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BGH - Entscheidung vom 30.06.2011

IX ZR 155/08

Normen:
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 133 Abs. 1
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 133 Abs. 1

Fundstellen:
BGHZ 190, 201
DB 2011, 1745
DZWiR 2011, 431
MDR 2011, 1204
NJW 2011, 2791
NZI 2011, 684
WM 2011, 1478
ZIP 2011, 1523

BGH, Urteil vom 30.06.2011 - Aktenzeichen IX ZR 155/08

DRsp Nr. 2011/13269

Anforderungen an den Umfang der Einholung von Informationen einer Behörde von anderen Behörden desselben Landes zur Tilgung einer Schuld des Landes im Wege der Aufrechnung; Folgen beim Unterbleiben der vollständigen Mitteilung aller bekannten rechtserheblichen Umstände

Holt eine Behörde von anderen Behörden desselben Landes Informationen ein, um eine Schuld des Landes im Wege der Aufrechnung tilgen zu können, müssen auch die Informationen verlangt und erteilt werden, die der Wirksamkeit einer Aufrechnung insolvenzrechtlich entgegenstehen können. Unterbleibt die vollständige Mitteilung aller bekannten rechtserheblichen Umstände, hat dies zur Folge, dass sich die handelnde Körperschaft auf die Unkenntnis solcher Umstände nicht berufen darf.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3 ; InsO § 133 Abs. 1 ;

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 27. Januar 2004 am 1. April 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH (fortan: Schuldnerin).

Die Schuldnerin befand sich im November 2002 mit ihren steuerlichen Verpflichtungen in Höhe von 1.642.273,54 € im Rückstand, weshalb das für die Umsatzsteuern zuständige Finanzamt eine Liquiditätsprüfung bei der Schuldnerin durchführte. Zur gleichen Zeit nahm die Schuldnerin an einer von dem Staatsbauamt W. durchgeführten Ausschreibung für die Durchführung von Rohbauarbeiten an einem dortigen Behördenzentrum teil, erklärte hierbei, ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Steuern und Abgaben nachgekommen zu sein, und erhielt am 3. Februar 2003 den Auftrag. Das Staatsbauamt verfügte zu diesem Zeitpunkt über keine Kenntnisse von der finanziellen Lage der Schuldnerin. Diese erbrachte bis zur Rohbauabnahme am 13. August 2003 die vertraglich vereinbarten Bauleistungen, für die sie fortlaufend Abschlagsrechnungen erteilte.

Die Zahlungsregulierung erfolgte über die Staatskasse beim Finanzamt D. . Nach Erhalt der ersten Abschlagsrechnung im April 2003 erfragte die Staatskasse bei den für die Beitreibung der von der Schuldnerin abzuführenden Lohn- und Umsatzsteuer zuständigen Finanzämtern rückständige Steuerforderungen und erklärte gegenüber der Werklohnforderung die Aufrechnung. Entsprechend verfuhr sie nach Erhalt der weiteren Abschlagsrechnungen. Auf diese Weise erklärte sie die Aufrechnung gegen Werklohnforderungen der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 1.000.000 €. Der Kläger verlangt Bezahlung der Werklohnforderungen, weil er die Aufrechnungen für insolvenzrechtlich unwirksam hält (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 , § 133 Abs. 1 InsO ).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er die geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen von § 96 Abs. 1 Nr. 3 , § 133 Abs. 1 InsO lägen nicht vor. Soweit das Werthaltigmachen von Forderungen für anfechtbar erachtet werde, beziehe sich diese Rechtsprechung nur auf die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen, die dem Gläubiger eine Sicherung im Sinne der hier aus zeitlichen Gründen nicht einschlägigen Vorschriften der §§ 130 , 131 InsO ermöglichten. Für die Anwendung von § 133 Abs. 1 InsO sei als maßgebliche Rechtshandlung ausschließlich der Abschluss des Werkvertrages anzusehen. Zu diesem Zeitpunkt habe das Staatsbauamt über keine Kenntnis von einer etwaigen Gläubigerbenachteiligungsabsicht der Schuldnerin verfügt.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

1.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Unwirksamkeit der Aufrechnung nur nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 , § 133 Abs. 1 InsO in Betracht kommt. Die für die Beurteilung der Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage maßgebliche Rechtshandlung ist aber nicht der Abschluss des Werkvertrages, sondern das Werthaltigwerden der Werklohnforderungen. Das Berufungsgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob der Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin Kenntnis erhielt, nach welchem die Schuldnerin noch Werkleistungen erbrachte.

a)

Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn der Insolvenzgläubiger diese Möglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Der für die Begründung der Aufrechnungslage maßgebliche Zeitpunkt ist nach § 140 Abs. 1 InsO zu bestimmen (BGH, Urteil vom 29. November 2007 - IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297 Rn. 12; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl., § 96 Rn. 35; Gero Fischer, WM 2008, 1 , 5). Entscheidend ist, wann das Gegenseitigkeitsverhältnis durch die Verknüpfung der beiden gegenseitigen Forderungen begründet worden ist (BGH, Urteil vom 29. November 2007 aaO; vom 26. Juni 2008 - IX ZR 47/05, WM 2008, 1442 Rn. 17). Dagegen ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Forderung des Schuldners oder die des Insolvenzgläubigers früher entstanden oder fällig geworden ist (BGH, Urteil vom 29. November 2007, aaO; vom 26. Juni 2008, aaO). Ist hingegen zumindest eine der gegenseitigen durch Rechtsgeschäft entstandenen Forderungen befristet oder von einer Bedingung abhängig, so kommt es für die Anfechtbarkeit des Erwerbs der Aufrechnungslage nach § 140 Abs. 3 InsO nicht darauf an, wann die Aufrechnung zulässig wurde, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die spätere Forderung entstand und damit das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet wurde (BGH, Urteil vom 29. Juni 2004 - IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388 , 395 f; vom 11. Februar 2010 - IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 13).

aa)

Bei einem Werkvertrag bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt nach § 140 Abs. 1 InsO , weil die Werklohnforderung nicht unter einer rechtsgeschäftlichen Bedingung steht (HK-InsO/Kayser, 5. Aufl., § 96 Rn. 55). Deshalb verlegt § 140 Abs. 3 InsO den Zeitpunkt nicht auf den Vertragsschluss zurück (HK-InsO/Kayser, aaO § 96 Rn. 55; Gero Fischer, aaO S. 6; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. November 2007, aaO Rn. 36 f).

bb)

Der Senat hat nach Erlass des Berufungsurteils in einem einen Fakturierungs- und Inkassovertrag betreffenden Fall entschieden, dass es für die Beurteilung der Anfechtbarkeit des Erwerbs der Aufrechnungslage nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO darauf ankommt, wann die Forderung des Schuldners durch Inanspruchnahme von dessen Leistungen werthaltig geworden ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2010, aaO). In jenem Fall hat der Senat für ausschlaggebend gehalten, dass allein eine mit Abschluss eines Vertrages entstandene Aufrechnungslage dem Gegner noch keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen bringt. Solange der Schuldner nichts geleistet hat, wofür der Gläubiger eine Vergütung schuldet, besteht für ihn keine Befriedigungsmöglichkeit im Wege der Aufrechnung (HK-InsO/Kreft, aaO § 129 Rn. 17; Gero Fischer, aaO).

Entsprechendes gilt für den Werkvertrag. Auch bei diesem verschafft erst die erbrachte Werkleistung dem Gegner die Möglichkeit, sich durch Aufrechnung zu befriedigen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, Realakte seien nur im Wege der Deckungsanfechtung anfechtbar, weil nur in den Vorschriften der §§ 130 , 131 InsO Sicherungs- und Ermöglichungshandlungen erwähnt seien, trifft nicht zu. Auch im Rahmen der Tatbestände der allgemeinen Insolvenzanfechtung können Realakte, also gewollte reine Tathandlungen, die rechtserheblich sind, der Anfechtung unterliegen, ohne dass es darauf ankommt, ob gerade der konkret eingetretene Rechtserfolg angestrebt war (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 129 Rn. 22; HK-Inso/Kreft, aaO § 129 Rn. 11 mwN).

b)

Das Berufungsgericht hat deshalb gemäß § 140 Abs. 1 InsO zu Unrecht den Abschluss des Werkvertrages für maßgeblich gehalten. Gleichwohl kommt nur eine Anwendung von § 96 Abs. 1 Nr. 3 , § 133 Abs. 1 InsO in Betracht. Alle Werklohnforderungen sind mit dem Abschluss der Rohbauarbeiten am 13. August 2003 und damit mehr als drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags werthaltig geworden. Unerheblich ist hingegen, ob die Staatskasse - wie die Revision hilfsweise geltend macht - wegen Beträgen von 52.000 € und 24.000 € die Aufrechnung selbst erst in der kritischen Zeit erklärt hat.

2.

Für die Kenntnis des Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin kann zudem nicht auf den Wissensstand des Staatsbauamtes abgestellt werden. Ab dem Zeitpunkt, in dem mehrere Behörden eines Rechtsträgers bei der Bezahlung einer Rechnung durch Aufrechnung zusammenwirken, ist die Kenntnis einer dieser Behörden von Umständen, die für die Wirksamkeit der Aufrechnung von Bedeutung sind, auch den anderen an der Aufrechnung beteiligten Behörden zuzurechnen. Ausreichend ist, dass danach eine der beteiligten Behörden die erforderliche Kenntnis von den Tatsachen hatte, bei deren Vorliegen die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet wird.

a)

Eine Kenntnis des Beklagten von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und der Gläubigerbenachteiligung kann allerdings nicht schon daraus gefolgert werden, dass er sich grundsätzlich das Wissen aller seiner Behörden zurechnen lassen müsste.

Im Grundsatz kommt es vielmehr auf das Wissen des jeweils zuständigen Bediensteten der zuständigen Behörde an (BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - VI ZR 306/95, BGHZ 134, 343 , 346; vom 28. November 2006 - VI ZR 196/05, NJW 2007, 834 Rn. 5; vom 15. März 2011 - VI ZR 162/10, VersR 2011, 682 Rn. 10 ff jeweils zur Kenntniszurechnung bei § 852 BGB aF; BFHE 143, 520 , 522; BFH, DStR 2011, 521 , zVb in BFHE 232, 5 Rn. 15; jeweils zum nachträglichen Bekanntwerden einer Tatsache im Sinne des § 173 AO ; BGH, Beschluss vom 29. Juni 2006 - IX ZR 167/04, nv, Rn. 3 bei [...]; vgl. auch BSGE 100, 215 Rn. 18). Im rechtsgeschäftlichen Verkehr darf sich eine organisationsbedingte "Wissensaufspaltung" zwar nicht zu Lasten des Geschäftspartners auswirken; dies gilt aber zunächst nur für die nach außen auftretende Organisationseinheit, also das Amt oder die Behörde (BGH, Urteil vom 24. Januar 1992 - V ZR 262/90, BGHZ 117, 104 , 108; vom 2. Februar 1996 - V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 , 36). Eine Wissenszurechnung zwischen verschiedenen Behörden ist danach von weiteren Voraussetzungen abhängig, auch wenn sie demselben Rechtsträger - hier dem Beklagten - angehören (vgl. BSGE 100, 215 Rn. 20; OLG Frankfurt, OLGR 2003, 178 f; Schleswig-Holsteinisches FG, EFG 2007, 89 , 91).

b)

Nach ständiger Rechtsprechung muss jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation sicherstellen, dass die ihr zugehenden rechtserheblichen Informationen von ihren Entscheidungsträgern zur Kenntnis genommen werden können, und es deshalb so einrichten, dass ihre Repräsentanten, die dazu berufen sind, im Rechtsverkehr bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen, die erkennbar erheblichen Informationen tatsächlich an die entscheidenden Personen weiterleiten (BGH, Urteil vom 12. November 1998 - IX ZR 145/98, BGHZ 140, 54 , 62; vom 15. Dezember 2005 - IX ZR 227/04, WM 2006, 194 , 195 f; vom 16. Juli 2009 - IX ZR 118/08, BGHZ 182, 85 Rn. 16; vom 15. April 2010 - IX ZR 62/09, WM 2010, 940 Rn. 11; so auch BSGE 100, 215 Rn. 19). Dies hat der erkennende Senat ausdrücklich für den Bankenbereich (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005, aaO) und für die Versicherungswirtschaft (BGH, Urteil vom 16. Juli 2009, aaO; vom 15. April 2010, aaO) entschieden.

Für andere am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen und damit auch für Behörden gilt nichts anderes (BSGE 100, 215 Rn. 19). Daraus folgt aber zunächst nur die Obliegenheit, die Organisationsstruktur so zu gestalten, dass die der Organisation tatsächlich zugegangenen Informationen, die mit den vorhandenen Entscheidungsgrundlagen in sachlichem Zusammenhang stehen, innerhalb dieser Organisation an die hiervon betroffenen Stellen weitergegeben werden (BGH, Urteil 15. Dezember 2005, aaO; vom 16. Juli 2009, aaO; vom 15. April 2010, aaO; BSGE 100, 215 Rn. 20). Eine Zurechnung des Wissens anderer Behörden kann dadurch nicht allgemein begründet werden. Die Zuständigkeitsgrenzen der Behörden sind grundsätzlich zu respektieren, weil anderenfalls in unzulässiger Weise in gesetzliche Zuständigkeitsregelungen eingegriffen würde (BGH, Urteil vom 4. Februar 1997, aaO S. 348 mwN).

c)

Nutzt demgegenüber eine Behörde bei ihrer Tätigkeit in Zusammenarbeit mit anderen Behörden gezielt deren Wissen zum Vorteil des gemeinsamen Rechtsträgers bei der Abwicklung eines konkreten Vertrages, besteht insoweit auch eine behördenübergreifende Pflicht, sich gegenseitig über alle hierfür relevanten Umstände zu informieren. Hinsichtlich der Abwicklung dieses Vertrages wird faktisch eine aufgabenbezogene neue Handlungs- und Informationseinheit gebildet; innerhalb dieser Einheit muss sichergestellt werden, dass alle bekannten oder zugehenden rechtserheblichen Informationen unverzüglich an die entscheidenden Personen der Handlungseinheit in den anderen Behörden weitergeleitet und von diesen zur Kenntnis genommen werden.

aa)

Im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren darf der Informationsaustausch im Interesse des Schutzes des Rechtsverkehrs und der Gläubigergleichbehandlung nicht in einer Weise vorgenommen werden, dass sich die letztlich nach außen handelnde Behörde von den bei den anderen beteiligten Behörden vorhandenen nachteiligen Informationen, etwa über die drohende Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners oder die durch eine Aufrechung eintretende Gläubigerbenachteiligung, abschottet und nur die für ihren Rechtsträger nützlichen Informationen, etwa über die Durchsetzbarkeit von Steueransprüchen im Wege der Aufrechnung, verlangt und erhält.

bb)

Der Senat hat institutionellen Gläubigern, die wie das Finanzamt oder die Sozialkasse im fiskalischen Allgemeininteresse oder im Interesse der Versichertengemeinschaft die Entwicklung eines krisenbehafteten Unternehmens zu verfolgen haben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2009 - IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 22), Beobachtungs- und Erkundigungspflichten auferlegt, die an besondere Umstände anknüpfen (BGH, Urteil vom 19. Juli 2001 - IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641 , 1642; vom 19. Februar 2009 - IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 , Rn. 21). § 133 Abs. 1 InsO setzt zwar, anders als § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO , Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners voraus; grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Ein institutioneller Großgläubiger wie der Beklagte darf sich aber der positiven Kenntnis nicht verschließen. Werden behördenübergreifende Handlungs- und Informationseinheiten gebildet, um Aufrechnungen zu ermöglichen, liegt darin ein besonderer Umstand, der eine Erkundigungs- und Informationspflicht über alle bekannten Tatsachen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Aufrechnung auslöst. Die objektive Verletzung dieser Pflicht hat zur Folge, dass sich die handelnde Körperschaft auf die Unkenntnis solcher Umstände nicht berufen darf, die bei einem ihrer Wissensvertreter vorhanden war.

cc)

Teilt der Fiskus die Abwicklung und Bezahlung eines Bauauftrages, bei dem er routinemäßig die Bezahlung -bei entsprechender Möglichkeit -durch Aufrechnung vornimmt, auf mehrere Behörden auf, macht er sich das Wissen der jeweils beteiligten anderen Behörden systematisch zunutze. Dann kann er sich andererseits nicht darauf berufen, dass eine Wissenszurechnung nicht stattfinden dürfe. Ab dem Zeitpunkt, ab dem er selbst von der Möglichkeit der Wissensbeschaffung bei anderen Behörden Gebrauch macht, hat er sich das gesamte rechtserhebliche Wissen der dadurch einbezogenen Behörden hinsichtlich des abgewickelten Vorgangs zurechnen zu lassen. Ab diesem Zeitpunkt ist auf das zugerechnete Gesamtwissen der beteiligten Behörden abzustellen.

Hat allerdings eine der beteiligten Behörden bereits zu einem früheren Zeitpunkt umfassende Kenntnis, etwa weil von vornherein, wie vom Kläger behauptet, vereinbart gewesen ist, dass vorhandene Steuerschulden eines Zahlungsunfähigen oder von der Zahlungsunfähigkeit bedrohten Schuldners durch Bauleistungen getilgt werden sollen, ist die Kenntnis allein dieser Behörde ausreichend.

Wurde demnach die Bezahlung des vom Staatsbauamt vergebenen Bauauftrages über eine zweite Behörde, hier die Staatskasse, abgewickelt und forscht diese Behörde bei weiteren Behörden (hier den Finanzämtern) nach Möglichkeiten, die Forderung durch Aufrechnung mit Steuer- oder Abgabeforderungen begleichen zu können, musste sie auch nach allen anderen für eine solche Aufrechnung relevanten Informationen fragen und mussten ihr diese Informationen mitgeteilt werden, auch diejenigen, die zur Unwirksamkeit einer Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO führen konnten. Wurden derartige vorhandene Informationen nicht übermittelt, müssen sich die Entscheidungsträger der am Aufrechnungsvorgang beteiligten Behörden so behandeln lassen, als hätten sie dieses Wissen abgefragt und erhalten. Dies gilt nach Ablauf der Zeit, die erforderlich gewesen wäre, um die erforderliche Kenntnis zu vermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2009 aaO Rn. 16).

3.

Hat eine dieser sachlich zuständigen Behörden im Allgemeinen vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin Kenntnis, genügt dies auch dann, wenn sie nicht von allen Einzelheiten weiß (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99, NJW-RR 2003, 837 , 842; vom 29. November 2007 - IX ZR 121/06, BGHZ 174, 314 Rn. 34; MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 133 Rn. 19; Bork in Kübler/Prütting/Bork, InsO , Stand 2010, § 133 Rn. 51; Gehrlein in Festschrift Ganter, 2010, S. 169, 186).

a)

Eine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners bei Werthaltigmachung der Bauforderungen setzt zumindest voraus, dass die Behörden einerseits Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin, andererseits Kenntnis von der Erbringung der Bauleistungen aufgrund Bauvertrages hatten. Die vorhandenen Kenntnisse bei den beteiligten Behörden sind jedenfalls mit der Vorlage der ersten Abschlagsrechnung und Ablauf der Frist für die erbetenen Auskünfte der angefragten Finanzämter insgesamt zu berücksichtigen, weil ab diesem Zeitpunkt die vorhandenen Kenntnisse entweder übermittelt worden waren, oder die vorhandenen Kenntnisse zugerechnet werden müssen.

b)

Nach ständiger Rechtsprechung kann die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer Aufrechnungslage eintritt, selbständig angefochten werden (zur KO bereits BGH, Urteil vom 5. April 2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 , 236; zur InsO Urteil vom 9. Juli 2009 - IX ZR 86/08, ZIP 2009, 1674 Rn. 30 ff; vom 22. Oktober 2009 - IX ZR 147/06, WM 2009, 2394 Rn. 11 ff mwN; Beschluss vom 17. Dezember 2009 - IX ZR 215/08, Rn. 3 nv; BFH, ZIP 2011, 181 Rn. 26 bis 29). Die objektive Gläubigerbenachteiligung liegt in der Möglichkeit der Befriedigung durch Aufrechnung (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009, aaO Rn. 25), weil sie den üblicherweise eintretenden Zufluss des Werklohns für die erbrachten Arbeiten an die haftende Masse ausschließt. Dies benachteiligt die anderen Gläubiger. Hierauf müssen sich dementsprechend der Vorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners beziehen.

c)

Ein eigener Benachteiligungsvorsatz des Anfechtungsgegners ist weder erforderlich noch ausreichend (BGH, Urteil vom 9. Januar 1997 - IX ZR 47/96, ZIP 1997, 423 , 427 zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO ; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 133 Rn. 19; Jaeger/Henckel, InsO , § 133 Rn. 47; HK-InsO/Kreft, aaO § 133 Rn. 21; Uhlenbruck/Hirte, InsO , 13. Aufl., § 133 Rn. 25).

Nicht erforderlich ist deshalb, dass sich der Insolvenzgläubiger bewusst zum Schuldner des Insolvenzschuldners gemacht hat, um sich eine Aufrechnungsmöglichkeit zu verschaffen, auch wenn der Abschluss von Rechtsgeschäften des Insolvenzgläubigers mit dem Schuldner zur Begründung von Passivforderungen der späteren Masse eine typische Fallgruppe des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO darstellt (vgl. HK-InsO/Kayser, aaO, § 96 Rn. 32). Aufrechnungslagen können auch ganz ohne Zutun des Gläubigers in anfechtbarer Weise entstehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - IX ZR 56/06, ZIP 2007, 1507 , Rn. 11 ff, 18; BFH, ZIP 2011, 181 Rn. 41).

III.

Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO . Der Senat kann nicht selbst abschließend entscheiden. Das Berufungsgericht hat noch keine Feststellungen zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung getroffen. Soweit es danach auf die bisher mit unzutreffenden Gründen verneinte Kenntnis des Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin ankommt, weist der Senat auf folgendes hin:

1.

Zumindest eine der zuständigen Behörden muss - gegebenenfalls bei Zurechnung des Wissens der anderen beteiligten Behörden - den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gekannt haben. Das erfordert die Kenntnis von der Wertschöpfung durch die Bauarbeiten, weil hierin die maßgebliche Rechtshandlung liegt, welche die Befriedigung tatsächlich erst ermöglichte. Das Berufungsgericht wird daher - neben den sonstigen Voraussetzungen - den Zeitpunkt festzustellen haben, zu dem die Behörden des Beklagten diese Kenntnis erlangt haben. Hierbei wird es dem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers nachzugehen haben, wonach es bereits vor Beginn der Bauarbeiten zu einer Absprache zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten gekommen ist, die fälligen Werklohnforderungen durch eine Aufrechnung mit bestehenden Steuerforderungen zum Erlöschen zu bringen.

2.

Sollte sich eine solche Absprache nicht feststellen lassen, war diese Kenntnis mit Ablauf der ersten Anfragefrist der Staatskasse an die zuständigen Finanzämter nach Aufrechnungsmöglichkeiten gegeben. Schon aus dem Umstand, dass es sich um eine Abschlagsrechnung handelte, war zu entnehmen, dass weiter Bauleistungen erbracht werden würden. Lagen zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vor, wird die Kenntnis des Beklagten vermutet. Ausreichend hierfür ist, dass in diesem Zeitpunkt eine der beteiligten Behörden, vornehmlich die Finanzämter, von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wussten. Waren dem Anfechtungsgegner Umstände bekannt, die zwingend auf die drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten, greift § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ebenfalls ein. Von einem Gläubiger, dem solche Umstände bekannt sind, ist - widerleglich - zu vermuten, dass er auch die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Benachteiligung der Gläubiger kennt (BGH, Urteil vom

17. Februar 2004 - IX ZR 318/01, ZIP 2004, 669 , 671; vgl. auch Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 , 86).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 30. Juni 2011

Vorinstanz: LG Frankfurt am Main, vom 21.03.2007 - Vorinstanzaktenzeichen O 63/06
Vorinstanz: OLG Frankfurt am Main, vom 15.07.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 10 U 80/07
Fundstellen
BGHZ 190, 201
DB 2011, 1745
DZWiR 2011, 431
MDR 2011, 1204
NJW 2011, 2791
NZI 2011, 684
WM 2011, 1478
ZIP 2011, 1523