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BGH - Entscheidung vom 03.11.2011

V ZB 169/11

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1
FamFG § 420 Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 03.11.2011 - Aktenzeichen V ZB 169/11

DRsp Nr. 2012/5253

Voraussetzungen für die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Haftanordung zur Sicherung der Abschiebung eines eritreischen Flüchtlings

Eine Haftanordnung entspricht nicht den Anforderungen des § 420 Abs. 1 S. 1 FamFG und verletzt den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn ihm der Haftantrag nicht spätestens zu Beginn der Anhörung ausgehändigt und zuvor erforderlichenfalls übersetzt wurde.

Tenor

Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt; ihm wird Rechtsanwalt Wassermann beigeordnet.

Auf die Rechtsmittel des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 25. Mai 2011 aufgehoben und festgestellt, dass die Haftanordnung in dem Beschluss des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 17. März 2001 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Märkischen Kreis auferlegt.

Der Gegenstandwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1; FamFG § 420 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, der im November 2008 schon einmal mit gefälschten Papieren unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist und zurückgeschoben worden war, wurde am 22. November 2010 erneut ohne gültige Papiere im Bundesgebiet angetroffen. Einen Asylantrag vom 14. Dezember 2010 wies das zuständige Bundesamt mit Bescheid vom 3. Januar 2011 als unzulässig zurück, weil der Antragsteller schon 2008 in Italien und 2009 in der Schweiz Asyl beantragt hatte. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Verwaltungsgericht und eine Petition an das Bundesministerium des Innern blieben ohne Erfolg. Der Beteiligte zu 2 plante die Abschiebung für den 21. März 2011 und buchte einen entsprechenden Flug. Zur Sicherung der Abschiebung hat er am 9. März 2011 Sicherungshaft für zwei Wochen beantragt, die das Amtsgericht nach Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 17. März 2011 angeordnet hat. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt, nach seiner Entlassung aus der Abschiebungshaft mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Abschiebungshaft festzustellen. Zu der Entlassung aus der Abschiebungshaft war es gekommen, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. März 2011 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Zurückweisung des Asylantrags wiederhergestellt hatte. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Anordnung der Sicherungshaft nicht zu beanstanden. Die in § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannten Haftgründe hätten vorgelegen.

III.

1. Die nach der Erledigung der Hauptsache auf Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG gerichtete Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 Abs. 1 und 2 FamFG). Sie ist auch begründet.

2. Das Amtsgericht hat den Betroffenen vor dem Erlass der Haftanordnung nicht in einer den Anforderungen des § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG entsprechenden Weise angehört und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es ihm den Haftantrag der beteiligten Behörde nicht hat aushändigen und übersetzen lassen.

a) Der Haftantrag muss dem Betroffenen zwar nicht immer vor dem Anhörungstermin ausgehändigt werden. In einfach gelagerten Sachverhalten kann es genügen, ihm diesen erst zu Beginn der Anhörung auszuhändigen (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 118/10, FGPrax 2011, 199 [Ls.] Rn. 20). Spätestens in diesem Zeitpunkt muss der Haftantrag der beteiligten Behörde dem Betroffenen aber (in Kopie) ausgehändigt und erforderlichenfalls übersetzt werden. Ihm kann ohne die Bekanntgabe des Antrags in dieser Form rechtliches Gehör nicht ausreichend und in einer den Anforderungen des § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG entsprechenden Weise gewährt werden. Denn es kann dann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257 , 258 Rn. 8).

b) Nach dem Inhalt des Anhörungsprotokolls ist dem Betroffenen eröffnet worden, dass der Beteiligte zu 2 beantragt hat, ihn in Abschiebungshaft zu nehmen. Daraus ergibt sich nicht, dass ihm der Haftantrag des Beteiligten zu 2, wie geboten, in Kopie ausgehändigt worden wäre. Die im Protokoll wiedergegebene Mitteilung des Gerichts ersetzt die Aushändigung nicht (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257 , 258 Rn. 6). Diese war auch nicht deshalb entbehrlich, weil dem Betroffenen nach dem Inhalt des Anhörungsprotokolls der Beschluss des Amtsgerichts im vorausgegangenen Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgehändigt und übersetzt worden ist. Dieser Beschluss entsprach zwar wörtlich dem Antrag des Beteiligten zu 2. Das genügt aber nicht. Der Betroffene wurde durch die Aushändigung einer Kopie des Gerichtsbeschlusses in die Lage versetzt, sich zu den Gesichtspunkten zu äußern, auf die das Gericht seine einstweilige Anordnung gestützt hat. Er konnte dem Beschluss indessen nicht entnehmen, dass er mit dem Antrag wörtlich übereinstimmt, und deshalb auch nicht erkennen, welche Haftdauer die beteiligte Behörde beantragt, auf welche Gesichtspunkte die beteiligte Behörde ihren Antrag gestützt und ob dieser den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, [...] Rn. 9).

3. Das Fehlen der ordnungsgemäßen Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht drückt der von ihm gleichwohl angeordneten Haft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 154 Rn. 16).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog und § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO , die Festsetzung des Gegenstandswerts aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO .

Vorinstanz: AG Lüdenscheid, vom 17.03.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 77 XIV 7/11
Vorinstanz: LG Hagen, vom 25.05.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 3 T 132/11