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BSG - Entscheidung vom 06.09.2018

B 9 V 24/18 B

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 62

BSG, Beschluss vom 06.09.2018 - Aktenzeichen B 9 V 24/18 B

DRsp Nr. 2018/16427

Beschädigtenversorgung wegen behaupteten sexuellen Missbrauchs Verletzung rechtlichen Gehörs Genügen der Darlegungspflicht Bruchstückhafter Vortrag

1. Das Beschwerdegericht ist nicht verpflichtet, Bruchstücke eines Beteiligtenvorbringens in ein Gesamtbild des Verfahrens einzuordnen und ihre Entscheidungserheblichkeit einzuschätzen.2. Durch die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung muss es vielmehr in die Lage versetzt werden, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein auch aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über die rechtlichen und tatsächlichen Streitpunkte des Verfahrens zu machen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. April 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. April 2018 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G. aus F. zu bewilligen, wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 62 ;

Gründe:

I

Mit Urteil vom 19.4.2018 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 80 wegen behaupteten sexuellen Missbrauchs, sexueller Nötigung und Vergewaltigung verneint, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht nachgewiesen seien.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt und beantragt gleichzeitig die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des sie vertretenden Rechtsanwalts. Sie rügt das Vorliegen eines Verfahrensmangels, weil das LSG seine Fürsorgepflicht ihr gegenüber nicht ausreichend beachtet und somit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Mit Schriftsatz vom 18.4.2018 habe sie "versucht", Beweisanträge zu stellen. Da diese nicht prozessordnungsgemäß gewesen seien, hätte der Vorsitzende des LSG im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht darauf hinweisen müssen, dass der Antrag nicht ausreichend spezifiziert sei. Hätte das LSG seiner Fürsorgepflicht genügt, dann wäre die Klägerin in der Lage gewesen, ausreichende Beweisanträge zu formulieren.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Der geltend gemachte Verfahrensmangel ist nicht ordnungsgemäß dargetan worden.

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Wer einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) rügen will, muss deshalb nicht nur einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnen, sondern auch darlegen, warum die Tatumstände das LSG zu weiterer Sachaufklärung hätten drängen müssen, was diese vermutlich ergeben hätte und warum die angefochtene Entscheidung auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann. Maßgeblich ist dabei die Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

Wer einen Gehörsverstoß rügen will (Art 103 Abs 1 GG ; §§ 62 und 128 Abs 2 SGG ), hat darzulegen, warum das LSG Vorbringen der Beteiligten nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und erwogen hat (vgl BSG Urteil vom 17.2.1998 - B 13 RJ 83/97 R - SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG Urteil vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dabei ist auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl Senatsbeschluss vom 7.10.2016 - B 9 V 28/16 B - Juris RdNr 6 mwN). Dies gilt gleichfalls für die Rüge, das LSG habe in der Person des Vorsitzenden die sich aus § 112 Abs 2 SGG ergebenden Fürsorgepflichten zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge verletzt, da es sich insoweit sachlich ebenfalls um die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör handelt.

Diese zwingend erforderlichen Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Ihre Begründung setzt sich lediglich mit dem Wunsch der Klägerin nach weiterer Beweiserhebung auseinander ohne Darstellung der Rechtsauffassung des LSG und der Gründe für die Erforderlichkeit weiterer Sachaufklärung. Dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten worden ist, zu deren Beweiserhebung sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ), behauptet die Beschwerde selbst nicht. Es wird insbesondere nicht dargelegt, an welchem Vortrag die Klägerin gehindert gewesen sein sollte und welchen entsprechenden Beweisantrag sie formuliert hätte, wenn das LSG ihren Wünschen gefolgt wäre und welches Ergebnis im Rahmen einer weitergehenden Beweisaufnahme zu erwarten gewesen wäre. Stattdessen greift die Beschwerde lediglich das Ergebnis des Berufungsurteils an, ohne diese Kritik im Zusammenhang des Verfahrens nachvollziehbar darzustellen. Es ist aber nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, Bruchstücke in ein Gesamtbild des Verfahrens einzuordnen und ihre Entscheidungserheblichkeit einzuschätzen. Vielmehr muss es durch die Beschwerdebegründung in die Lage versetzt werden, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein auch aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über die rechtlichen und tatsächlichen Streitpunkte des Verfahrens zu machen. Diese Anforderungen verfehlen die lückenhaften Darlegungen der Beschwerde.

Dass die Klägerin mit der Auswertung und Würdigung des Sach- und Streitstandes durch das LSG nicht einverstanden ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Denn insoweit wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG ) des Berufungsgerichts. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann hierauf eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Da nach alledem die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg hat, ist der Antrag der Klägerin auf PKH unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten mangels einer hinreichenden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels abzulehnen (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO ).

4. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 19.04.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 6 VG 4448/16
Vorinstanz: SG Freiburg, vom 25.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 11 VG 226/16