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BSG - Entscheidung vom 20.04.2017

B 3 KR 1/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB V § 33 Abs. 1 S. 1

BSG, Beschluss vom 20.04.2017 - Aktenzeichen B 3 KR 1/17 B

DRsp Nr. 2017/13548

Krankenversicherung Versorgung mit einem Liegedreirad Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens Grundsatzrüge

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Die Rechtsfrage muss der Klärung bedürfen, d.h. sie darf nicht geklärt sein; von einer Klärung ist im Regelfall auszugehen, wenn die Frage höchstrichterlich entschieden ist, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist oder sich ihre Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften ergibt und von vornherein praktisch außer Zweifel steht. 3. Menschen, die ihre Behinderung mit einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ausgleichen, können insoweit keinen Behinderungsausgleich von der GKV beanspruchen. 4. Der Gesetzgeber weist diese Gegenstände - wie bei Menschen, die keine Behinderung haben - auch dann der Eigenverantwortung zu, wenn ein Versicherter wegen seiner Behinderung auf diesen Gegenstand angewiesen ist.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB V § 33 Abs. 1 S. 1;

Gründe:

I

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 27.10.2016 einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit dem von ihm begehrten Liegedreirad abgelehnt, weil es sich dabei um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele, und solche Gebrauchsgegenstände nicht von der Leistungspflicht der Krankenkasse nach § 33 Abs 1 S 1 SGG V umfasst seien.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 1 Nr 1 SGG ) und macht Verfahrensmängel geltend (§ 160 Abs 1 Nr 3 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Der Kläger legt die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Verfahrensmängel nicht formgerecht dar (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 Abs 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam: "Können allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens (hier ein Liegefahrrad mit außerordentlicher Sitzhöhe), wie auch individuell angefertigte Konstruktionen, die den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommen, als Hilfsmittel der Sachleistungspflicht der GKV unterfallen?"

Der Kläger hat die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage indessen nicht dargelegt. Die Rechtsfrage muss der Klärung bedürfen, dh sie darf nicht geklärt sein. Von einer Klärung ist im Regelfall auszugehen, wenn die Frage höchstrichterlich entschieden ist, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist oder sich ihre Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften ergibt und von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 8, 8a mit weiteren zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Nach § 33 Abs 1 S 1 SGG V besteht Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln nur, "soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen" sind. Angesichts dieses klaren Gesetzeswortlautes hat der Kläger - auch vor dem Hintergrund der bisher hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung des BSG - keine Gründe vorgetragen, die Zweifel daran begründen könnten, dass allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens dennoch der Leistungspflicht der GKV unterfallen könnten. Er hat nicht vorgetragen, dass der Ausschluss allgemeiner Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der GKV umstritten sei oder dass die gesetzliche Vorschrift eine andere Auslegung zulassen könnte. Demgegenüber räumt er sogar selbst ein, wegen seiner Behinderung keine individuell angefertigte Konstruktion oder Zusatzausstattung an einem Liegedreirad zu benötigen. Auf die Frage, ob individuell angefertigte Konstruktionen, die den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommen, als Hilfsmittel der Sachleistungspflicht der GKV unterfallen, kommt es daher nicht an. Die vom Kläger zitierten Entscheidungen des BSG betreffen lediglich solche individuell angepassten Räder bzw Zusatzausstattungen für ein gewöhnliches Liegerad.

Nur am Rande sei daher darauf hingewiesen, dass Menschen, die ihre Behinderung mit einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ausgleichen können, insoweit eben keinen Behinderungsausgleich von der GKV beanspruchen können. Der Gesetzgeber weist diese Gegenstände - wie bei Menschen, die keine Behinderung haben - auch dann der Eigenverantwortung zu, wenn ein Versicherter wegen seiner Behinderung auf diesen Gegenstand angewiesen ist.

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Wird - wie vorliegend - sinngemäß ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrages, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Taten als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen könnte (zum Ganzen vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger ist der Auffassung, das LSG habe ermitteln müssen, inwiefern das beantragte Liegedreirad die Behinderung des Klägers ausgleicht. Es fehlt jedoch die Darlegung, aus welchem Grund sich das Berufungsgericht von seinem rechtlichen Standpunkt aus zur Einholung eines Gutachtens oder weiterer Ermittlungen in anderer Form hätte gedrängt sehen müssen. Angesichts des in § 33 Abs 1 S 1 SGB V ausdrücklich formulierten Leistungsausschlusses für Gegenstände des täglichen Lebens, auf den sich das Berufungsgericht bezieht, hätte es der Darlegung bedurft, aus welchem rechtlichen Grund es auf den Behinderungsausgleich durch das Liegedreirad gleichwohl ankommen könnte. Unabhängig davon bleibt auch unklar, inwieweit ein Ausgleich der Behinderung des Klägers mittels des beantragten Liegedreirads nicht bereits aus den vorliegenden Unterlagen hervorgeht und welches darüber hinausgehende oder davon abweichende Ergebnis durch eine weitere Beweisaufnahme zu erwarten wäre. Auch hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine Angaben. Es ist daher weder rechtlich noch tatsächlich nachvollziehbar, aus welchem Grund sich das LSG zu den vom Kläger angeregten Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen.

Schließlich legt der Kläger auch die Rüge des rechtlichen Gehörs nicht formgerecht dar. Sofern das Anschreiben, mit welchem dem Kläger die Ablichtung eines Sitzungsprotokolls und eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung zugesandt worden sind, für beide Schriftstücke jeweils ein falsches Datum enthalten sollte, wird nicht dargelegt, inwieweit nach Erlass der Entscheidung ein solcher (Gerichts-) Verwaltungsfehler noch Einfluss auf die Entscheidung gehabt haben könnte oder worin der Kläger die Verletzung seines Gehörs sieht. Gleiches gilt für die Darlegung des Klägers, er habe die Sitzungsniederschrift zum Erörterungstermin nicht erhalten.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 3 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 27.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 16 KR 59/15
Vorinstanz: SG Köln, vom 12.11.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 9 KR 351/13