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BSG - Entscheidung vom 03.07.2017

B 13 R 34/16 BH

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 03.07.2017 - Aktenzeichen B 13 R 34/16 BH

DRsp Nr. 2017/13936

SGB-II -Leistungen Anrechnung einer Erwerbsunfähigkeitsrente des Ehepartners Verfassungskonformität der Einbeziehung in die Bedürftigkeitsprüfung

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bislang ungeklärte und für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. 2. Das BSG hat bereits entschieden, es sei rechtmäßig, die von einem Ehepartner in der Bedarfsgemeinschaft bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente als Einkommen bei der Berechnung der SGB-II -Leistung des anderen Ehepartners zu berücksichtigen. 3. Ihre Einbeziehung in die Bedürftigkeitsprüfung sowie die Modalitäten der Einkommensanrechnung begegneten auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. 4. Wie die Sozialhilfe dienen die Leistungen nach dem SGB II der Überbrückung einer akuten Notlage. 5. Die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft werden in besonderer Weise in eine solidarische Pflicht genommen, bevor staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden könne; dies rechtfertigt auch die Erwartung, dass die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft vorhandenes Einkommen zunächst zur Deckung ihres eigenen Bedarfs sowie des Bedarfs der Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft einsetzen, bevor sie bestehende Verpflichtungen erfüllen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Im Streit steht die vollständige Auszahlung von Rentennachzahlungen in Höhe von 2534,03 Euro. Diesen Betrag hat die Beklagte von der Nachzahlung der dem Kläger durch Bescheid vom 12.1.2011 rückwirkend zum 1.10.2005 bewilligten und durch Bescheid vom 14.2.2011 erhöhten Rente wegen voller Erwerbsminderung einbehalten und an den Beigeladenen erstattet. Hiervon machte die Beklagte dem Kläger Mitteilung. Gegen diese erhob er Widersprüche, die die Beklagte mit der Begründung zurückwies, die Nachzahlungsmitteilungen seien keine Verwaltungsakte. Das vom Kläger angerufene SG hat die Klage auf Auszahlung der einbehaltenen Leistungen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 20.2.2015). Das LSG hat die Berufung des Klägers hiergegen zurückgewiesen. Der Kläger habe keinen Auszahlungsanspruch, denn mit dem Erstattungsanspruch des Beigeladenen sei dieser in der geltend gemachten Höhe erloschen. Es komme nicht darauf an, dass der Kläger selbst keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezogen habe, denn er sei Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und minderjährigen Tochter. Sein Renteneinkommen sei daher bei der Berechnung der Leistungen an diese beiden Bedarfsgemeinschaftsmitglieder zu berücksichtigen. Des Erlasses von Änderungsbescheiden des Beigeladenen habe es insoweit nicht bedurft. Das LSG hat die Revision zum BSG nicht zugelassen (Urteil vom 25.10.2016).

Zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens begehrt der Kläger die Bewilligung von PKH.

II

Der Antrag des Klägers auf PKH ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dahinstehen kann hier, ob der Kläger nach seinen eigenen Angaben die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH erfüllt. Unabhängig von den Zweifeln des Senats daran, dass er eine Prozessführung durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten nicht aus eigenen Mitteln bestreiten könnte, mangelt es bereits an der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung.

Gegen das vom Kläger angegriffene Urteil des LSG ist als Rechtsmittel allein die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statthaft (§ 160a SGG ). In einem solchen Verfahren geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG inhaltlich richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Dass einer dieser Zulassungsgründe hier mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, ist nach Prüfung des Streitstoffs und Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in seinen Schreiben vom 15.11.2016 und 1.12.2016 nicht ersichtlich.

Es ist nicht zu erkennen, dass eine Zulassung der Revision gegen das Urteil des LSG auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bislang ungeklärte und für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Dass im Rechtsstreit des Klägers solche Rechtsfragen von Bedeutung sein könnten, ist nicht ersichtlich. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers regelt das SGB II eine Ausnahme von der Personenidentität beim Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers gegen einen anderen Sozialleistungsträger. Nach dem hier anzuwendenden § 34a SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (ab dem 1.4.2011 bis 31.7.2016 inhaltsgleich § 34b , Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [RBEG/SGBII/SGB XII-ÄndG-2011] vom 24.3.2011, BGBl I 453) gilt, dass, wenn sich das Recht des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Ersatz seiner Aufwendungen von einem anderen zu verlangen, gegen den die Leistungsberechtigten einen Anspruch haben, nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften, die dem § 33 vorgehen, bestimmt, Aufwendungen auch solche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind, die an den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner des Hilfebedürftigen erbracht wurden sowie an dessen unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Das BSG hat hierzu bereits entschieden, es sei rechtmäßig, die von einem Ehepartner in der Bedarfsgemeinschaft bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente als Einkommen bei der Berechnung der SGB II -Leistung des anderen Ehepartners zu berücksichtigen. Ihre Einbeziehung in die Bedürftigkeitsprüfung sowie die Modalitäten der Einkommensanrechnung begegneten auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie die Sozialhilfe dienten die Leistungen nach dem SGB II der Überbrückung einer akuten Notlage. Die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft würden in besonderer Weise in eine solidarische Pflicht genommen, bevor staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden könne. Dies rechtfertige auch die Erwartung, dass die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft vorhandenes Einkommen zunächst zur Deckung ihres eigenen Bedarfs sowie des Bedarfs der Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft einsetzten, bevor sie bestehende Verpflichtungen erfüllten (vgl nur BSG vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 23 ff). Darüber hinausgehende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich in diesem Zusammenhang nicht.

Dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) mit Erfolg von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten geltend gemacht werden könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Divergenz bedeutet das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (vgl Senatsbeschlüsse vom 20.5.2014 - B 13 R 49/14 B - Juris RdNr 10).

Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Das LSG nimmt ausdrücklich auf die Entscheidung des 11. Senats des BSG vom 6.8.2014 ( B 11 AL 2/13 R - BSGE 116, 267 = SozR 4-4200 § 34a Nr 1) Bezug, der eine Erstattungspflicht eines Grundsicherungsberechtigten nach § 34a SGB II verneint hat, soweit rechtswidrig erhaltene Leistungen seine mit ihm in einem Haushalt lebende Lebensgefährtin und deren Tochter, deren Vater er nicht ist, betreffen. Es weicht nicht von den dort aufgestellten Rechtssätzen ab, denn es ist hier eine gegenüber der, der Entscheidung des 11. Senats zugrunde liegenden Fallgestaltung, eine andere rechtliche Ausgangssituation gegeben. Für die dortige Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs durch den Grundsicherungsträger mangelte es bis zum 31.7.2016 an einer Rechtsgrundlage. Erst durch das SGB II -Rechtsvereinfachungsgesetz vom 26.7.2016 (BGBl I 1824) ist eine solche für alle Bedarfsgemeinschaftsmitglieder geschaffen worden. Für Eheleute und leibliche Kinder hatte der Gesetzgeber jedoch mit § 34a SGB II bereits zuvor eine eindeutige Regelung getroffen.

Schließlich vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen Verfahrensmangel in dem Sinne erfolgreich rügen könnte, dass deswegen die Revision zuzulassen wäre (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Der Kläger weist zwar darauf hin, dass das SG ohne vorherige Anhörung durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Da sich die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG richtet (§ 160 SGG ), kommen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur Mängel des Verfahrens vor dem LSG und nicht vor dem SG in Betracht, es sei denn, dass der Verfahrensmangel fortwirkt und damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet (Senatsbeschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - Juris RdNr 15). Soweit der Kläger jedoch geltend machen will, dass das LSG verfahrensfehlerhaft gehandelt habe, weil es wegen dieses Verfahrensmangels die Sache nicht an das SG zurückverwiesen habe, könnte ein zugelassener Prozessbevollmächtigter auch damit nicht durchdringen. Denn das LSG ist nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG grundsätzlich zur Entscheidung in der Sache berechtigt. So hat das LSG hier den Mangel des SG -Verfahrens erkannt und ermessenfehlerfrei unter Hinweis auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG gleichwohl von einer Zurückverweisung an das SG abgesehen.

Soweit der Kläger eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, weil ihm aus finanziellen Gründen eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht möglich gewesen sei, führt dies nicht dazu, die Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde zu bejahen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) und das aus Art 2 Abs 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren gebieten, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 SGG ), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann ( BSG vom 26.5.2014 - B 12 KR 67/13 B - Juris RdNr 7 unter Hinweis auf BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - Juris RdNr 6 mwN).

Der Kläger hat mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung die vorgenannten Hinweise erhalten. Soweit er sich an der Teilnahme gehindert sah, könnte er sich nur dann auf die Verletzung rechtlichen Gehörs berufen, wenn er alles unternommen hätte, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Dies ist hier nach Aktenlage nicht geschehen. Weder hat er die Verlegung des Termins noch die Übernahme der Reisekosten beantragt. Er hat vielmehr auf dem Empfangsbekenntnis der Ladung - ohne weiteren Kommentar - angekreuzt, an dem Termin nicht teilzunehmen.

Mit den vom Kläger im PKH-Antrag vor dem BSG angebrachten Tatsachen hat sich das LSG - zum Teil unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG - im Wesentlichen auseinandergesetzt. Soweit es dabei zu anderen Bewertungen der Tatsachen gelangt ist, greift der Kläger damit allenfalls die Beweiswürdigung des LSG an. Eine solche auf § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützte Rüge kann jedoch ausdrücklich nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG keine Zulassung der Revision nach sich ziehen.

Da nach alledem die Bewilligung von PKH abzulehnen ist, entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts durch das Gericht (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 25.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KN 198/15
Vorinstanz: SG Dresden, vom 20.02.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 24 KN 1480/11