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BGH - Entscheidung vom 12.06.2007

VI ZB 76/06

Normen:
ZPO § 520 Abs. 2 § 233

BGH, Beschluß vom 12.06.2007 - Aktenzeichen VI ZB 76/06

DRsp Nr. 2007/11519

Anforderungen an die Büroorganisation eines Rechtsanwalts hinsichtlich der Durchführung von Einzelanweisungen

1. Ein Rechtsanwalt kann einfach zu erledigende Aufgaben wie etwa die Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax seinem Personal überlassen.2. Eine Kontrolle der Durchführung von Einzelanweisungen ist nicht erforderlich. Insbesondere muss der Rechtsanwalt sich nicht den Sendebericht zur Kontrolle vorlegen lassen.3. In einer Anwaltskanzlei müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine mündliche Einzelanweisung an eine Fachangestellte in Vergessenheit gerät. Es gibt jedoch keine wirksamen und zumutbaren organisatorischen Maßnahmen dagegen, dass ein Mitarbeiter in der falschen Überzeugung, den Schriftsatz der Telefax übermittelt und den Sendebericht geprüft zu haben, die Frist streicht und dem Anwalt sodann mitteilt, die Anweisung sei ausgeführt.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 2 § 233 ;

Gründe:

I. Die Klägerin hat gegen ein Urteil des Amtsgerichts durch ihre Prozessbevollmächtigten Berufung einlegen lassen. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 14. August 2006 ab. Am 16. August 2006 ist eine Berufungsbegründungsschrift beim Berufungsgericht eingegangen. Den Antrag der Klägerin, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen, die Berufung hat es als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen hat (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ).

Die Rechtsbeschwerde ist auch zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ). Das Berufungsgericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323 , 326 ff.; 41, 332, 334 ff.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; NJW 2001, 2161 , 2162; BGHZ 151, 221 , 227).

2. Der angefochtene Beschluss begegnet schon deshalb Bedenken, weil er keine Darstellung des Sachverhalts sowie der Anträge der Parteien enthält. Es handelt sich um einen Beschluss, der von Gesetzes wegen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden kann (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ). Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den gesetzmäßigen Gründen versehen (Senatsbeschluss vom 20. Juni 2006 - VI ZB 75/05 - VersR 2006, 1423 , 1424; BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01 - VersR 2003, 926 ; vom 12. Juli 2004 - II ZB 3/03 - NJW-RR 2005, 78 ; vom 7. April 2005 - IX ZB 63/03 - BGH-Report 2005, 1000). Das Fehlen einer Sachdarstellung kann hier nur deshalb hingenommen werden, weil sich die prozessualen Vorgänge, auf die es hier alleine ankommt, mit noch ausreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen und den dort in Bezug genommenen Aktenteilen ergibt.

3. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin mit rechtsfehlerhafter Begründung zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin demnach zu Unrecht als unzulässig verworfen. Nach den bisherigen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt hat, weil der verspätete Eingang der Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten beruht, das sie sich nach § 85 Abs. 2 ZPO anrechnen lassen muss.

a) Nach dem Vortrag der Klägerin kam die zuverlässige Mitarbeiterin ihrer Prozessbevollmächtigten aus nicht mehr aufklärbaren Gründen der ihr ausdrücklich erteilten Anweisung nicht nach, die Berufungsbegründung am 11. August 2006 per Telefax an das Berufungsgericht zu senden, bestätigte der Prozessbevollmächtigten aber gleichwohl mündlich, dies getan zu haben. Das Berufungsgericht hält diesen Vortrag, der durch eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiterin bestätigt wird, nicht für glaubhaft, weil sich auf der am 16. August 2006 eingegangenen Berufungsbegründung nicht der Vermerk "vorab per Telefax ..." befinde. Den weiteren Vortrag, dieser Vermerk, der sich auf dem zum Faxversand vorgesehenen Exemplar der Berufungsbegründung befunden habe, sei in der später zum Versand ausgedruckten Version gelöscht worden, hält es deshalb für unglaubhaft, weil der Vermerk auf anderen in der Akte befindlichen Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten, die vorab per Fax übersandt wurden, nicht gelöscht ist. Mit dieser Begründung kann die Wiedereinsetzung indes nicht verweigert werden.

b) Trifft der vorgetragene Sachverhalt zu, so kann die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren sein, weil der seit neun Jahren tätigen zuverlässigen Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten bei der Ausführung der ihr erteilten Einzelanweisung, die Berufungsbegründung vorab per Fax zu übersenden, ein einmaliges Versehen unterlaufen ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dies kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten begründet. Insbesondere kann der Anwalt die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung seinem Personal überlassen (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - VersR 2003, 1462 f.; BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 - VIII ZR 12/95 - VersR 1996, 910 , 911; Beschlüsse vom 14. Juli 1994 - VII ZB 7/94 - VersR 1995, 238, 239; vom 12. April 1995 - XII ZB 38/95 - FamRZ 1995, 1135 f.; vom 18. Februar 1998 - VIII ZB 1/98 - NJW-RR 1998, 932 ; vom 27. Februar 2002 - I ZB 23/01 - NJW-RR 2002, 1070 , 1071; vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01 - NJW-RR 2002, 1289 f.; vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - NJW 2004, 367 , 368). Eine Kontrolle der Durchführung der Einzelanweisung war nicht erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - VersR 2005, 94 , 95 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 18. Februar 1998 - VIII ZB 1/98 - aaO.), ist hier indes nach dem Vortrag der Klägerin durch konkrete Rückfrage erfolgt (zu diesem Fall vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01 - aaO.). Den Sendebericht musste sich die Prozessbevollmächtigte nicht zur Kontrolle vorlegen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 1999 - IV ZB 18/99 - VersR 2000, 338 f.).

c) Allerdings weist die Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hin, dass Einzelanweisungen nicht immer geeignete organisatorische Anweisungen entbehrlich machen. In einer Anwaltskanzlei müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine mündliche Einzelanweisung an eine Fachangestellte in Vergessenheit gerät (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - aaO.). Jedoch ist nicht erkennbar, durch welche organisatorischen Maßnahmen ein Fehler, wie er hier vorgetragen ist, verhindert werden sollte. Aus den eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterin ergibt sich, dass nach Erledigung des Faxvorgangs der Sendebericht zu kontrollieren und abzuheften und die Frist erst dann zu streichen ist. Damit ist dem Gebot einer wirksamen Kontrolle des Schriftverkehrs per Telefax Genüge getan (vgl. dazu etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 3/91 - VersR 1992, 638 ; vom 27. Januar 1993 - IV ZB 15/92 - RuS 1993, 237 f.; vom 19. November 1997 - VIII ZB 33/97 - NJW 1998, 907 ; vom 3. April 2001 - XI ZB 2/01 - BGHR ZPO § 233 Ausgangskonrolle 15). Wirksame und zumutbare organisatorische Maßnahmen dagegen, dass ein Mitarbeiter in der falschen Überzeugung, den Faxvorgang durchgeführt und den Sendebericht geprüft zu haben, die Frist streicht und dem Anwalt sodann mitteilt, die Anweisung sei ausgeführt, sind nicht ersichtlich.

d) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt ausreichend glaubhaft gemacht (§§ 236 Abs. 2 Satz 1, 294 Abs. 1 ZPO ). Der Beweiswert der eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterin wird nicht durch die vom Landgericht angeführten Gründe in Frage gestellt. Auch was das Landgericht für unglaubhaft hält, ist durch die eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht. Dass der Vermerk "vorab per Telefax ..." in dem später übersandten Schriftstück gelöscht wurde, ist nicht deshalb unglaubhaft, weil dieser Vermerk in anderen Schriftsätzen vor der Übersendung nicht gelöscht wurde. Die Änderung kann hier anlassbezogen stattgefunden haben, weil das Dokument auch ansonsten überarbeitet wurde. In der am 16. August 2006 eingegangenen Berufungsbegründungsschrift findet sich in der Unterschriftenzeile das Wort "Rechtsanwalt", während der als Faxdokument zu den Akten gereichte Ausdruck das Wort "Rechtsanwältin" ausweist. Ansonsten stimmen die Ausdrucke einschließlich der in der Fußzeile ausgewiesenen Dokumentennummer überein (vgl. allerdings noch nachfolgend Ziffer 4). Auch das Datum "11.08.06" stimmt überein. Für die Glaubhaftigkeit des vorgetragenen Ablaufs spricht, dass bei einer Fertigung der Berufungsbegründung am 11. August 2006 (Freitag) ausreichend Zeit bestand, die am 14. August 2006 (Montag) ablaufende Frist zu wahren, insbesondere für einen Eingang des Schriftstücks bei Gericht noch an diesem Tag zu sorgen.

4. Der Senat kann die beantragte Wiedereinsetzung nicht gewähren, weil die Sache nicht entscheidungsreif ist. Der von der Klägerin glaubhaft gemachte Sachverhalt rechtfertigt eine Wiedereinsetzung ungeachtet der vorstehenden Ausführungen möglicherweise nicht. Das Exemplar der Berufungsbegründung, das nach dem Vortrag der Klägerin hätte gefaxt werden sollen und das im Wiedereinsetzungsverfahren zu den Akten gereicht wurde, trägt über dem Wort "Rechtsanwältin" ohne Vertretungszusatz eine Unterschrift, die nicht mit der der sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten der Klägerin übereinstimmt, was auch deren Vorbringen entspricht, ein anderer Rechtsanwalt habe unterzeichnet. Ausweislich der Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gehört aber zu der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten nur eine Rechtsanwältin. Da die Unterschrift auch nicht mit der auf der am 16. August 2006 eingegangenen Berufungsbegründung übereinstimmt und dort auch das Wort "Rechtsanwältin" durch das Wort "Rechtsanwalt" ersetzt ist, ist nicht auszuschließen, dass die durch Fax übermittelte Berufungsbegründung durch eine nicht postulationsfähige Person unterzeichnet worden ist, demnach die Berufungsfrist auch dann versäumt worden wäre, wenn das Fax der Anweisung entsprechend versandt worden wäre. Dem wird das Berufungsgericht nachzugehen haben.

Vorinstanz: LG Düsseldorf, vom 09.10.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 21 S 273/06
Vorinstanz: AG Neuss, vom 09.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 87 C 6775/05