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BSG - Entscheidung vom 29.09.2017

B 13 R 365/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 29.09.2017 - Aktenzeichen B 13 R 365/15 B

DRsp Nr. 2017/15338

Nichtzulassungsbeschwerde Mindestanforderungen an die Darlegung bzw. Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes Verständliche Sachverhaltsschilderung Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache

1. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw. Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen. 2. Ohne Sachverhaltswiedergabe kann das BSG weder beurteilen, ob die Entscheidung des LSG auf dessen vermeintlich verfahrensfehlerhaftem Verhalten beruht, noch prüfen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. 3. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG , wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 4. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Hessischen LSG vom 14.7.2015. Sie rügt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom 11.12.2015 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn die von der Klägerin geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) sind nicht formgerecht dargetan (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Die Klägerin hat bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt, nicht hinreichend mitgeteilt; ihren Schilderungen können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 12.6.2017 - B 13 R 144/17 B - Juris RdNr 9 mwN).

Ohne Sachverhaltswiedergabe kann das BSG weder beurteilen, ob die Entscheidung des LSG auf dessen vermeintlich verfahrensfehlerhaftem Verhalten beruht, noch prüfen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Dies gilt umso mehr, wenn es sich wie hier um einen sehr umfangreichen Lebenssachverhalt handelt. In einer solchen Situation ist zu erwarten, dass die Tatsachenfeststellungen, die für das LSG und aus Sicht der Beschwerde entscheidungserheblich sind, in einer geordneten Abhandlung und nicht, wie hier erfolgt, im Rahmen der Begründung fragmentarisch dargelegt werden sowie ohne den Hinweis, ob diese Darstellung der entspricht, die das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (vgl Senatsbeschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 214/16 B - Juris RdNr 6).

Unabhängig davon genügt die Beschwerdebegründung aber auch im Weiteren nicht den gesetzlichen Formerfordernissen der geltend gemachten Zulassungsgründe:

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - Juris RdNr 6 mwN). Diesen Darlegungsanforderungen an eine Grundsatzrüge wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin bezeichnet bereits keine hinreichend konkrete, aus sich heraus verständliche Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm (vgl § 162 SGG ). Die klare Formulierung einer solchen Rechtsfrage durch den Beschwerdeführer ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann. Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG , den Vortrag des Beschwerdeführers darauf zu analysieren, ob sich ihm evtl eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (stRspr, vgl zB Senatsbeschluss vom 14.2.2007 - B 13 R 477/06 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - Juris RdNr 7).

Selbst wenn man die Formulierung in der Beschwerdebegründung: "... welche Wirkungen eine Kindererziehung im Ausland einmal unter dem Gesichtspunkt der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung im Rahmen der Vorschrift des § 56 Abs. 3 SGB VI und zum anderen unter dem Aspekt der europarechtlichen Normen und der daraus folgenden Rechtsprechung zukommt" als eine abstrakte Rechtsfrage begreifen wollte, mangelt es an weiteren notwendigen Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Insoweit genügt es nicht lediglich vorzutragen, das Urteil des BSG vom 25.1.1994 ( 4 RA 3/93 - SozR 3-2600 § 56 Nr 6) sei "alt" und "überholt" und "letzte Station" der europäischen Rechtsprechung sei die Entscheidung des EuGH "Reichel-Albert" vom 19.7.2012 ( C-522/10). Vielmehr hätte im Einzelnen aufgezeigt werden müssen, dass und warum hieraus keine Antwort auf die oben wiedergegebene Frage gefunden werden kann sowie auch andere höchstrichterliche Rechtsprechung (zB Urteil des BSG vom 11.5.2011 - B 5 R 22/10 R - Juris) nicht zu ihrer Klärung beitragen könnte.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Soweit die Klägerin meint, das LSG habe verfahrensfehlerhaft gehandelt, weil es die Sache nicht dem "Europäischen Gerichtshof" vorgelegt habe, hat sie einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dargetan. Insbesondere hat sie einen Verstoß des LSG durch die Nichtvorlage der Sache gegen Art 267 Abs 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ( AEUV ) nicht schlüssig dargelegt. Eine Vorlagepflicht besteht hiernach lediglich für ein "einzelstaatliche(s) Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können"; zu den Rechtsmitteln im Sinne dieser Bestimmung zählt auch die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG (Senatsbeschluss vom 25.1.2012 - B 13 R 380/11 B - Juris RdNr 10 mwN). Unabhängig davon hat die Klägerin aber auch nicht aufgezeigt, welche konkreten Fragen über die Auslegung bzw die Gültigkeit welcher konkreten Norm welchen Unionsrechts sich ausgehend von der maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in dem Verfahren vor dem LSG entscheidungserheblich gestellt hätten.

Soweit die Klägerin im Übrigen rügt, das LSG hätte "die erweiternde Auslegung der §§ 56 und 57 SGB VI aufgrund der Jahrzehnte alten deutschen und nach (ihrer) Auffassung überholten Rechtsprechung neu bewerten und prüfen müssen und darüber hinaus auch im Rahmen der europäischen Normen, die das deutsche Recht überlagern" und das "insbesondere die Verordnung Nr. 883/2004 vom 29.04.2004" betreffe, wendet sie sich im Kern gegen die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils. Entsprechendes gilt für ihre pauschalen Behauptungen, das LSG hätte die "Grundsätze der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Falle Rechel-Albert" anwenden müssen, es habe den "Grundsatz der allgemeinen Freizügigkeit in Europa nicht ausreichend beachtet" und das Berufungsgericht habe "unzutreffend" (...) darauf abgestellt, dass die Klägerin Rentenansprüche nach niederländischem Recht erworben habe". Dass die Klägerin die Sachentscheidung des LSG für falsch hält, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Hierauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht gestützt werden. Denn sie bietet keinen Schutz gegen eine aus Sicht des Betroffenen "unrichtige" Rechtsanwendung (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 14.2.2007 - B 13 R 477/06 B - Juris RdNr 15; BVerfG [Kammer] Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 14.07.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 236/14
Vorinstanz: SG Darmstadt, vom 19.05.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 352/08