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BGH - Entscheidung vom 16.02.2017

V ZB 137/16

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 16.02.2017 - Aktenzeichen V ZB 137/16

DRsp Nr. 2017/3912

Grundsätze der anwaltlichen Fristenkontrolle; Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; Zurechnung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung

Ein Rechtsanwalt hat alles ihm Zumutbare zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsschrift auch zu prüfen, dass die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Waldshut-Tiengen - 1. Zivilkammer - vom 27. Juli 2016 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 1.585 €.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Gegen das der Klägerin am 12. Mai 2016 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat sie am 13. Juni 2016, einem Montag, Berufung eingelegt. Diese hat sie mit Schriftsatz vom 13. Juli 2016 begründet und am gleichen Tag per Fax an das Landgericht übermittelt.

Die Klägerin hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass ihr Prozessbevollmächtigter das Ende der Berufungsbegründungsfrist am 12. Mai 2016 versehentlich auf den 13. Juli 2016 notiert habe. Er sei aufgrund eines besonderen Leidensdruckes unkonzentriert gewesen. Seine Lebensgefährtin habe am 11. Mai 2016 in der fünften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erlitten und sich am 12. Mai 2016 im Rahmen eines kurzzeitigen stationären Krankenhausaufenthalts einem Eingriff unterziehen müssen.

Das Landgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin treffe an der Versäumung der Frist ein Verschulden. Dass er nicht hinreichend konzentriert gewesen sei, habe seine Ursache nicht in einer Erkrankung, sondern in der Ablenkung durch private Sorgen. Dies reiche nicht aus, um ein Verschulden zu verneinen. Im Übrigen habe es ihm freigestanden, die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses zurückzustellen und auch die Fristen erst an einem der folgenden Tage zu notieren.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Sie ist zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ). Zulässig ist sie aber nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO ; vgl. auch Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rn. 8 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin jedenfalls im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

1. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt, weil sie sich ein eigenes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Dabei kann dahinstehen, ob dieser am 12. Mai 2016 einer besonderen seelischen Belastung ausgesetzt war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. Juni 1981 - I ZB 5/81, VersR 1981, 839; BFH/NV 2007, 244 ), die zu einer fehlerhaften Bestimmung der Frist zur Berufungsbegründung geführt hat. Mit dieser Begründung hat die Klägerin ein eigenes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ausgeräumt.

2. a) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Rechtsanwalt die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache nachprüfen muss, wenn ihm diese zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wenn sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen wollte. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsschrift auch zu prüfen, dass die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist (BGH, Beschluss vom 15. September 2015 - VI ZB 37/14, MDR 2015, 1383 Rn. 7; Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10; Beschlüsse vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183 f.; vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03, NJW-RR 2005, 498 , 499).

b) Hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei der Fertigung der Berufungsschrift am 13. Juni 2016 kontrolliert, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist, hätte er bemerkt, dass ihm am 12. Mai 2016 insoweit ein Fehler unterlaufen ist und diesen korrigieren können. Daher ist die Belastungssituation am 12. Mai 2016 für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ursächlich geworden.

3. Das Berufungsgericht war auch nicht gehalten, auf die nicht ausreichenden Gründe des Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen (§ 139 ZPO ). Eine Hinweispflicht besteht nur bezogen auf erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rn. 31 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Pflicht zur Prüfung der notierten Berufungsbegründungsfrist bei Vorlage der Handakten zur Fertigung der Berufungsschrift ist seit längerem anerkannt und muss einem Rechtsanwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch dazu keinerlei Angaben enthält, lässt dies den Schluss zu, dass eine solche Prüfung nicht stattgefunden hat.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO . Die Festsetzung des Gegenstandswerts findet seine Grundlage in § 3 ZPO .

Vorinstanz: AG Waldshut-Tiengen, vom 29.04.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 7 C 218/15
Vorinstanz: LG Waldshut-Tiengen, vom 27.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 S 24/16