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BSG - Entscheidung vom 11.09.2019

B 5 R 108/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
AbgG § 29 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 11.09.2019 - Aktenzeichen B 5 R 108/19 B

DRsp Nr. 2019/14270

Ruhen von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem AbgG Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Außer Kraft getretene Vorschrift

1. Eine außer Kraft getretene Vorschrift hat regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung.2. Wird eine Beschwerde auf eine außer Kraft getretene Vorschrift gestützt, muss die Beschwerdebegründung zunächst darauf eingehen, dass nicht mehr geltendes Recht zu prüfen ist und deshalb grundsätzliche Bedeutung nur unter besonderen Voraussetzungen gegeben sein kann. 3. Erforderlich ist, dass noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage alten Rechts zu entscheiden ist oder dass sich die Rechtsfrage in gleicher Weise nach dem jetzt geltenden Recht stellt bzw. für das geltende Recht weiter bedeutsam ist.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Februar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; AbgG § 29 Abs. 2 ;

Gründe:

Mit Urteil vom 8.2.2019 hat das LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 27.10.2016 zurückgewiesen. Das LSG hat die Verwaltungsentscheidung der Beklagten bestätigt, wonach die Regelaltersrente des Klägers neben der Abgeordnetenentschädigung in der Zeit vom 1.4.2013 bis 31.10.2013 in Höhe von 80 % ruhte und nur anteilig zur Auszahlung kam.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe wird in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Der Kläger hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht ausreichend vorgetragen.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung ( BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger formuliert als Rechtsfrage, der er grundsätzliche Bedeutung beimisst:

"Ist das Ruhen von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 29 Abs. 2 AbgG verfassungsmäßig (siehe auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 01.06.2017, L 12 R 89/16, Rn. 38)?"

Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine aus sich heraus verständliche Rechtsfrage zur Auslegung einer revisiblen (Bundes-)Norm formuliert hat, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschlüsse vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - Juris RdNr 15 und vom 4.4.2016 - B 13 R 43/16 B - RdNr 6; Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Zweifel bestehen deshalb, weil aus der Formulierung nicht hervorgeht, in welcher Fassung der Kläger § 29 Abs 2 AbgG zitiert. Jedenfalls hat er die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Frage nicht ausreichend dargetan.

a) Es fehlt an einer hinreichenden Darlegung des fortbestehenden Klärungsbedarfs der aufgeworfenen Rechtsfrage.

Streitig ist das Ruhen der Regelaltersrente im Zeitraum 1.4.2013 bis 31.10.2013. Zur Anwendung kommt § 29 Abs 2 S 2 AbgG in der Fassung vom 21.12.2004 (BGBl I 3590). Danach ruhten Regelaltersrenten beim Zusammentreffen mit einer Abgeordnetenentschädigung des Deutschen Bundestages um 80 vom Hundert. Die Vorschrift wurde durch Art 1 Nr 9a Dreißigstes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Dreiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vom 11.7.2014 (BGBl I 906) mit Wirkung vom 16.7.2014 geändert. Wie auch der Kläger selbst vorträgt, ruhen seitdem Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn sie neben einer Abgeordnetenentschädigung bezogen werden, nur noch in Höhe von 50 vom Hundert. Die hier streitentscheidende Vorschrift über ein Ruhen in Höhe von 80 vom Hundert findet keine Anwendung mehr.

Eine außer Kraft getretene Vorschrift hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung (vgl bereits BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; BSG 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10 mwN). Deshalb muss die Beschwerdebegründung zunächst darauf eingehen, dass nicht mehr geltendes Recht zu prüfen ist und deshalb grundsätzliche Bedeutung nur unter besonderen Voraussetzungen gegeben sein kann. Es ist dann entweder auszuführen, dass noch eine erhebliche Zahl von Fällen zu entscheiden ist oder dass sich die Rechtsfrage in gleicher Weise nach dem jetzt geltenden Recht stellt bzw für das geltende Recht weiter bedeutsam ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14 f mwN).

Dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger trägt vor, weder das BSG noch das BVerfG hätten sich bisher damit beschäftigt, ob § 29 Abs 2 AbgG verfassungskonform sei oder nicht. Auf die nach Zulassung der Revision durch verschiedene Landessozialgerichte eingelegten Revisionen seien keine Entscheidungen in der Sache ergangen. Der Kläger verweist dazu auf die Urteile des Bayerischen LSG vom 27.11.2014 (L 14 R 457/14), des LSG Rheinland-Pfalz vom 19.10.2016 (L 4 R 188/14) und des LSG Niedersachsen-Bremen vom 1.6.2017 (L 12 R 89/16) sowie auf den nach Revision gegen das zitierte Urteil des Bayerischen LSG ergangenen Beschluss des 13. Senats vom 26.8.2015 (B 13 R 14/15 R - nachfolgend Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 28.2.2018 - 1 BvR 421/16; der Ausgang der beiden weiteren vom Kläger angeführten Verfahren wird nicht erwähnt, vgl Vergleich vom 14.3.2019 - B 5 R 32/16 R - und Beschluss vom 10.7.2018 - B 5 R 22/17 R - jeweils recherchierbar in Juris). Auf die verschiedenen Fassungen des § 29 Abs 2 AbgG mit ihren unterschiedlichen Regelungsgehalten geht der Kläger jedoch nicht hinreichend ein. So hat er insbesondere nicht vorgetragen, dass noch eine Vielzahl weiterer, vergleichbarer Fälle anhängig sei, die nach dem früheren, bis zum 15.7.2014 geltenden Recht zu entscheiden seien. Soweit er seit dem Jahr 2014 auf "für jedes Jahr zumindest eine Gerichtsentscheidung, in der Mehrzahl von Landessozialgerichten" zu § 29 Abs 2 AbgG verweist, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung weder, zu welcher Gesetzesfassung diese ergangen sein sollen, noch dass es sich dabei um anhängige Verfahren handelt.

Die Beschwerdebegründung enthält zudem keinerlei Ausführungen dazu, inwieweit sich die Frage nach der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift auch nach dem heute gültigen Recht stellen bzw für das geltende Recht weiter bedeutsam sein könnte. Der Kläger macht zwar geltend, es gehe um die Verfassungskonformität "des § 29 Abs. 2 AbgG und zwar sowohl in der Fassung bis zum 15.07.2014 als auch in der Fassung ab dem 16.07.2014". Weitere Ausführungen aber fehlen. Dazu hätte nicht zuletzt deshalb Anlass bestanden, weil bei der Prüfung einer möglichen Verletzung des Klägers in den von ihm geltend gemachten Grundrechten aus Art 14 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG der Umfang des Ruhens der Rente eine Rolle spielt. Die Belastung eines Abgeordneten ist nach dem seit dem 16.7.2014 geltenden Recht bei einem Ruhen der Rente um 50 vom Hundert deutlich niedriger als nach dem hier anzuwendenden Recht.

Auch legt der Kläger eine (konkrete) Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage unter Zugrundelegung der ab 16.7.2014 gültigen Gesetzesfassung nicht dar.

b) Die Darlegung ist auch insofern nicht hinreichend, als es an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung fehlt.

Leitet eine Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus einer Verletzung von Normen des GG ab, darf sie sich nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den (konkret) gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substanzieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (stRspr, zB bereits BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 f = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 13 f). Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG im Einzelnen dargelegt werden (stRspr, zB BSG Beschluss vom 12.7.2013 - B 1 KR 123/12 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - Juris RdNr 6).

Dies ist nicht geschehen. Der Kläger sieht sich in seinen Grundrechten aus Art 14 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG verletzt. Die ganz erhebliche Minderung des Auszahlungsbetrages seiner Rente verletze ihn in seinem Eigentumsgrundrecht. Als Altersrentner, der Mitglied im Deutschen Bundestag ist, erhalte er eine geringere Rente als ein Altersrentner, der dem Deutschen Bundestag nicht angehöre. Dies sei sachlich nicht gerechtfertigt. Der Kläger verweist auf den Inhalt eines im Auftrag der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag erstellten Rechtsgutachtens unter Angabe einer Fundstelle (Zeitschrift für Parlamentsfragen 2017, 186 ff) und die Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 11.2.2014 (BT-Drucks 18/477), die die Argumentation des Klägers zu einem unverhältnismäßigen und damit unzulässigen Eingriff in Art 14 GG stütze. Eine notwendige Auseinandersetzung mit dem genannten Verfassungsrecht, insbesondere unter Heranziehung der Rechtsprechung des BVerfG enthält die Beschwerdebegründung indes nicht. Im Rahmen der Wiedergabe des erstinstanzlichen Urteils wird die Entscheidung des BVerfG vom 5.11.1975 ( 2 BvR 193/75 - BVerfGE 40, 296 ) lediglich zitiert. Ausführungen zu diesem "Diäten-Urteil" fehlen ebenso wie zu dem sich daran anschließenden Urteil des BVerfG vom 30.9.1987 ( 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256 ). Darin wird es ausdrücklich als "naheliegend" bezeichnet, dass der Gesetzgeber, sofern er es bei der bisherigen Konzeption von Entschädigung und Versorgung der Abgeordneten belasse, auch eine Anrechnung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung vorsehe (vgl BVerfG Urteil vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256 , 343). Zu den Einzelheiten einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung und insbesondere zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Art 14 Abs 1 GG äußert sich die Beschwerdebegründung ebenso wenig wie zu den Voraussetzungen der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 GG .

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 08.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 14 R 728/18
Vorinstanz: SG Düsseldorf, vom 27.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 20 R 1493/13