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BGH - Entscheidung vom 19.05.2010

IV ZR 14/08

Normen:
ZPO § 189
ZPO § 189
ZPO § 317 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
MDR 2010, 885
VersR 2010, 1520
r+s 2011, 358
r+s 2011, 540

BGH, Urteil vom 19.05.2010 - Aktenzeichen IV ZR 14/08

DRsp Nr. 2010/11023

Heilung eines Zustellungsmangels bei Zustellung eines von Amts wegen förmlich zuzustellenden Dokuments im Parteibetrieb

ZPO § 189 Eine Heilung eines Zustellungsmangels nach § 189 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn ein von Amts wegen förmlich zuzustellendes Dokument im Parteibetrieb zugestellt wird.

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Augsburg vom 19. Dezember 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

ZPO § 189 ; ZPO § 317 Abs. 1 S. 1;

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten, ihrer Mutter, im Wege der Stufenklage Auskunft über den Bestand des Nachlasses ihres Großvaters und einen Vorschuss auf den Pflichtteil.

Die Beklagte ist durch Teil-Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren verurteilt worden, an die Klägerin 85.000 € nebst Zinsen und Nebenkosten zu zahlen, Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu geben sowie ein Sachverständigengutachten über den Wert des Grundbesitzes des Erblassers vorzulegen.

Eine vom Landgericht angeordnete Zustellung des Versäumnisurteils an die Beklagte schlug am 27. März 2006 fehl. An diesem Tag wurde nur der Klägerin das Versäumnisurteil zugestellt. Der von der Klägerin beauftragte Gerichtsvollzieher stellte der Beklagten am 19. April 2006 eine beglaubigte Kopie des Versäumnisurteils zu. Am 15. Mai 2006 wurde der Beklagten eine Ausfertigung des Versäumnisurteils von Amts wegen zugestellt. Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil ging am 29. Mai 2006 bei dem Landgericht ein.

Das Landgericht hat auf den Einspruch das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht fristgerecht Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt. Die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO sei verstrichen gewesen, als der Einspruch am 29. Mai 2006 eingegangen sei. Das Versäumnisurteil gelte gemäß § 189 ZPO als am 10. Mai 2006 zugestellt, weil die Beklagte unstreitig spätestens zu diesem Zeitpunkt die ihr durch den Gerichtsvollzieher zugestellte beglaubigte Kopie des Versäumnisurteils in Händen gehabt habe. Grundsätzlich sei zwar ein Versäumnisurteil von Amts wegen zuzustellen. Die fehlerhafte Zustellung sei aber nach § 189 ZPO dadurch geheilt worden, dass das Versäumnisurteil der Beklagten tatsächlich zugegangen sei. § 189 ZPO sei auch dann anwendbar, wenn - wie hier - ein Dokument im Partei- statt im Amtsbetrieb zugestellt worden sei.

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1.

Das Berufungsgericht hat den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Einspruch ging am 29. Mai 2006 fristgerecht bei dem Landgericht ein.

a)

Die Einspruchsfrist beträgt gemäß § 339 Abs. 1 ZPO zwei Wochen und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils, die nach § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgeschrieben ist. Im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ergangene Versäumnisurteile sind an Verkündungs statt zuzustellen (§ 310 Abs. 3 ZPO ) und werden erst durch die Zustellung an beide Parteien existent, so dass die Einspruchsfrist erst mit der letzten der von Amts wegen zu bewirkenden Zustellungen in Lauf gesetzt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1994 - XII ZB 90/94 -NJW 1994, 3359 unter II a m.w.N.; Zöller/Herget, ZPO 28. Aufl. § 339 Rdn. 4).

Da der Klägerin das Versäumnisurteil zuerst zugestellt wurde, kommt es auf den Zeitpunkt der Zustellung an die Beklagte an. Maßgeblich für den Beginn der Einspruchsfrist ist die Amtszustellung des Versäumnisurteils an die Beklagte am 15. Mai 2006. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts begann die Einspruchsfrist nicht spätestens am 10. Mai 2006, als der Beklagten die ihr durch den Gerichtsvollzieher zugestellte beglaubigte Kopie des Versäumnisurteils tatsächlich zugegangen war.

b)

Die vorgeschriebene Amtszustellung kann nicht gemäß § 189 ZPO dadurch ersetzt werden, dass das Dokument im Parteibetrieb zugestellt wird und dem Zustellungsadressaten tatsächlich zugeht. Nach dieser Vorschrift gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

aa)

Zu der Frage, ob § 189 ZPO auch dann Anwendung findet, wenn ein förmliches Dokument, das von Amts wegen zugestellt werden muss, im Parteibetrieb zugestellt wird, werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten.

(1)

Eine Meinung hält diese Vorschrift auch dann für anwendbar, wenn einer Partei ein von Amts wegen förmlich zuzustellendes Dokument im Wege der Parteizustellung tatsächlich zugegangen ist oder wenn ein im Parteibetrieb zuzustellendes Dokument von Amts wegen zugestellt wird (OLG Celle OLGR 2000, 332, 333 f. zur Anwendbarkeit des § 187 ZPO a.F. bei Amtszustellung statt Parteizustellung einer einstweiligen Verfügung; OLG Hamm NJW 1955, 873, 874 zur Heilung nach § 187 ZPO a.F. bei Parteizustellung einer Streitverkündungsschrift; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 68. Aufl. § 189 Rdn. 6 Stichwort "Amtszustellung"; HK-ZPO/Eichele § 189 Rdn. 4; MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl. § 189 Rdn. 6; Musielak/Wolst, ZPO 7. Aufl. § 189 Rdn. 2; Roth in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 189 Rdn. 14; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 189 Rdn. 11).

(2)

Nach anderer Ansicht können Verstöße gegen die Art der Zustellung gemäß § 189 ZPO nicht geheilt werden (OLG München MDR 1998, 1243, 1244; PG/Kessen, ZPO 2. Aufl. § 189 Rdn. 5; Zöller/Stöber aaO § 189 Rdn. 3, anders noch in der 25. Aufl. § 189 Rdn. 6).

bb)

Der Senat teilt die zuletzt genannte Auffassung.

(1)

Dem Wortlaut des § 189 ZPO ist zwar nicht unmittelbar zu entnehmen, dass eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften nicht auch in der Wahl der falschen Zustellungsart liegen kann, zumal gemäß § 191 ZPO die Vorschriften über die Zustellung von Amts wegen auf die Zustellung im Parteibetrieb entsprechende Anwendung finden. Allerdings spricht der Zweck des § 189 ZPO dagegen, ihn auch bei Wahl der falschen Zustellungsart anzuwenden. Die Heilung von Mängeln, die bei der Ausführung der Zustellung unterlaufen sind, soll nach dem Willen des Gesetzgebers von Gesetzes wegen eintreten, wenn der Zustellungszweck erreicht ist (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren [Zustellungsreformgesetz - ZustRG] - BT-Drucks. 14/4554 S. 24 re. Sp. unten). Damit soll im Interesse der Rechtssicherheit wie auch der Prozesswirtschaftlichkeit der Nachweis der Tatsache und des Zeitpunkts des Zugangs sichergestellt werden (vgl. BGHZ 130, 71 , 74; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann aaO Rdn. 2), wobei der Formalismus bei der Zustellung in Grenzen gehalten werden soll (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO m.w.N.).

Die danach gebotene weite Auslegung des § 189 ZPO darf aber nicht dazu führen, dass ein vollständiges Außerachtlassen des vorgeschriebenen förmlichen Zustellungsverfahrens als unschädlich angesehen wird, wenn nur das Dokument dem Empfänger irgendwie zugeht. Diese Einschränkung findet sich im Wortlaut des § 189 ZPO mittelbar wieder, soweit das Dokument "der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte", zugegangen sein muss. Daraus folgt, dass eine förmliche Zustellung wenigstens angestrebt worden sein muss (MünchKomm/Häublein aaO Rdn. 1). Auch der Gesetzgeber hat vorausgesetzt, dass das zuzustellende Schriftstück tatsächlich zugestellt werden sollte, und einen entsprechenden Zustellungswillen hervorgehoben (BT-Drucks. 14/4554 aaO). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in den bisher zu § 189 ZPO n.F. ebenso wie in den zu § 187 ZPO a.F. ergangenen Entscheidungen gefordert, dass das Gericht mit Zustellungswillen gehandelt haben muss (BGHZ 7, 268, 270; BGH, Beschlüsse vom 26. November 2002 - VI ZB 41/02 - NJW 2003, 1192 unter II 1 c m.w.N.; vom 4. November 1992 - XII ZB 130/92 -FamRZ 1993, 309 unter II; Urteil vom 16. Oktober 1956 -VI ZR 174/55 -NJW 1956, 1878, 1879). Eine solche Zustellungsabsicht des für die Zustellung von Amts wegen zuständigen Organs, grundsätzlich des Richters (§ 270 Abs. 1 Satz 1 ZPO ), fehlt bei einer Zustellung im Parteibetrieb (PG/Kessen aaO; Zöller/Stöber aaO). Der Wille zur Zustellung muss sich auf die - zwar mit Mängeln behaftete, aber durchgeführte - Zustellung beziehen; es genügt nicht, dass der Zugang des Dokuments letztendlich dem früher, etwa bei einem fehlgeschlagenen Zustellversuch, zum Ausdruck gekommenen Willen des zuständigen Organs entspricht.

(2)

Die Zustellungsabsicht des zuständigen Gerichts ist von besonderer Bedeutung, wenn - wie hier - mit der Zustellung eine Notfrist in Gang gesetzt wird. Nach § 187 Satz 2 ZPO a.F. konnte grundsätzlich keine Heilung von Zustellungsmängeln eintreten, soweit durch die Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden sollte. Nunmehr eröffnet § 189 ZPO auch für diese Fälle die Möglichkeit einer Heilung (BT-Drucks. aaO S. 25 li. Sp. oben). Das entbindet aber nicht vom Erfordernis des Zustellungswillens, weil der Zustellungsadressat wegen der besonderen Bedeutung der Notfrist und der damit für ihn verbundenen Rechtsfolgen nur dann mit einer Heilung eines Zustellungsmangels rechnen muss, wenn er davon ausgehen kann, dass das Gericht ihm das zuzustellende Schriftstück tatsächlich zustellen wollte. Die vom Berufungsgericht angenommene Zustellungsabsicht der Klägerin kann die des Gerichts nicht ersetzen.

2.

Da das Berufungsgericht tatsächliche Feststellungen zur Begründetheit der Klage nicht getroffen hat, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif und an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 19. Mai 2010

Vorinstanz: LG Augsburg, vom 15.06.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 477/06
Vorinstanz: OLG München, vom 19.12.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 27 U 419/07
Fundstellen
MDR 2010, 885
VersR 2010, 1520
r+s 2011, 358
r+s 2011, 540