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BVerwG - Entscheidung vom 20.12.2021

8 B 22.21 (8 C 15.21)

Normen:
VwRehaG § 1 Abs. 1 S. 1
VwRehaG § 1 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 20.12.2021 - Aktenzeichen 8 B 22.21 (8 C 15.21)

DRsp Nr. 2022/3852

Rehabilitierungsfähigkeit der dem System der DDR immanente Einbußen an Freiheit und Eigentum

Tenor

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Januar 2021, berichtigt durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. Februar 2021, wird aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Normenkette:

VwRehaG § 1 Abs. 1 S. 1; VwRehaG § 1 Abs. 2 ;

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf der geltend gemachten Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juli 2019 - 8 C 1.19 - (BVerwGE 166, 200 ).

Das Verwaltungsgericht hat in Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwRehaG den tragenden Rechtssatz aufgestellt, nach dieser Vorschrift rehabilitierungsfähig seien rechtsstaatswidrige Maßnahmen nur in Fällen, die sich deutlich von allgemeinen Beeinträchtigungen in der DDR abhöben und insofern als drastisches Sonderopfer erschienen. Dabei geht es davon aus, dass auch gezielte individuelle, in die Freiheit des Betroffenen eingreifende Maßnahmen wie die Inhaftierung zur Durchsetzung eines Ausstellungsverbots keine Verfolgung darstellen, sofern die Haft nicht länger dauerte (UA S. 6 und 8).

Damit weicht das angegriffene Urteil von einem tragenden Rechtssatz der Divergenzentscheidung zur selben Vorschrift ab. Danach sind dem System der DDR immanente Einbußen an Freiheit und Eigentum nicht rehabilitierungsfähig, wenn sie jeden Rechtsunterworfenen der DDR mehr oder weniger gleich trafen, wohl aber, wenn das Verhalten des Betroffenen rechtsstaatswidrige individuelle und konkrete staatliche Reaktionen zur Durchsetzung von Verboten im Einzelfall auslöste. Solche Maßnahmen können nicht mehr dem allgemeinen Schicksal der Bevölkerung der DDR zugerechnet werden, sondern stellen, sobald sie sich gegen eine einzelne Person konkretisieren und unmittelbar in dessen Rechte eingreifen, individuelle Verfolgung dar (BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2019 - 8 C 1.19 - BVerwGE 166, 200 Rn. 13). Das über eine ungleiche Betroffenheit hinausgehende Erfordernis eines "drastischen Sonderopfers" widerspricht im Übrigen auch dem von der Vorinstanz zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2010 - 3 C 40.09 - (BVerwGE 138, 36 Rn. 12). Danach überschreiten Eingriffe in Leben und Gesundheit und in die körperliche Bewegungsfreiheit immer die Intensitätsschwelle, die rechtsstaatswidrige Maßnahmen kennzeichnet. Nur bei einer Beeinträchtigung anderer Rechte muss eine wertende Beurteilung vorgenommen und geprüft werden, ob derartige Eingriffe und Benachteiligungen systembedingt mehr oder weniger allgemeines DDR-Schicksal waren.

Das angegriffene Urteil beruht auf der gerügten Abweichung und erweist sich auf der Grundlage seiner Feststellungen auch nicht aus anderen Gründen als richtig.

Auf die Begründetheit der Grundsatz- und der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO ) kommt es danach nicht mehr an.

Vorinstanz: VG Berlin, vom 28.01.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 9 K 536.19