Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 01.09.2021

1 B 43.21

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 01.09.2021 - Aktenzeichen 1 B 43.21

DRsp Nr. 2021/17926

Zulassung der Revision wegen einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

1. Die allein auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe den Sachverhalt aktenwidrig festgestellt, rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nicht.

a) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272>). Daher begründen (vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts regelmäßig keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO . Ausnahmsweise kann ein solcher indes anzunehmen sein, wenn ein Gericht von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgeht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 58 Rn. 23 m.w.N.).

Das ist der Fall, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein Widerspruch besteht. Dieser Widerspruch muss evident und zweifelsfrei sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; die Unrichtigkeit der getroffenen Feststellung muss ohne wertende Würdigung offen zutage liegen. Die Aktenwidrigkeit ist durch die konkrete Angabe von Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll, zu belegen (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2021 - 1 C 30.20 - juris Rn. 47 ff. m.w.N.).

b) Nach diesen Maßstäben ist in Bezug auf die von der Beschwerde in Bezug genommenen Erklärungen eine aktenwidrige Tatsachenfeststellung durch das Oberverwaltungsgericht nicht zu erkennen.

Ein etwaiger Widerspruch zwischen der Erklärung des Klägers vom 3. Februar 2015 und den diesbezüglichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist jedenfalls nicht offensichtlich. Der Kläger hat wörtlich erklärt (BA 1 Bl. 182):

''Gleich nach Inkrafttreten des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR 'Über die Umsiedlung der Deutschen, die im Wolgagebiet leben' vom 28. August 1941 wurden mein Großvater G. D. und meine Großmutter O. D. mit den Kindern bereits im September 1941 in das Dorf I., Gebiet S. (Dokumente Nr.: 20/1, 20/2, 31, 32, 88) umgesiedelt. Dort befand sich das Lager I., in dem die umgesiedelten Sowjetdeutschen arbeiten mussten. ... Um Repressalien gegen die Familie, also die Ehefrau mit zwei minderjährigen Kindern, zu entgehen, war es für meinen Großvater notwendig, als Freiwilliger zur Front zu gehen."

Von dieser Erklärung weicht die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 12), der Kläger habe behauptet,

"der Großvater sei mit seiner Familie, also auch der Mutter des Klägers, im September 1941 wegen seiner deutschen Nationalität in das Volkskommissariat des Innern von I. delegiert worden und habe dort erst die Entscheidung getroffen, an die Front zu gehen und für die Rote Armee zu kämpfen",

weder evident noch zweifelsfrei ab.

Ebenso wenig weichen die Erklärung der Mutter des Klägers und deren Feststellung durch das Oberverwaltungsgericht offensichtlich voneinander ab. Die Mutter des Klägers hat am 3. Februar 2012 erklärt (BA 1 Bl. 164):

"Ende der 70er Jahre erzählte mir meine Mutter vom Schicksal meines Vaters. Als der Krieg mit Deutschland 1941 begann, kurz nach der Unterzeichnung des Erlasses des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941, Nr. 21-160 'Über die Umsiedlung der Deutschen, die im Wolgagebiet leben' (da wir im Wolgagebiet nicht angesiedelt waren) durch Stalin I.W. wurde mein Vater zur Obrigkeit bestellt und vor die Wahl gestellt: entweder geht er (mein Vater) als Freiwilliger an die Front (dorthin, von wo niemand wiederkehrt, wie ich später erfahren habe) oder die gesamte Familie geht in die stalinistischen Lager. Der Vater wählte den Weg an die Front, um so seine Familie vor den unausbleiblichen Qualen und sogar dem Untergang in den stalinistischen Lagern zu retten."

Das Oberverwaltungsgericht stellt in Bezug auf diese Erklärung fest (UA S. 12 f.):

"Die Mutter des Klägers hat hingegen in ihrer vom Kläger vorgelegten Zeugenaussage vom 3. Februar 2012 erklärt, kurz nach der Unterzeichnung des Erlasses des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941, Nr. 21-160 'Über die Umsiedlung der Deutschen aus dem Wolgagebiet' (da wir im Wolgagebiet nicht angesiedelt waren) durch Stalin I.W. wurde mein Vater zur Obrigkeit bestellt und vor die Wahl gestellt: entweder geht er (mein Vater) an die Front ... oder die gesamte Familie geht in die stalinistischen Lager. Der Vater wählte den Weg an die Front."

Auch insoweit ist ein Widerspruch zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt nicht zu erkennen.

c) Der Sache nach wendet sich die Beschwerde vielmehr gegen die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, der Vortrag des Klägers stimme mit demjenigen seiner Mutter in Bezug auf den Umstand der Zwangsumsiedlung der Familie nicht überein (UA S. 12 f.). Der Vortrag, beide Erklärungen seien hinsichtlich des geschilderten zeitlichen Ablaufs auslegungsfähig und es könne - entgegen der Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht - nicht eindeutig gesagt werden, dass hier völlig verschiedene Sachverhalte geschildert würden, zeigt indes nicht auf, dass und inwiefern das Berufungsgericht den ihm durch § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingeräumten Wertungsrahmen verlassen hat.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 11.06.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 11 A 2663/17