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BGH - Entscheidung vom 13.01.2009

VIII ZB 29/07

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 574 Abs. 2
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b

BGH, Beschluss vom 13.01.2009 - Aktenzeichen VIII ZB 29/07

DRsp Nr. 2009/2985

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist durch Einlegung bei einem funktional unzuständigen Gericht

1. Wird in einem Fall mit Auslandsberührung die Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts entgegen § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG bei dem funktional unzuständigen Landgericht eingelegt, so kann die betreffende Partei nicht erwarten, dass ein Geschäftsstellenbeamter in Kenntnis der Unzuständigkeit des Landgerichts die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht weiterleitet. 2. § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG ist nicht im Wege einer "gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung" verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Frist zur Einlegung der Berufung in den betreffenden Fällen auch durch Eingang der Berufungsschrift beim Landgericht gewahrt wird.

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. Februar 2007 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Beschwerdewert: 4.179,03 EUR.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 233 ; ZPO § 574 Abs. 2 ; GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b;

Gründe:

Der Kläger begehrt von dem in Österreich ansässigen Beklagten für die Lieferung und Reinigung von Teppichen die Zahlung eines Restbetrages von 4.179,03 EUR nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10. Juli 2006 zugestellt worden. Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 28. Juli 2006 beim Landgericht Berufung eingelegt und diese am 11. September 2006, einem Montag, begründet. Am 13. September 2006 hat die Geschäftsstelle des Landgerichts die Sache erstmals dem Kammervorsitzenden vorgelegt. Dieser hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom gleichen Tag, zugegangen am 15. September 2006, darauf hingewiesen, dass das Landgericht nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht zuständig sei. Daraufhin hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 28. September 2006 beim Oberlandesgericht Berufung eingelegt, diese begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt sowie am 12. Oktober 2006 die beim Landgericht eingelegte Berufung zurückgenommen. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

1.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Dem Kläger sei die begehrte Wiedereinsetzung zu versagen (§ 233 ZPO ). Er sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt habe sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden dem seinen gleichstehe (§ 85 Abs. 2 ZPO ), die Berufung bei dem auf Grund des erstinstanzlichen Auslandsbezugs funktionell zuständigen Oberlandesgericht (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ) einzulegen vermocht. Zwar könne im Einzelfall aus dem Gebot eines fairen Verfahrens und der gerichtlichen Fürsorgepflicht folgen, dass ein Gericht gehalten sei, fristgebundene Schriftsätze an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten, so dass ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten an einer Fristversäumung sich nicht auswirke. Die fristgerechte Weiterleitung der beim Landgericht am 28. Juli 2006 eingegangenen Berufungsschrift habe aber nicht ohne weiteres erwartet werden können. Weder sei das Landgericht zuvor mit dem Verfahren befasst gewesen, noch habe es sich um eine leicht und einwandfrei als fehlgeleitet erkennbare Rechtsmittelschrift gehandelt. Zudem könne in Fällen mit Auslandsberührung auch durch einen rechtskundigen Richter eine abschließende Beurteilung der Zuständigkeit erst nach Eingang der Berufungsbegründung oder der Akten des Amtsgerichts erfolgen. Es sei daher nicht zu erwarten gewesen, dass schon die Geschäftsstelle eine solche Beurteilung anstelle. Die Versagung der Wiedereinsetzung habe die Verwerfung der Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist zur Folge (§ 522 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO ).

2.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zwar statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ) und auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 575 ZPO ). Sie ist jedoch unzulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO ).

a)

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Rechtsbeschwerde nicht wegen Divergenz zu der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Richtig ist zwar, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLGR 2004, 307, 309 = MDR 2004, 830, 831) in einem vergleichbaren Fall anders als das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, auch ein vorher nicht mit der Sache befasstes Landgericht sei zur Weiterleitung einer ihm unzuständigerweise zugegangenen Berufungsschrift an das zuständige Oberlandesgericht im ordentlichen Geschäftsgang verpflichtet. Auf diese vom Bundesverfassungsgericht (NJW 2001, 1343 ) und dem Senat (Beschluss vom 5. Oktober 2005 - VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 , unter III 2 b bb) bislang offen gelassene Frage kommt es jedoch auch hier nicht an. Nach der vom Bundesverfassungsgericht (NJW 2006, 1579 , 1580) gebilligten Senatsrechtsprechung (aaO) kann die Kenntnis der besonderen funktionalen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG bei einem Geschäftsstellenbeamten nicht vorausgesetzt und deswegen die Weiterleitung der Berufungsschrift an das zuständige Gericht allenfalls erst nach Vorlage an den Richter erwartet werden. Weiter ist es danach nicht zu beanstanden, wenn die Akten dem Kammervorsitzenden wie hier erstmals nach Eingang der Berufungsbegründung vorgelegt werden. Da zu diesem Zeitpunkt die Berufungsfrist im Streitfall bereits abgelaufen war, hat das Oberlandesgericht zu Recht angenommen, dass der Kläger eine Weiterleitung der Berufungsschrift durch das Landgericht nicht erwarten konnte und dass deswegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ausscheidet.

b)

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Rechtsbeschwerde auch nicht zur Rechtsfortbildung wegen der Frage zulässig, ob § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG im Wege einer "gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung" verfassungskonform dahin auszulegen ist, dass die Frist zur Einlegung der Berufung in den betreffenden Fällen auch durch Eingang der Berufungsschrift beim Landgericht gewahrt wird. Diese Frage stellt sich im Streitfall schon deswegen nicht, weil der Kläger die innerhalb der Berufungsfrist beim Landgericht eingelegte Berufung zurückgenommen hat. Sie stellt sich auch nicht insofern, als der Kläger seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht nunmehr erstmals damit begründet, er habe die fristgerecht beim Landgericht eingelegte Berufung zurückgenommen, weil er die Möglichkeit, § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG im oben dargestellten Sinne auszulegen, verkannt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann einer Partei, die die rechtzeitig eingelegte Berufung zurücknimmt, für die erneute, nunmehr verspätet eingelegte Berufung nicht deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil die Zurücknahme des Rechtsmittels auf einem - auch unverschuldeten - Irrtum beruhte (Beschluss vom 16. Mai 1991 - III ZB 1/91, NJW 1991, 2839 , unter 3;Beschluss vom 30. Mai 2007 - XII ZB 82/06, NJW 2007, 3640 , Tz. 15). Dass der vom Kläger behauptete Rechtsirrtum gegebenenfalls durch das Landgericht verursacht worden sei, macht der Kläger selbst nicht geltend.

c)

Sonstige Gründe für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Übrigen wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO von einer Begründung abgesehen.

Vorinstanz: OLG Frankfurt am Main, vom 23.02.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 233/06
Vorinstanz: AG Frankfurt am Main, vom 27.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 384 C 227/06