verankerten prozessualen Grundrecht entspricht (vgl nur Neumann in Hennig, SGG , § 62 RdNr 6 ff, Stand Juni 2015), ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG ), die Beteiligten ordnungsgemäß geladen hat und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (vgl nur BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - RdNr 6; BSG vom 26.5.2014 - B 12 KR 67/13 B - RdNr 7).

Der Kläger trägt weder vor, nicht ordnungsgemäß zum Termin geladen worden zu sein, noch, dass der Hinweis auf die Möglichkeit einer Entscheidung auch bei seinem Ausbleiben unterblieben ist. Er macht auch nicht geltend, einen Antrag auf Terminverlegung wegen einer Erkrankung gestellt zu haben, die er im Beschwerdeverfahren als Grund für sein Nichterscheinen angibt. Solange aber ein Termin zur mündlichen Verhandlung vom Gericht nicht aufgehoben worden ist, dürfen und müssen die Beteiligten davon ausgehen, dass der Termin auch stattfindet (vgl BSG vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - RdNr 8; BSG vom 26.5.2014 - B 12 KR 67/13 B - RdNr 7). In diesem Fall kann eine Gehörsrüge nicht durchgreifend darauf gestützt werden, es habe keine Gelegenheit bestanden, zu Vorgängen in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen, denn der Beteiligte hat nicht, wie es erforderlich ist, seinerseits alles getan, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; vgl nur BSG vom 26.5.2014 - B 12 KR 67/13 B - RdNr 7).

Mit dem Hinweis auf die in der mündlichen Verhandlung vom Berufungsgericht aufgehobene Anordnung seines persönlichen Erscheinens bezeichnet der Kläger ebenfalls keinen Verfahrensmangel in der gebotenen Weise. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens steht nach § 111 Abs 1 SGG im Ermessen des Gerichts (bzw des Vorsitzenden) und hat nicht die Funktion, das rechtliche Gehör der Beteiligten sicherzustellen (vgl BSG vom 26.5.2014 - B 12 KR 67/13 B - RdNr 17; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 111 RdNr 2 mwN). Aus der Anordnung des persönlichen Erscheinens kann auch nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass ohne das Erscheinen der Beteiligten keine Sachentscheidung des Gerichts ergehen könnte oder dürfte ( BSG vom 31.1.2008 - B 2 U 311/07 B - RdNr 4). Der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist zudem nicht zu entnehmen, was die persönliche Anwesenheit des Klägers erforderlich gemachte hätte.

Hinsichtlich der vom Kläger sinngemäß gerügten Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG durch die unterbliebene Vernehmung der erfolglos zum Termin geladenen Zeugin, fehlt es schon an der Bezeichnung des Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt sein soll. Auch wenn von dem vor dem LSG nicht rechtskundig vertretenen Kläger kein ordnungsgemäßer Beweisantrag im Sinne der Zivilprozessordnung im Verfahren vor dem LSG zu verlangen ist (vgl BSG vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5), so hätte im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ein solcher im damaligen Verfahren jedenfalls sinngemäß gestellter Antrag beschrieben werden müssen, damit klar wird, wieso das LSG sich zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt sehen müssen (vgl BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5). Auch ein unvertretener Kläger muss dem Berufungsgericht deutlich machen, dass und ggf wo er die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht und deshalb im Berufungsverfahren auf die Sachverhaltsaufklärung hinwirken, deren Unterlassen er nunmehr rügt (vgl BSG vom 2.6.2003 - B 2 U 80/03 B - juris RdNr 4; vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B - juris RdNr 5 und vom 18.1.2011 - B 5 RS 55/10 B).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 30.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 19 AS 2436/16
Vorinstanz: SG Dortmund, vom 10.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 60 AS 5609/13