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BSG - Entscheidung vom 27.10.2017

B 13 R 19/14 BH

Normen:
SGG § 73a Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
SGG § 160 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 27.10.2017 - Aktenzeichen B 13 R 19/14 BH

DRsp Nr. 2018/1734

Nichtzulassungsbeschwerde PKH-Verfahren Vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung

Auf die (vermeintliche) Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht gestützt werden.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2014 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1; SGG § 160 Abs. 2 ;

Gründe:

I

Der Kläger beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 11.3.2014.

In diesem Rechtsstreit wendet er sich gegen die Verrechnung der Hälfte der ihm von der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund gezahlten Altersrente mit einer Forderung der beigeladenen IKK classic (einschließlich Säumniszuschlägen, Gebühren, Auslagen und Kosten nach dem Stand vom 9.6.2010: 56 482,54 Euro) durch Bescheid vom 1.10.2010. Diese Forderung beruht auf Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Monate Januar bis Juni 1995, die der Kläger nicht an die ehemalige IKK H. - die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen - gezahlt hat. Die Beiträge schuldete er für Arbeitnehmer, die er in einem Fischrestaurant in H. - beschäftigte. Eine Zahlungsaufforderung vom 2.2.1996 wurde dem Kläger über den dänischen Sozialversicherungsträger zugestellt. Ferner machte die Beklagte die Forderung durch eine im Jahr 2000 öffentlich zugestellte Mahnung sowie Bescheide vom 5.11.2003, 29.6.2007 und 21.6.2010 geltend.

Nach erfolglosem Widerspruch hat der Kläger vor dem Sozialgericht ( SG ) auf seine schwierige finanzielle Lage hingewiesen: Neben der Altersrente erhalte er noch eine Witwerrente von der Deutschen Rentenversicherung Nord (zwischenzeitlich ebenfalls wegen Verrechnung um die Hälfte gekürzt) sowie die dänische Volkspension einschließlich Heizungszulage und "Scheck für Ältere"-Zusatzrente. Von diesen Einkünften müsse er erhebliche Kredite aus dem Betrieb einer ursprünglich von seiner 2003 verstorbenen Frau betriebenen Boutique sowie für das gemeinsame Haus bedienen. Durch die Verrechnung der Forderung der Beklagten mit seiner Altersrente verbliebe ihm wegen der hohen Lebenshaltungskosten in Dänemark nicht genug Geld, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger durch die Verrechnung nicht sozialhilfebedürftig werde. Die von ihm in Dänemark bezogenen Sozialleistungen seien nicht mit der deutschen Sozialhilfe vergleichbar. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf dänische Sozialhilfeleistungen (kontanthjælp), bei dessen Bestehen die Verrechnung - jedenfalls teilweise - ausgeschlossen sei (Urteil vom 17.7.2013). Die Berufung des Klägers hat das LSG durch den angegriffenen Beschluss als unzulässig verworfen, weil der Kläger die Berufungsfrist nicht eingehalten habe. Das Urteil des SG sei dem Kläger am 8.8.2013 an seinem Wohnsitz in Dänemark zugestellt worden. Die Frist von drei Monaten für die Einlegung der Berufung habe deshalb am 8.11.2013 geendet. Weil der Kläger das erst nach Ablauf dieser Frist am 15.11.2013 beim LSG eingegangene Berufungsschreiben auch erst am 12.11.2013 - also ebenfalls schon nach Fristablauf - verfasst habe, seien Gründe für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nicht zu erkennen. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen (Beschluss vom 11.3.2014).

II

Der Antrag des Klägers auf PKH ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht ( BSG ) PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dahinstehen kann hier, ob der Kläger nach seinen eigenen Angaben die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH erfüllt. Unabhängig davon, ob der Kläger eine Prozessführung durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten aus eigenen Mitteln bestreiten könnte, mangelt es bereits an der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung.

Gegen den vom Kläger angegriffenen Beschluss des LSG ist als Rechtsmittel allein die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statthaft (§ 160a SGG ). In einem solchen Verfahren geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG inhaltlich richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen dieser Zulassungsgründe hier mit Erfolg geltend machen könnte, ist nach Prüfung des Streitstoffs und Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in seinen Schreiben vom 18.3.2014, 29.4.2014, 5.8.2014, 10.9.2014, 24.10.2014, 2.6.2015 und 29.7.2015 nicht ersichtlich.

Das LSG hat die Berufung des Klägers ohne inhaltliche Prüfung seines Anliegens allein deshalb als unzulässig verworfen, weil der Kläger die Berufungsfrist von drei Monaten versäumt hat, indem seine Berufung nicht bis Ablauf des 8.11.2013, sondern erst am 15.11.2013 beim LSG eingegangen ist. Einwendungen hiergegen, die Hinweise auf das Vorliegen eines der oben genannten Revisionszulassungsgründe geben könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen. Entsprechende Umstände sind auch aus den vorliegenden Verwaltungs- und Prozessakten nicht zu entnehmen. Der Senat sieht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Prozessbevollmächtigter im Zusammenhang mit der Verwerfung der Berufung des Klägers durch das LSG wegen der Fristversäumnis eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , eine Abweichung des LSG von der Rechtsprechung eines der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte oder das Vorliegen eines Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG erfolgreich geltend machen könnte. Insbesondere hat der Senat keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Rechtsmittelbelehrung am Ende des Urteils des SG : Zwar wird dort zunächst die im Inland geltende Berufungsfrist von einem Monat (§ 151 Abs 1 SGG ) genannt, doch wird im weiteren Text in einem separaten Satz deutlich herausgestellt, dass die Berufungsfrist bei Zustellung im Ausland drei Monate anstelle nur eines Monats beträgt.

Soweit sich der Kläger zur Begründung seines PKH-Antrags erneut und detailliert auf seine schwierige wirtschaftliche Lage und die vermeintliche Untätigkeit der Beigeladenen über einen Zeitraum von 15 Jahren beruft, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, hinreichende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Nichtzulassungsbeschwerde zu begründen. Mit diesem Vorbringen wendet sich der Kläger allein gegen die inhaltliche Richtigkeit des - bereits aus prozessualen Gründen - vom LSG bestätigten Urteils des SG . Auf die (vermeintliche) Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung kann jedoch - wie oben bereits ausgeführt - die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht gestützt werden (allgM, s nur Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX RdNr 50 mwN). Aufgrund der langen Bearbeitungsdauer des PKH-Antrags des Klägers sieht sich der Senat dennoch veranlasst, darauf hinzuweisen, dass auch eine zugelassene Revision voraussichtlich erfolglos bliebe, ohne dass dies für die Ablehnung des Antrags des Klägers entscheidend ist:

Der Kläger ist seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht nachgekommen, Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 19 696,54 Euro für von ihm beschäftigte Arbeitnehmer für die Monate Januar bis Juni 1995 bei Fälligkeit an die IKK H. - die damals zuständige Einzugsstelle, deren Rechtnachfolgerin die beigeladene IKK classic ist - zu zahlen (vgl §§ 28d, 28e, 28h Abs 1 S 1 SGB IV ). Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige - wie hier der Kläger - nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein - deutlich über der Verzinsung anderer Schulden liegender - Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen (§ 24 Abs 1 S 1 SGB IV ). Ferner kann die Einzugsstelle die mit der Beitreibung verbundenen Kosten und Gebühren geltend machen und die Gesamtforderung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Schuldner - hier dem Kläger - feststellen. Dies hat die Beigeladene zunächst mit Bescheid vom 5.11.2003 und zuletzt mit Bescheid vom 21.7.2010 getan, worin die bis dahin aufgelaufene Gesamtforderung mit 56 482,54 Euro festgestellt wurde. Eine solche, durch bestandskräftigen Verwaltungsakt festgestellte Forderung verjährt erst nach 30 Jahren (§ 52 Abs 2 SGB X ).

Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beitragsforderung - was wegen der Bestandskraft der genannten Bescheide ohnehin unbeachtlich wäre - bei Erlass dieser Bescheide weder verjährt noch verwirkt. Zwar verjähren Ansprüche auf Beiträge grundsätzlich in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs 1 S 1 SGB IV ). Allerdings beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, wenn die Beiträge - was hier naheliegt - vorsätzlich nicht gezahlt worden sind (§ 25 Abs 1 S 2 SGB IV ). Unabhängig davon ist die Verjährung aber schon deshalb nicht eingetreten, weil die Beitragsforderung bereits 1996 im Rahmen eines Einziehungsverfahrens nach Art 92 VO (EWG) 1408/71 (vgl hierzu Pabst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB I , 2. Aufl 2011, Art 84 VO (EG) 883/2004 RdNr 7 f) festgesetzt wurde. Eine entsprechende Zahlungsaufforderung wurde dem Kläger durch das Direktoratet for Social Sikring og Bistand zugestellt. Nach einer Mitteilung dieser Stelle an die IKK-H. vom 2.4.1996 hat der Kläger daraufhin "angerufen und mitgeteilt, dass er ausser Stande ist, die rückständigen Beiträge zu zahlen". Auch die späteren "Beitragsbescheide" vom 5.11.2003 und 29.6.2007 sind dem Kläger ausweislich der in den Akten befindlichen Rückscheine zugegangen. Anders als vom Kläger wiederholt behauptet, hat es die Beigeladene also keineswegs versäumt, ihre Forderung aufrechtzuerhalten und es trifft auch nicht zu, dass er erst nach 13 Jahren zum ersten Mal über die Forderung informiert wurde. Eine Verwirkung der Beitragsforderung, die der Kläger mit diesem Vortrag sinngemäß geltend macht, ist unter diesen Umständen ausgeschlossen.

Darüber hinaus war die Beigeladene berechtigt, die seit 1995 aufgelaufene Forderung nicht durch Beschreiten des Rechtswegs in Dänemark oder eine Vollstreckung durch die dortigen Behörden, sondern durch Verrechnung mit der von der Beklagten gezahlten Altersrente des Klägers einzuziehen. Zu diesem Verfahren sind (Sozial-)Leistungsträger - also auch Krankenkassen - nach § 52 SGB I berechtigt. Handelt es sich wie hier um Ansprüche auf nicht gezahlte Gesamtsozialversicherungsbeiträge, kann die Forderung über die normalen Pfändungsgrenzen (§ 54 Abs 2 und 4 SGB I ) hinaus bis zur Hälfte einer Leistung - hier der Altersrente des Klägers - verrechnet werden, wenn der Leistungsempfänger nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt ("Sozialhilfe") oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird (§ 52 iVm § 51 Abs 2 SGB I ). Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob im Fall des in Dänemark wohnenden Klägers die Verrechnung ausschließende Hilfebedürftigkeit nach deutschem oder nach dänischem Recht zu beurteilen ist. Denn der Kläger hat weder nachgewiesen, dass durch die vorgenommene Verrechnung sein verbleibendes Einkommen so gering ist, dass Ansprüche nach einem der deutschen Existenzsicherungssysteme, also nach dem SGB XII bzw SGB II , entstehen, noch hat er nachgewiesen, dass er wegen der Verrechnung einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dänischem Recht hat. Insoweit ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das SG im Rahmen seiner Ermittlungen zum dänischen Recht zu dem Schluss gekommen ist, dass kontanthjælp (nach dem konsolidierten Gesetz Nr 190 vom 24.2.2012 - om aktiv socialpolitik, heute konsolidiertes Gesetz Nr 468 vom 20.5.2016; abrufbar unter https://www.retsinformation.dk/Forms/r0710.aspx?id=188312, letzter Aufruf 13.10.2017; vergleichende Übersicht abrufbar unter http://www.missoc.org/MISSOC/INFORMATIONBASE/COMPARATIVETABLES/MISSOCDATABASE/comparativeTableSearch.jsp, letzter Aufruf am 13.10.2017) die den deutschen Grundsicherungsleistungen nach SGB XII und SGB II vergleichbare Mindestsicherung darstellt. Das vom Kläger für den im Rahmen einer (gedachten) Revision maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des LSG (11.3.2014) sowie zuvor im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mitgeteilte Einkommen liegt - auch bei Berücksichtigung der vorgenommenen Verrechnung mit der Altersrente und der später hinzugetretenen Verrechnung weiterer Forderungen mit der durch die Deutsche Rentenversicherung Nord gezahlten Witwerrente - weit über der Grenze einer Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII oder SGB II . Ebenso ist nicht erkennbar, dass der Kläger angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei Vornahme der Verrechnung Anspruch auf dänische kontanthjælp hätte, insbesondere hat er keine Nachweise über den Bezug dieser Leistung vorgelegt. Nach seinem im Laufe des Verfahrens mehrfach wiederholten Vortrag beruht seine schwierige wirtschaftliche Situation auch nicht so sehr auf einem geringen Gesamteinkommen, sondern auf einer erheblichen Belastung durch Zahlungsverpflichtungen aus Krediten seiner verstorbenen Frau sowie für sein Haus. Diese privaten Schulden schließen die vorgenommene Verrechnung jedoch nicht aus: Es gibt nämlich keinen (rechtlichen) Grund, warum die Beigeladene mit Rücksicht auf diese Schulden zulasten der Versichertengemeinschaft auf das Eintreiben der Beitragsschulden des Klägers verzichten sollte.

Da nach alledem die Bewilligung von PKH abzulehnen ist, entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts durch das Gericht (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 11.03.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 22 R 878/13
Vorinstanz: SG Berlin, vom 17.07.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 11 R 2967/11