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BGH - Entscheidung vom 30.06.2011

IX ZR 35/10

Normen:
ZPO § 139 Abs. 4 S. 2

Fundstellen:
AnwBl 2012, 5
NJW-RR 2011, 1556
WM 2011, 1971

BGH, Beschluss vom 30.06.2011 - Aktenzeichen IX ZR 35/10

DRsp Nr. 2011/17155

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgrund fehlendem Hinweis auf die Darlegungs- und Beweislast des Klägers durch das Tatsachengericht

Lässt sich weder aus dem Verhandlungsprotokoll noch aus dem sonstigen Akteninhalt verlässlich erschließen, ob das Gericht der Vorinstanz einen ausreichenden Hinweis gemäß § 139 Abs. 4 S. 2 ZPO erteilt hat, kann das Berufungsgericht nicht ohne Weiteres davon ausgehen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. Januar 2010 zugelassen.

Das genannte Urteil wird im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die gegen den Beklagten zu 1 gerichtete Klage für unbegründet angesehen hat. In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die gesamten Kosten des Beschwerde- und Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerde- und Revisionsverfahrens wird auf 550.000 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 139 Abs. 4 S. 2;

Gründe

I.

Die Klägerin war Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich eine Bimssteinfertigungsanlage befand. Beides wollte sie verkaufen. Sie beauftragte den Beklagten zu 3 als Makler. Dem Beklagten zu 1, einem Rechtsanwalt, erteilte sie wenig später "Handlungsvollmacht sowie Verhandlungsvollmacht" mit der Einschränkung, dass "bei entsprechenden Kaufangeboten [...] Zustimmung nur in Absprache" mit der Klägerin erfolgen dürfe. Am 31. Januar 2006 veräußerte die Klägerin - vertreten durch den Beklagten zu 1 - die Anlage für 30.000 € an ein kasachisches Unternehmen, das der Beklagte zu 2 vertrat.

Die Klägerin macht geltend, der Beklagte zu 1 habe die Anlage ohne ihre Zustimmung zum Preis von 30.000 € verkauft, obwohl er den wesentlich höheren Wert der Anlage und die gleichfalls höhere Kaufpreisvorstellung der Klägerin gekannt habe. Alle drei Beklagten hätten kollusiv zusammengewirkt, um die Klägerin zu schädigen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme sei es überzeugt, dass das Landgericht die Klägerin darauf hingewiesen habe, sie sei nunmehr darlegungs- und beweispflichtig für ihre Behauptung, der Beklagte zu 1 habe den Kaufvertrag ohne ihre ausdrückliche Zustimmung abgeschlossen. Ihr im Berufungsrechtszug erstmals geltend gemachtes Vorbringen, sie sei am 31. Januar 2006 erst um 12.00 Uhr von einem Friseurtermin nach Hause gekommen, wo sie der Zeuge A. W. bereits erwartet habe, der bestätigen könne, das sie kein Telefongespräch mit dem Beklagten zu 1 geführt habe, werde gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO ). Sie richtet sich, wie aus der Beschwerdebegründung ersichtlich, nur noch gegen den Beklagten zu 1. Die im Hinblick auf die keine Beschränkung aufweisende Beschwerdeschrift sich zunächst auch gegen die Beklagten zu 2 und zu 3 richtende Beschwerde (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2006 - II ZB 5/05, NJW-RR 2006, 1569 Rn. 9; vom 9. September 2008 - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 Rn. 5; vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 11) hat die Klägerin, wie sich aus der nur mit dem Beklagten zu 1 befassenden Begründung der Beschwerdeschrift eindeutig ergibt, konkludent zurückgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2011 - IX ZR 207/08, Rn. 2, nv). Die gegen den Beklagten zu 1 gerichtete Beschwerde führt zur Zulassung der Revision sowie zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO ).

1.

Das Berufungsgericht hat mit der Zurückweisung des Beweisantritts der Klägerin deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Ihm war es verwehrt, zur Frage Beweis zu erheben, ob das Landgericht die Klägerin auf deren Darlegungs- und Beweislast hingewiesen hat.

a)

Nach der Vorschrift des § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO kann die Erteilung rechtlicher Hinweise nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Sofern diese die Erteilung eines Hinweises nicht hinreichend dokumentieren, gilt dieser als nicht erteilt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2005 - II ZR 366/03, NJW-RR 2005, 1518 ). Wie bereits die Begründung des Regierungsentwurfs zu dieser Vorschrift ausführt (BT-Drucks. 14/4722, S. 78), darf daher kein Beweis erhoben werden zur Frage, ob die Vorinstanz einen Hinweis erteilt hat (OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2004, 428, 429; Stein/Jonas/Leipold, ZPO , 22. Aufl., § 139 Rn. 105; Musielak/Stadler, ZPO , 8. Aufl., § 139 Rn. 28). Die vom Berufungsgericht aus der Vernehmung der Mitglieder des Prozessgerichts der ersten Instanz und der übrigen benannten Zeugen gewonnene Überzeugung, wonach das Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2008 den erforderlichen Hinweis erteilt habe, trägt daher die Zurückweisung des angeführten Beweisantritts im Berufungsverfahren nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht.

b)

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch nicht aus anderen Gründen richtig. Durch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2008, wonach die Kammer "die behauptete Pflichtverletzung, insbesondere im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislasten" erörtert habe, wird die Erteilung eines ausreichenden Hinweises nicht gemäß § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO durch den Akteninhalt nachgewiesen.

Das Gericht genügt seiner Hinweispflicht nicht, wenn es lediglich allgemeine oder pauschale Hinweise erteilt (BGH, Urteil vom 22. September 2005 - VII ZR 34/04, BGHZ 164, 167, 173). Ausnahmsweise kann ein bloßer Protokollvermerk über die Erörterung der Sach- und Rechtslage als Dokumentation des Hinweises auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit ausreichen, wenn sich die Erteilung eines solchen Hinweises auch aus dem anschließenden Schriftsatz einer Prozesspartei ergibt (BGH, Urteil vom 13. Juli 2005 - IV ZR 47/04, FamRZ 2005, 1555 , 1556). Vorliegend lässt sich weder aus dem angeführten Verhandlungsprotokoll noch aus dem sonstigen Akteninhalt verlässlich erschließen, das Landgericht habe einen ausreichenden Hinweis erteilt. Die protokollierte Erörterung der Darlegungs- und Beweislast belegt nicht, dass die Klägerin darauf hingewiesen wurde, nach dem nun erfolgten substantiierten Vortrag des Beklagten zu 1 habe nunmehr die Klägerin die von ihr behauptete negative Tatsache dazulegen und nachzuweisen. Auch ergeben sich aus der Akte keine weiteren Anzeichen dafür, dass das Landgericht hierauf hingewiesen hat.

2.

Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Dies ist dann anzunehmen, wenn nicht auszuschließen ist, das Gericht hätte bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden (BGH, Urteil vom 18. Juli 2003 - V ZR 187/02, WM 2004, 46 , 47). Hätte das Berufungsgericht den weiteren Sachvortrag und Beweisantritt der Klägerin im Berufungsrechtszug zugelassen, so hätte es sich möglicherweise im Rahmen der gebotenen Beweisaufnahme davon überzeugen können, dass die Klägerin die vom Beklagten zu 1 behauptete Zustimmung zu dem streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht erteilt hat (vgl. hierzu G. Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., Rn. 960).

Vorinstanz: LG Koblenz, vom 09.04.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 15 O 67/07
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 22.01.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 557/08
Fundstellen
AnwBl 2012, 5
NJW-RR 2011, 1556
WM 2011, 1971