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BVerwG - Entscheidung vom 23.08.2006

4 A 1075.04

BVerwG, Beschluss vom 23.08.2006 - Aktenzeichen 4 A 1075.04

DRsp Nr. 2006/23550

Gründe:

1. Ob die Gegenvorstellung gegen eine mit den ordentlichen Rechtsbehelfen nicht anfechtbare Entscheidung nach Einführung des außerordentlichen Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge (§ 152a VwGO ) überhaupt noch statthaft ist, ist fraglich (verneinend unter Hinweis auf BVerfGE 107, 395 z.B. BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2005 - BVerwG 8 BN 1.05 -). Das gilt in besonderem Maße für rechtskräftige Urteile. Jedenfalls soweit die Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen (Schriftsatz vom 13. Juli 2006, S. 42 bis 129), ist eine Gegenvorstellung mit Blick auf die abschließende Regelung in § 152a VwGO unstatthaft. Ob im Übrigen noch Raum für Gegenvorstellungen bleibt, kann offen bleiben. Denn dem Schriftsatz vom 13. Juli 2006 lässt sich nichts entnehmen, was der Gegenvorstellung der Kläger zum Erfolg verhelfen könnte.

2. Soweit die Kläger in der Art einer Berufungsbegründung bzw. einer Verfassungsbeschwerde das Urteil des Senats als fehlerhaft angreifen, käme eine Selbstkorrektur des Gerichts aufgrund einer Gegenvorstellung allenfalls dann in Betracht, wenn - zutreffend - geltend gemacht würde, dass die Entscheidung objektiv willkürlich ergangen ist (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. März 2005 - BVerwG 4 BN 15.05 -). Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt oder mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist. Derartiges ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

3. Soweit die Kläger Verstöße gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ) rügen, kann die Gegenvorstellung schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Kläger ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht nicht genügt haben. Eine auf diese Gründe gestützte - unterstellt statthafte - Gegenvorstellung zielt auf eine fachgerichtliche Selbstkorrektur zur Vermeidung einer Verfassungsbeschwerde. Mit Blick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde kann die Rüge der Verletzung von Verfahrensgrundsätzen, so auch der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG , nicht mehr im Verfahren der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden, wenn nicht zuvor alle Mittel des Prozessrechts genutzt wurden, um diesen Verstoß zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. November 2004 - 1 BvR 684/98 - BVerfGE 112, 50 >62< und vom 24. Oktober 1996 - 2 BvR 1851/94 u.a. - BVerfGE 95, 96 >127<). Entsprechendes hat für die einer Verfassungsbeschwerde vorgeschaltete Gegenvorstellung zu gelten.

Die Kläger haben zu den im Schriftsatz vom 13. Juli 2006 angesprochenen gemeinschaftsrechtlichen Fragen im Klageverfahren weder in ihren umfänglichen Schriftsätzen noch in der neuntägigen mündlichen Verhandlung Ausführungen gemacht und demgemäß die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 Abs. 3 EG weder beantragt noch (sinngemäß) angeregt. Dieses sich aus der prozessualen Mitwirkungslast ergebende prozessuale Versäumnis kann nicht nachträglich durch Erhebung einer Gegenvorstellung wettgemacht werden.

Unabhängig davon war die Einholung einer Vorabentscheidung nicht geboten:

a) Zur Klärung der im Schriftsatz vom 13. Juli 2006, S. 166, formulierten Frage Nr. 1.a) nach der Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27. Juli 2001 (ABl EG Nr. L 197 S. 30) - SUP-Richtlinie - bedurfte es keiner Vorlage an den EuGH , weil eindeutig ist, dass der Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung vom 28. Oktober 2003 - LEP FS 2003 - nicht an den Regelungen dieser Richtlinie zu messen ist, auch nicht aufgrund einer "Vorwirkung". Die Richtlinie musste durch den Gesetzgeber der Mitgliedstaaten bis spätestens zum 20. Juli 2004 in nationales Recht umgesetzt werden (Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie). Dementsprechend verlangt - worauf auch das Urteil vom 16. März 2006, a.a.O., Rn. 74 hinweist - das Raumordnungsgesetz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. zuletzt Urteil vom 23. März 2006 - Rs. C-209/04 - NuR 2006, 429, Rn. 56 ff. m.w. N.) eine Umweltprüfung nur bei Raumordnungsplänen, deren Aufstellung nach dem 20. Juli 2004 förmlich eingeleitet worden ist. Beim LEP FS 2003 ist nicht nur vor diesem Zeitpunkt mit der Aufstellung begonnen worden, vielmehr ist der Plan schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist, nämlich durch die Verordnung vom 28. Oktober 2003 in Kraft gesetzt worden.

b) Ebenso ist die Frage 1.b) (Schriftsatz vom 13. Juli 2006, S. 166) nach dem "im Rahmen der UVP erforderlichen Alternativenvergleich" zweifelsfrei zu beantworten und deshalb nicht durch die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu klären. Die Richtlinie 85/337/EWG des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. Juni 1985 (ABl EG Nr. L 175 S. 40) i.d.F. der Änderungsrichtlinie 97/11/EG (ABl EG Nr. L 73 S. 5) vom 3. März 1997 - Projekt-UVP-Richtlinie - fordert in Art. 5 Abs. 3, dass die vom Projektträger vorzulegenden Angaben u.a. eine Übersicht über die wichtigsten anderweitigen vom Projektträger geprüften Lösungsmöglichkeiten und die Angabe der wesentlichen Auswahlgründe im Hinblick auf die Umweltauswirkungen umfassen; diese Angaben sind nach Art. 8 der Richtlinie beim Genehmigungsverfahren - hier also dem Planfeststellungsverfahren nach §§ 8 ff. LuftVG - zu berücksichtigen (vgl. auch § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 UVPG ). Das ist vorliegend auch geschehen. Im Planfeststellungsverfahren sind die vom Planungs- bzw. Vorhabenträger geprüften Alternativstandorte einschließlich z.B. des Standorts Sperenberg im Hinblick auf die Umweltauswirkungen des Vorhabens vergleichend geprüft und berücksichtigt worden. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Übrigen, ohne dass noch irgendwelche Zweifel bestünden, geklärt, dass die Projekt-UVP-Richtlinie über die Berücksichtigung der vom Träger des Vorhabens selbst angestellten Untersuchungen hinaus keine zusätzliche eigenständige Untersuchung von Alternativen und Varianten durch die Genehmigungsbehörde nach den Maßstäben der Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A 18.99 - BVerwGE 112, 140 >150 f.< m.w.N.).

c) Soweit der Schriftsatz vom 13. Juli 2006 (S.166) Bezug nimmt auf das "Gemeinschaftsgrundrecht der Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK , Art. 6 Abs. 2 EU)", war aus mehreren Gründen eine Vorlage an den EuGH nicht geboten. Zum einen unterlassen die Kläger den Hinweis darauf, dass das Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - ihnen einen sehr weitgehenden Schutz vor nächtlichen Lärmeinwirkungen gewährt, indem es unter entsprechender Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 für die nächtliche Kernzeit von 0:00 Uhr bis 5:00 Uhr ein praktisch unbeschränktes Nachtflugverbot ausgesprochen und für die übrige Nachtzeit einen Flugbetrieb nur bei Vorliegen sachlicher, die Lärmschutzinteressen überwiegenden Verkehrsinteressen als abwägungsfehlerfrei bezeichnet hat. Zum zweiten ist es eine bloße Behauptung, dass "gleichzeitig Standortalternativen zur Verfügung stehen, an denen derartige Lärmbeeinträchtigungen nicht auftreten". Zutreffend ist lediglich, dass bei stadtfernen Standorten, etwa Sperenberg, die Anzahl der Lärmbetroffenen geringer wäre. Schließlich ist es zweifelsfrei, dass weder die Gemeinschaftsgrundrechte noch die EMRK solche bindenden Vorgaben für die Zulassung von Verkehrsflughäfen enthalten, wie sie die Kläger diesen Vorschriften entnehmen zu können meinen (zu Art. 8 EMRK vgl. EGMR , Urteil vom 8. Juli 2003 - Nr. 36022/97 - NVwZ 2004, 1465 ).

d) Zu der unter 3.a) im Schriftsatz vom 13. Juli 2006 (S. 166) formulierten Frage nach der entsprechenden Geltung des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie in gemeldeten, aber noch nicht in die Gemeinschaftsliste aufgenommenen Gebieten brauchte schon wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit keine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt zu werden. Die Antwort auf die Frage ergibt sich bereits aus dem nationalen Recht. Denn nach § 26d Abs. 6 , § 26c Abs. 2 BbgNatSchG genießen die gemeldeten Gebiete denselben Schutz wie die in die Gemeinschaftsliste aufgenommenen Gebiete, nämlich nach Maßgabe der - mit Art. 6 FFH-Richtlinie inhaltsgleichen - Regelungen des § 26d Abs. 1 bis 5 BbgNatSchG (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2006, a.a.O., Rn. 491).

e) Ebenso brauchte wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit der unter 3.b) im Schriftsatz vom 13. Juli 2006 (S. 166) formulierten Frage keine Vorabentscheidung eingeholt zu werden. Der Vortrag der Kläger betrifft das Thema "Grundräumung des Glasowbachs". Im Urteil vom 16. März 2006, a.a.O., Rn. 500 ist dargelegt, dass die Klausel im Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004, wonach der Planfeststellungsbehörde rechtzeitig vor Inbetriebnahme des Flughafens die Durchführung der Grundräumung nachzuweisen ist, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Es seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass dieser Nachweis wegen unüberwindlicher rechtlicher oder tatsächlicher Hindernisse nicht bis zu dem genannten Zeitpunkt erbracht werden könne. Im Folgenden werden eine Reihe von Gesichtspunkten dargelegt, die indiziell belegen, dass die rechtliche Prognose, der Nachweis werde rechtzeitig gelingen können, gerechtfertigt ist. Ob die unter dem 19. Dezember 2005 erteilte Befreiung von der Veränderungssperre im Einzelnen rechtmäßig ist, ist für die Haltbarkeit der Prognose ohne Bedeutung, solange es nicht - wofür nichts dargetan ist - ausgeschlossen erscheint, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Grundräumung geschaffen werden können.

f) Schließlich war mit Blick auf die im Schriftsatz vom 13. Juli 2006 (S. 167) unter 4. aufgeworfene Frage die Anrufung des EuGH nicht erforderlich. Im Urteil vom 16. März 2006, a.a.O., Rn. 549 bis 551 ist ausgeführt, dass und aus welchen Gründen die Avifauna - vom hier nicht gegebenen Fall des Art. 7 der FFH-Richtlinie abgesehen - nicht durch die FFH-Richtlinie, sondern durch das eigenständige Schutzsystem der Vogelschutzrichtlinie geschützt wird. Das ergibt sich zweifelsfrei aus Wortlaut und Zweck der beiden Richtlinien. Im Übrigen ist in dem genannten Urteil (Rn. 570 ff.) in Würdigung der von den Verfahrensbeteiligten vorgelegten gutachtlichen Stellungnahmen festgestellt, dass sämtliche von dem Ausbauvorhaben betroffenen Vogelarten, also auch die in den Auenwäldern entlang des Glasowbaches, trotz der zu erwartenden Lärmbeeinträchtigungen in einem günstigen Erhaltungszustand verbleiben werden.