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BSG - Entscheidung vom 30.07.2018

B 5 R 88/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 106

BSG, Beschluss vom 30.07.2018 - Aktenzeichen B 5 R 88/18 B

DRsp Nr. 2018/12535

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Die Vorgaben des § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 SGG für eine Verfahrensrüge können nicht über den "Umweg" der Rüge einer Verletzung des § 106 SGG umgangen werden.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. März 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 106 ;

Gründe:

Mit Beschluss vom 27.3.2018 hat das LSG Baden-Württemberg die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Freiburg vom 21.2.2017 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die vom Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.9.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.6.2016 erhobene Anfechtungsklage sei unzulässig, weil der Bescheid vom 29.9.2015 hinsichtlich des streitigen Anrechnungs- und Rentenzahlbetrages durch den Bescheid vom 13.10.2015 ersetzt worden sei und daher keine Wirkung mehr entfalte. Der Bescheid vom 13.10.2015 sei weder nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens noch gemäß § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden und mangels Anfechtung durch den Kläger bestandskräftig. Damit erweise sich auch die auf die Zahlung einer höheren Rente gerichtete Leistungsklage als unzulässig.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG .

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Beschlusses besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Der Kläger rügt eine Verletzung des § 96 SGG .

Hierzu trägt er vor:

"Der Verfahrensmangel besteht vorliegend nun schlicht und ergreifend darin, dass fußend auf den Umstand einer vermeintlichen Nichtanwendung des § 96 SGG dieser Umstand, dass ein Bescheid vom 13.10.2015, der gar nicht existent ist, im Sinne einer Bekanntgabe und Zustellung, zum Anlass genommen wird, dass man über die Rechtsfrage, ob der Bescheid vom 29.09.2015 nun rechtmäßig ist oder nicht, meint gar nicht entscheiden zu müssen."

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 96 SGG nicht schlüssig bezeichnet.

Gemäß § 96 Abs 1 SGG wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. § 96 Abs 2 SGG bestimmt, dass eine Abschrift des neuen Verwaltungsaktes dem Gericht mitzuteilen ist, bei dem das Verfahren anhängig ist.

Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass der Anwendungsbereich des § 96 SGG betroffen ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn in dem von der Norm vorgegebenen Zeitraum ein neuer Verwaltungsakt ergangen ist. Ein neuer Verwaltungsakt iS von § 31 S 1 SGB X ist nur dann ergangen, wenn er dem Adressaten bekannt gegeben worden ist, weil ein Verwaltungsakt erst im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe wirksam wird (§§ 37 , 39 Abs 1 SGB X ). Die Beschwerdebegründung bezweifelt indes bereits, dass es überhaupt "einen Bescheid vom 13.10.2015" gibt, der einzig als neuer Verwaltungsakt in Betracht kommt, und trägt im Übrigen vor, dass ein solcher jedenfalls weder dem früheren Bevollmächtigten des Klägers noch dem Kläger selbst bekannt gegeben worden sei.

b) Der Kläger rügt ferner sinngemäß einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ).

Hierzu trägt er vor, das LSG sei von Amts wegen verpflichtet gewesen zu ermitteln, ob der "vermeintliche Verwaltungsakt vom 13.10.2015" dem Kläger überhaupt zugegangen sei. Das Berufungsgericht habe mit Schreiben vom 1.3.2018 lediglich auf den Bescheid vom 13.10.2015 hingewiesen, aber mit keinem Wort nachgefragt, ob dieser dem Kläger zugegangen sei.

Ausweislich § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann auf eine Verletzung des § 103 SGG gestützt werden, wenn der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren einen Beweisantrag gestellt hat, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, vor dem LSG einen entsprechenden Beweisantrag gestellt zu haben.

Soweit der Kläger möglicherweise mit dem obigen Vorbringen gleichzeitig eine Verletzung des § 106 Abs 1 SGG rügen möchte, nach dem der Vorsitzende ua darauf hinzuwirken hat, dass alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden, ist darauf hinzuweisen, dass die Vorgaben des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nicht über den "Umweg" der Rüge einer Verletzung des § 106 SGG umgangen werden können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; BSG Beschluss vom 24.7.2002 - B 7 AL 228/01 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 13.9.2004 - B 11 AL 153/04 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 13.8.2013 - B 9 SB 38/13 B - Juris RdNr 4).

c) Des Weiteren macht der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG geltend, nach dem die Beteiligten vor Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zu hören sind.

Hierzu hat der Kläger vorgetragen, das LSG habe mit Schreiben vom 1.3.2018 unter Bezugnahme auf "einen Bescheid vom 13.10.2015" gefragt, ob die Berufung zurückgenommen werde und bereits am 27.3.2015 (gemeint 2018) entschieden. Bei der Kürze der Zeit könne man "nicht erwarten, dass so schnell eine Antwort oder Ermittlung diesbezüglich orientiert erfolgt, weil man ja schließlich auch wiederum erneut die ganze Akte durchschauen muss".

Der Senat versteht dieses Vorbringen dahin, dass der Kläger geltend machen möchte, er bzw sein Bevollmächtigter hätten nicht ausreichend Zeit gehabt, um die Akten auf das Vorhandensein des Bescheides vom 13.10.2015 zu überprüfen und dessen Nichterhalt einzuwenden.

Nach dem von der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Anhörungsschreiben des LSG vom 1.3.2018 hat das Gericht dem Kläger eine Frist zur Stellungnahme bis zum 23.3.2018 gesetzt und dieses Schreiben per Fax übermittelt. Damit stand dem rechtskundig vertretenen Kläger ein Zeitraum von mehr als drei Wochen für die Überprüfung der Sach- und Rechtslage sowie eine Äußerung gegenüber dem Gericht zur Verfügung. Als Anhörungsfrist ist aber in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen zuzüglich der Postlaufzeiten ausreichend (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 15). Substantiierte Gründe dafür, dass diese Zeit für die Prüfung des Zugangs eines bestimmten Bescheides nicht ausreichend bzw im vorliegenden Fall nicht ausreichend gewesen ist, sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

2. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG , 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, "ob man bei der Hinzuverdienstgrenzenermittlung bei der Hinterbliebenenrente, wenn es um den Vergleich geht, ob Einkünfte sich erniedrigt haben oder nicht und somit eine höhere Rente zu zahlen ist, § 18 b Abs. 5 , Satz 1, Nr. 1 SGB IV anwenden darf und das versicherungspflichtige Entgelt um 40 v. H. pauschal kürzen darf, und das Krankengeld demgegenüber im Bruttobetrag und nicht das Bemessungsentgelt nehmen darf, und nur diese besagten rund 12 % an Beiträgen definitiv abziehen darf".

Der Senat lässt dahinstehen, ob der Kläger mit dieser Formulierung eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage aufgeworfen hat. Jedenfalls fehlt jedes Vorbringen zu deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit.

Mit seinem übrigen Vorbringen macht der Kläger die sachliche Unrichtigkeit der angefochtenen Berufungsentscheidung geltend. Hierauf kann jedoch ausweislich § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 27.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 10 R 919/17
Vorinstanz: SG Freiburg, vom 21.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 16 R 2624/16